Am Sonntagabend Ende August erreichte uns eine Flut an Meldungen über größere Internetausfälle in Österreich. Schnell stellte sich für uns heraus, es waren Netzsperren dafür verantwortlich, die Urheberrechtsvertreter von der „LSG – Wahrnehmung von Leistungsschutzrechten GmbH“ bei fast allen österreichischen ISPs erwirkt haben. Netzsperren gibt es leider schon seit vielen Jahren in Österreich, nur dass diesmal keine einzelne Domain, wie etwa thepiratebay.org oder kinox.to, gesperrt wurden, sondern ganze IP-Adressen. Unter einer IP-Adresse finden sich hunderte bis tausende Internetangebote von Websites, über Apps bis hin zu „Machine-to-machine“-Anwendungen. Die allermeisten davon sind komplett legal. In diesem außergewöhnlichen Fall am 28. August 2022 wurde jedoch mehrere IP-Adresse gesperrt, die Cloudflare gehören. Cloudflare ist ein sogenannter Cloud-Anbieter (CDN) und wird von 19% der 10 Millionen am meisten besuchten Websites verwendet. Dazu zählen Wikpedia, Fitbit, OkCupid, Behörden, Ärzte, NGOs und KMUs.

„Was da gestern im Internet in Österreich los war, ist so, als würde man ein ganzes Hochhaus oder Einkaufszentrum sperren, weil in einem Geschäft etwas geklaut wurde“, so Dominik Polakovics von epicenter.works.

All diese komplett legalen Angebote, die teilweise essentielle Dienstleistungen für das Funktionieren unserer Wirtschaft, unseres Bildungssystems, unseres Gesundheitswesens leisten, waren für mehrere Stunden nicht erreichbar. Die Netzsperre sollte laut den Plänen von LSG dauerhaft etabliert werden, jedoch haben sich mehrere Telekomanbieter aufgrund des Drucks ihrer Kund:innen dazu entschieden, sie aufzuheben. Dass die Sperre zum aktuellen Zeitpunkt bei vielen ISPs nicht mehr aktiv ist, war ein einseitiger Schritt der Telekomanbieter, denn die einstweilige Verfügung von LSG ist immer noch aufrecht. Das kann für die Telekomfirmen jedoch noch sehr teuer werden, gerade für die kleinen Anbieter wie Liwest und Salzburg AG.

„Dieser mutwillige Internet-Shutdown zeigt, wie rücksichtslos die Urheberrechtsindustrie vorgeht. Natürlich wussten die, was sie damit für einen Schaden anrichten und es war ihnen egal. Es wäre jetzt an der türkis-grünen Bundesregierung, diesen seit 13 Jahren laufenden Kampf mit einer tragbaren rechtlichen Lösung im TKG Einhalt zu gebieten. Ansonsten müssen alle Webseiten- und App-Anbieter damit leben, dass ihre legalen Internetangebote als Kollateralschäden der nächsten einstweiligen Verfügung eines Rechteinhabers gesperrt werden.“, so Thomas Lohninger von epicenter.works.

Ein rechtliches Trauerspiel seit über 13 Jahren

Die Geschichte der Netzsperren in Österreich ist lang und traurig. Zumindest seit 2009 wird darüber gestritten und leider hat auch der EuGH mit einem Urteil bestätigt, dass Urheber das Sperren von Webseiten veranlassen dürfen. Wie das technisch umzusetzen ist, haben die Gerichte aber bisher offen gelassen. Zuletzt hat der OGH in einem Urteil eine Sperre von IP-Adressen für zulässig erachtet und dabei die äußerst kreative Argumentation gewählt, dass die legalen Angebote, die der zwangsläufige Kollateralschaden einer solchen Netzsperre sind, ja selbst Rechtsmittel gegen die Unterlassung ergreifen könnten. Angesichts der globalen Natur des Internets ist das eine sehr blauäugige Argumentation des Gerichts. Wie soll etwa eine pakistanische NGO, die sich vor DDOS-Angriffen mit Cloudflare schützt, von einer Netzsperre in Österreich mitbekommen? Auch betroffene KMUs oder NGOs in Österreich (z.B. die Menchenrechtsorganisation SOS Mitmensch oder der selbstständige Sachverständige Christoph Eder waren von der Sperre betroffen) haben diese Möglichkeit in der Praxis nicht und wenden sich eher wütend an den heimischen Internetanbieter, als den teuren Gerichtsweg zu bestreiten.  
 
Was helfen würde, ist eine rechtliche Grundlage für Netzsperren in Österreich. Wir sind die NGO in Europa, die sich seit über 10 Jahren an vorderster Front für Netzneutralität einsetzt. Aber natürlich respektieren wir die höchstgerichtliche Rechtsprechung und wollen einen stabilen rechtlichen Rahmen für das Internet. Alle Regierungen der letzten 13 Jahre haben es verabsäumt, eine tragbare rechtliche Lösung für das Problem zu finden. Zuletzt hat die türkis-grüne Bundesregierung bei der Reform des TKG verschlafen, sich diesem Thema zu widmen, obwohl wir und viele Andere auf dieses Problem hingewiesen haben.

Weil wir uns nicht nur auf die Politik verlassen wollen – erst recht nicht beim Thema Urheberrecht –, wollen wir erwähnen, dass es auch eine Klagsmöglichkeit für Webseitenbetreiber gibt, die von der Internetsperre betroffen waren. Je nachdem wie diese Situation eskaliert, überlegen wir, einen Musterprozess von Betroffenen anzustreben und würden uns um Kontaktfaufnahmen freuen.

PS: Nach massivem Protest haben die Urheberrechtsvertreter ihre Netzsperren zurückgenommen. Das ändert jedoch nichts an dem Umstand, dass dies nach aktueller Rechtslage jederzeit wieder passieren kann.

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