Morgen um 9:00 wird das Paket gegen Hass im Netz von den Ministerinnen Edtstadler und Zadić im Justizministerium vorgestellt. Neben einer umfänglichen Justizreform beinhaltet das Paket auch ein Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), das in Österreich Kommunikationsplattformen-Gesetz oder KoPl-G heißen wird. Durch die Notifizierung dieses Gesetzes an die EU, ist der Entwurf bereits heute online verfügbar. Deshalb gibt es hier eine kurze Einordnung von uns.

Mit der Schrotflinte auf Google gezielt und dabei das halbe Internet erwischt

Am meisten wurde in den vergangenen Monaten darüber diskutiert, welche Plattformen von dem neuen Gesetz überhaupt betroffen sein sollen. Globale Umsatzschranken oder ein Bedacht auf gemeinwohl-orientierte Plattformen, wie wir gemeinsam mit Wikipedia gefordert haben, fehlen im Gesetz. Es gibt große Mängel in der Inhaltsmoderation der globalen Internetkonzerne wie Google, Facebook und Tiktok. Nach Aussage der grünen Klubobfrau Sigrid Maurer gibt es auf den ansässigen, kleineren Plattformen viel weniger Probleme mit Hass im Netz, trotzdem sind sie von den neuen Verpflichtungen betroffen. Das Gesetz gilt für alle Online - Plattformen, deren Hauptzweck der Austausch von Nachrichten, Videos, Bildern oder Audiodateien ist, wenn diese mindestens 100.000 User in Österreich haben ODER mindestens 500.000 Euro Umsatz erwirtschaften. (Anmerkung: In einer früheren Version dieses Blogposts war hier fälschlicherweise ein "UND". Nur eines dieser Kriterien reicht bereits, um unter das Gesetz zu fallen. Der Fehler passierte in der nächtlichen Analyse des Gesetzes und ist drei Reviewern nicht aufgefallen.) Explizite Ausnahmen gibt es für nicht - gewinnorientierte Online-Enzyklopädien (Wikipedia), die Kommentarspalten von Nachrichten (derStandard, Krone) und Plattformen, die hauptsächlich Dienstleistungen oder Waren vermitteln (Geizhals, MyHammer).

Diese Logik kennen wir bereits aus der EU-Urheberrechtsrichtlinie: Es wird eine enorm breite Definition aufgestellt und dann werden sehr spezifische Ausnahmen davon gemacht, nämlich für alle Organisationen, die rechtzeitig einen Lobbyisten zum Gesetzgeber schicken konnten. Anders als in Deutschland beschränkt sich das österreichische NetzDG nicht nur auf gewinnorientierte soziale Netzwerke, sondern viel mehr Arten von online Plattformen. Durch diese breite Definition sind zum Beispiel auch Chat-Funktionen von Spielen wie World-of-Warcraft, Rezepte Plattformen oder Open Source Entwicklungsplattformen betroffen. Das eigentliche Problem liegt aber in den Schranken, die man zukünftigen Innovationen auferlegt. Ein Startup, das heute vielleicht noch unter der 500.000 EUR Umsatzgrenze liegt, hat einen Anreiz klein zu bleiben. Anbieter aus dem europäischen Binnenmarkt müssen Angst haben in Österreich populär zu werden. Genau wegen der Gefahr solcher nationalstaatlicher Alleingänge wollte die EU mit dem Digital Services Act (DSA) dieses Problem europaweit lösen. Leider kommt Österreich dem morgen zuvor.

Wenn dieses Gesetz hart und bestimmt genug für globale Konzerne wie Google oder Facebook sein sollte, dann ist es existenzbedrohend für alle kleineren Anbieter. Da diese Grundsatzfrage, welche Plattformen das Gesetz eigentlich regulieren will, in den Verhandlungen bis zuletzt offen blieb, ist der vorliegende Entwurf an einigen Stellen unausgewogen.

Starre Löschfristen und Privatisierung der Rechtsdurchsetzung

Das österreichische NetzDG gilt für einen Katalog von 15 Straftaten, darunter Verhetzung, Nötigung, Stalking oder Herabwürdigung religiöser Lehren.  Plattformen müssen eine Meldefunktion für diese illegalen Inhalte zur Verfügung stellen und auf Meldungen umgehend reagieren. Wenn der Inhalt für juristische Laien offenkundig rechtswidrig ist, muss er 24h nach der Meldung gesperrt werden. Wenn die Rechtswidrigkeit nicht ganz so offensichtlich ist, kann die Plattform sich maximal 7 Tage Zeit lassen.

