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Analyse des geleakten Verhandlungsprotokolls der FPÖ-ÖVP Koalitionsgespräche
Sonntag Abend erhielten wir einen Leak des Verhandlungsprotokolls aus den laufenden Koalitionsvorgesprächen der FPÖ mit der ÖVP für die Bildung einer neuen Bundesregierung. Im Folgenden wollen wir auf die wichtigsten netzpolitischen Punkte eingehen. Dies ist keine abschließende Analyse des Papiers, aber eine erste Reaktion auf die brisantesten Punkte des Protokolls.
Wir veröffentlichen das gesamte Protokoll gemeinsam mit dieser Analyse.
Gesamteindruck
Nach Lektüre des Papiers muss man der viel geäußerten Sorge über die Zukunft Österreichs als liberale Demokratie zustimmen. An vielen Stellen wird in dem Protokoll die grundsätzliche Ausrichtung Österreichs als liberaler Rechtsstaat in Frage gestellt. Die Freiheit der Medien, Meinungs- und Versammlungsfreiheit und Österreichs Rolle in Europa und der Welt werden durch viele der getroffenen Vereinbarungen unterlaufen. Besonders die ÖVP würde an entscheidenden Stellen viele ihrer Grundwerte für den Machterhalt abtauschen. Insbesondere in den Bereichen Migration, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit, Frauen- und Klimapolitik hat man sich auf gravierende Verschlechterungen geeinigt, die massive Grundrechtsbedenken auslösen. Auch wenn schon sehr viele Maßnahmen als unstrittig „grün“ gestellt sind, scheinen an vielen Stellen auch noch Kompromisse zu fehlen.
Staatliche Überwachung
Keine Einigung dürfte es beim „Bundestrojaner“ – also dem Einsatz staatlicher Spionagesoftware - geben. Bisher hat es bereits mehrfach Versuche gegeben diesen einzuführen – diese sind aber immer an ihrer vom Verfassungsgerichtshof festgestellten Grundrechtswidrigkeit gescheitert. Die ÖVP fordert diesen nun abermals, sowohl für den Inlandsgeheimdienst DSN, als auch auch für reguläre Polizeiarbeit.
Ebenfalls will die ÖVP dem umstrittenen Vorschlag der EU-Kommission zur Einführung einer Chatkontrolle zustimmen. Bisher hat Österreich in den langjährigen Verhandlungen den grundrechtlich sehr bedenklichen Vorschlag gemeinsam mit anderen Ländern wie etwa Deutschland und den Niederlanden klar abgelehnt. Diese Ablehnung ist auch auf eine Entschließung des ständigen Unterausschusses des Nationalrats zurückzuführen, die u.a. von Abgeordneten der ÖVP eingebracht wurde und in der die Regierung nahezu einstimmig aufgefordert wurde sich gegen diesen Überwachungsvorschlag einzusetzen. Solange dieser Beschluss nicht abgeändert wird, ist das Innenministerium im Rat weiter daran gebunden.
Beim Bundestrojaner und der Chatkontrolle blieb die FPÖ gemäß ihrem Wahlprogramm standhaft und hat den Maßnahmen nicht zugestimmt. Einig ist man sich jedoch bei der Ausweitung von „Quick Freeze“, also der verdachtsabhängigen Nachfolgeregelung der Vorratsdatenspeicherung. Dabei heißt es auf Seite 50 in grün: „Zur verbesserten Beweisführung in Straftaten wird eine verlängerte Speicherfrist für Verrechnungsdaten der Netz- und Internetprovider (Quick Freeze) mit bestimmten Löschungsfristen für bestimmte Deliktsgruppen rechtlich verankert.“
Geeinigt hat man sich darauf, die Polizei flächendeckend mit Bodycams auszustatten. Die FPÖ fordert zudem, die kürzlich eingeführte Meldestelle für Polizeigewalt wieder abzuschaffen. Diese enorm wichtige Maßnahme gegen Polizeigewalt und Alltagsrassismus wird von der FPÖ wie folgt angegriffen: „Streichung der Meldestelle gemäß BAK-G; Keine Opfer – Täter Umkehr. Wiederherstellung der ursprünglichen Maßnahmen im Beschwerdewesen.“
Positiv ist die Einigung auf eine Überwachungsgesamtrechnung, auch wenn diese in den Protokollen unter einer anderen Bezeichnung behandelt wird: „Evaluierung der bestehenden Aufgaben und Befugnisse der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Evaluierung des bestehenden Systems der Rechtsschutzbeauftragten.“ Uneinig ist man sich über folgende von der FPÖ geforderte Passage: „Evaluierung aller bestehenden gesetzlichen Maßnahmen, die Grund- und Freiheitsrechte beschränken. [VERFASSUNG]“
Die Überwachung des Internetverkehrs soll ebenfalls reformiert werden. Man ist sich einig darüber, dass Internetanbieter öffentliche IP-Adressen künftig einem einzelnen Anschlussteilnehmer zuordnen müssen. Hier könnte es vor allem im Mobilfunknetz angesichts der Knappheit von IPv4- Adressen zu Problemen kommen. Es heißt im Papier: „Für Netzbetreiber wird bei Vergabe einer öffentlichen IP-Adresse an mehrere Personen eine Individualisierungspflicht eingeführt.“ Über die Formulierung gestritten (gelb) wird noch bezüglich der Reform der Überwachungsverordnung, mit der Verkehrsdaten von Internetverbindungen überwacht werden sollten.