Alles was gelöscht wurde und wer es gepostet hat, muss für Beweis- und Strafverfolgungszwecke von der Plattform für 10 Wochen gespeichert werden. Ermittlungsbehörden können diese Daten beauskunften oder diese nochmals um 10 Wochen im Bedarfsfall verlängern lassen. Eine direkte Meldepflicht illegaler Inhalte (auch Wiederbetätigung) gibt es nicht. Wenn die Plattform also schnell löscht und sich niemand beschwert, bekommt die Justiz auch nichts von einer Straftat mit.

Die große Verbesserung zum deutschen NetzDG liegt darin, dass es einen Beschwerde- und Überprüfungsmechanismus der Entscheidungen der Plattform gibt, der ausgewogen ist. Das war auch eine unserer ersten Forderungen. Wenn die Plattform etwas löscht, von dem der Poster glaubt es war rechtens oder wenn die meldende Person glaubt eine Sperrung eines illegalen Inhalts wurde verabsäumt, können beide diese Entscheidung beanstanden. Im ersten Schritt ist das ein Überprüfungsverfahren der Plattform selbst und im zweiten Schritt ein Beschwerdeverfahren bei der Schlichtungsstelle der RTR. Wer sich schon mal an den Internets-Ombudsmann gewendet hat oder die RTR streiten ließ, wenn das Internet unter der vertraglich zugesicherten Bandbreite war, der kennt dieses Verfahren. Ob dieser Ansatz zu gerechten Entscheidungen und besserer Qualität der Inhaltsmoderation führt, wird sich erst zeigen. Unser größter Kritikpunkt an dieser Stelle ist, dass die Letztentscheidung darüber, ob ein Inhalt illegal war oder nicht, damit nicht mehr bei einem Gericht liegt.

Transparenz: echte Verbesserungen

Sehr positiv bewerten wir die Bestimmungen zu Transparenzpflichten der Plattform. Es wird jährliche bzw. bei großen Plattform quartalsmäßige Berichte der Plattform geben. Darin soll ausgeführt werden, wie ihr Inhaltsmoderationsprozess genau funktioniert, wie viele Fälle von mutmaßlich illegalen Inhalten eingelangt sind, wie lange diese geprüft wurden und bis wann eine Entscheidung getroffen wurde. Neben Statistiken soll auch ausgeführt werden welche Ausbildung die Inhaltsmoderator*innen haben und welche technischen Systeme zum Einsatz kommen. Leider wurde verabsäumt genauer auszuführen, welche automatisierten Systeme zur Inhaltsmoderation eingesetzt werden. Gerade Facebook baut massiv auf KI in diesem Thema, was wir für sehr problematisch halten. Der Fehler des deutschen NetzDG war, dass als potentiell rechswidrig beanstandete Inhalte durch eine Löschung auf Basis der AGBs aus der Transparenzpflicht verschwanden. In Österreich müssten solche als illegal gemeldeten Inhalte auch in der Statistik aufscheinen, auch wenn sie dann auf Basis der AGBs gelöscht würden. Zuletzt gibt es für die zuständige Regulierungsbehörde KommAustria auch die Möglichkeit Verordnungen für die Ausgestaltung der Berichte zu erlassen. Unsere Hoffnung hierbei wäre eine Vergleichbarkeit der Berichte zwischen Plattformbetreibern. Die Beteiligung von Wissenschaft und Zivilgesellschaft in die Erstellung dieser Verordnung wäre wünschenswert!

Aus der Perspektive der konkreten Meldung gibt es auch Transparenzverpflichtungen. Sowohl die Person, die einen Inhalt beanstandet, als auch die Person, deren Inhalt beanstandet wurde, bekommen Informationen über das Verfahren, die Entscheidungsgrundlage und ihre Möglichkeiten sich gegen die Entscheidung zu wehren. Die Meldung eines Inhalts muss begründet sein und die Person, die den Inhalt gepostet hat, kann zumindest in den folgenden Instanzen eine Gegendarstellung einbringen.

Strafen zwischen Portokasse und Insolvenz

Für sehr problematisch halten wir die Strafbestimmungen des Gesetzes. Es gibt einen Automatismus nach dem in einem Monat mit mehr als fünf Beschwerdeverfahren bei der RTR Schlichtungsstelle über Moderationsentscheidungen der Plattform sofort ein Verfahren bei der KommAustria eingeleitet wird. Die Behörde soll dann anhand der Häufigkeit und Art der Beschwerdeverfahren entscheiden, ob das Moderationsverfahren der Plattform mangelhaft ist. Zu diesem Zeitpunkt hat sich aber noch niemals ein Gericht mit der Frage beschäftigt, ob diese konkreten Inhalte denn wirklich legal oder illegal waren. Trotzdem hat die KommAustria die Möglichkeit der Plattform konkrete Vorgaben für die Ausgestaltung ihrer Inhaltsmoderation zu machen. Im Wiederholungsfall oder wenn den Anordnungen nicht Folge geleistet wird, kann es eine Strafe bis zu 10 Millionen Euro geben.

Die KommAustria hat damit eine enorme Machtfülle für die Ausgestaltung unseres online Diskurses bekommen. Wir befürchten Parallelen zur ungarischen Medienregulierungsbehörde NMHH und hoffen, dass mit dieser neuen Kompetenz verantwortungsvoll umgegangen wird. 10 Millionen Euro sind für Google und Facebook Portokasse. Ganz viele kleinere Plattformen müssen angesichts dieses Risikos vermutlich auf user-generated Inhalte gänzlich verzichten. Verhältnismäßiger wären Strafen gewesen, die sich prozentuell am Umsatz bemessen. Die Regulierungsbehörde kann sich die Kosten für die Erfüllung dieses Gesetzes übrigens zu Zweidrittel von den regulierten Online - Plattformen zurück holen. Dieses Modell gibt es auch in der Telekomregulierung in Österreich und es ist eine der Forderungen unseres Dachverbandes EDRi.

Zustellungsbevollmächtigter und Umsatzabschöpfungen

Alle Plattformen, die unter das Gesetz fallen, müssen darüber hinaus auch eine zustellungsbevollmächtigte Person nennen. Das muss eine natürliche oder juristische Person sein, die in Österreich oder gewissen EU Ländern sitzen darf und weisungsbefugt innerhalb der Organisation ist. Damit soll eine Schnittstelle zum lokalen Rechtssystem geschaffen werden, damit sich zB Strafverfolgungsbehörden an eine lokal greifbare Person wenden können, um Daten der User zu beauskunften, oder Gerichte Sperrverfügungen für illegale Inhalte zustellen können. Diese Person kann auch mit Geldstrafen belangt werden, wenn sie für die KommAustria nicht "jederzeit verfügbar" ist. Das kann bis zu 10.000 EUR kosten. Wenn die Plattform nicht belangt werden kann, dann kann auch diese Person mit bis zu 50.000 EUR bestraft werden. Wir sind gespannt, wer sich für diesen Job findet…

Die KommAustria ist in der Lage selbstständig eine Prüfung einzuleiten, ob eine Plattform unter dieses Gesetz fällt. Wenn die Plattform aber anderer Meinung ist und glaubt gar nicht vom Österreichischen NetzDG betroffen zu sein, dann kann es zu einer unschönen Eskalation kommen. Der Umsatz dieser Plattform kann, von in Österreich ansässigen Geschäftspartnern, abgeschöpft werden. Das würde konkret bedeuten, TikTok weigert sich und erkennt das Gesetz nicht an und die KommAustria geht zu Werbeagenturen, die auf TikTok Werbung schalten und bedient sich an den Umsätzen, die für TikTok bestimmt waren. Es muss eine Buchführung geben, damit zu viel abgeschöpftes Geld wieder zurück gezahlt werden kann. Diese Bestimmung hat das Potential, das Ende des Sitzstaatsprinzips in der EU einzuläuten.

Fazit

Der vorliegende Entwurf versucht ein Problem zu lösen, über das sich die meisten Menschen einig sind. Der Weg dahin ist aber eindeutig ein politischer Kompromiss zwischen zwei sehr unterschiedlichen Zugängen. Manche Aspekte wirken sehr ausgeklügelt, andere kaum durchdacht. Eine Ausnahme für Wikipedia übersieht Projekte wie Wikicommons oder Wikidata. Wieder einmal versucht ein Gesetz die Probleme mit den großen Internetkonzernen zu reparieren und ist dabei so unbedacht, dass es die kleinen, dezentralen Seiten des Netzes in ihrer Existenz gefährdet.

Der vorliegende Entwurf wird die nächsten Wochen national und bis zu drei Monate auf EU-Ebene begutachtet. Alle können sich mit Kommentaren zu Wort melden. Ob Änderungen am vorliegenden Entwurf überhaupt noch möglich sind, ist zweifelhaft. Für eine weitere Begutachtung auf EU-Ebene bleibt jedenfalls keine Zeit mehr, da die Kommission mit Dezember 2020 ihr Gesetz zur Plattform-Regulierung vorstellen will. Es bleibt offen, ob die Kommission trotzdem noch Änderungen erlaubt oder das Gesetz auf dem Verfahrensweg sogar noch verhindert werden kann.

 

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