Videoüberwachung und Gesichtserkennung
Im Kapitel zur Digitalisierung heißt es zwar „Genauso essenziell ist für uns der konsequente Schutz der Privatsphäre. Wir treten entschieden gegen Überwachung und exzessive Datensammlung ein.[…] Klare Regelung und Transparenz bei Gesichtserkennung im öffentlichen Raum.“ Jedoch hat man sich im Kapitel innere Sicherheit auf die „verstärkte Videoüberwachung an Kriminalitäts-Hot-Spots und Modernisierung bestehender Systeme, speziell zum Schutz von Frauen und Kindern“ – also eine Ausweitung der Überwachungsmaßnahmen – geeinigt. Ebenfalls sollen staatliche und internationale Einrichtungen stärker durch Videoüberwachung gesichert werden. Uneinig (gelb) ist man sich noch bezüglich des verfassungskonformen Einsatzes „moderner Technologien wie Gesichtsfelderkennung zur Kriminalitätsbekämpfung“. Der Begriff „Gesichtsfelderkennung“ ist vermutlich ein Formulierungsfehler und gemeint ist wohl nicht die Erkennung des Sichtfelds zur Verbrechensbekämpfung, sondern reguläre biometrische Identifizierung von Menschen anhand von Bildern ihres Gesichtes/Körpers. Videoüberwachung und der Einsatz von Gesichtserkennung im öffentlichen Raum ist allerdings mit erheblichen grundrechtlichen und technischen Risiken verbunden.
Ebenfalls gestritten wird bezüglich der Überwachung von Österreichs Innenstädten unter dem Vorwand der Verkehrsberuhigung. Die Überwachung dicht besiedelten Gebietes wäre ein massiver Eingriff in die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit vieler Menschen, insbesondere, da etwa viele Demos im 1. Bezirk stattfinden, der ein derartiges System auf Bezirksebene fordert. Ein diesbezüglicher Vorstoß wurde bisher von Klimaministerin Gewessler abgewehrt. Die Videoüberwachung im öffentlichen Raum kann einen „Chilling-Effect“ auf die dort lebende Bevölkerung, Passant:innen und sämtliche Teilnehmer:innen an Demonstrationen ausüben. Insbesondere im Zuge der Umsetzung des AI Acts der EU sollte ein Verbot von Gesichtserkennung im öffentlichen Raum beschlossen werden.
Handy-Auswertung von Geflüchteten und Smart-Border
Jeden Respekt für Grundrechte lassen die Verhandler:innen beim Thema Grenzsicherung und Asyl vermissen. Am schlimmsten bewerten wir die Einigung auf den Vorschlag „Verpflichtung aller Fremden zur Bereitstellung, Öffnung und Auswertung ihrer Mobiltelefone bei Asylanträgen.“ Dies ist ein massiver Eingriff in die Privatsphäre von geflohenen Menschen. Gerade zwei Parteien, die bei den Mobiltelefonen ihrer eigenen Leute sehr sensibel waren, scheinen hier die pauschal und verdachtsunabhängige Auswertung des digitalen Lebens von Menschen als Voraussetzung für den Schutz von Geflüchteten zu sehen. In Deutschland wurde diese Vorgehensweisen aufgrund der oben geäußerten Bedenken bereits durch die Gerichte für ungültig erklärt.
Einig ist man sich auch in der technologischen Aufrüstung von Grenzen. So sollen etwa Video- und Drohnenüberwachung an der Staatsgrenze ausgebaut werden. Ebenfalls soll die polizeiliche Infrastruktur im Straßennetz für fremdenpolizeiliche Kontrollen adaptiert werden und zwar in Kooperation mit dem Autobahnbetreiber ASFINAG. Das erinnert uns an die KFZ-Vorratsdatenspeicherung der letzten türkis-blauen Bundesregierung, die wir gemeinsam mit SPÖ und NEOS 2019 vor dem VfGH zu Fall gebracht haben. Uneinig (rot) sind sich die Parteien beim vagen Punkt der „Stärkung und Ausbau der österreichischen Grenzsicherung durch technische Sperren. […] Schaffung eines Straftatbestandes der Überwindung der technischen Sperren“.
Geheimdienstkontrolle
Unter Innenminister Kickl war der Inlandsgeheimdienst Gegenstand mehrerer Skandale bis hin zum Abbruch der internationalen Zusammenarbeit, weil ausländische Dienste Österreich nicht mehr vertrauten. Da Nachrichten- und Geheimdienste nicht verdachtsabhängig arbeiten, ist der Rechtsschutz umso wichtiger. Deshalb sind wir entsetzt über die als gelb markierte Maßnahme: “Die strikte Trennung von Nachrichtendienst und Staatsschutz Aufgaben soll durch Einführung einer sogenannten „Flexiklausel“ für Einzelfälle angepasst werden.”
In den meisten liberalen Demokratien ist eine klare Trennung zwischen nachrichtendienstlichen und polizeilichen Aufgaben ein bewährter Grundsatz. In manchen Fällen, wie etwa in Deutschland, war dies auch der Erfahrung mit einem totalitärem, faschistischen Regime geschuldet. Österreich war hier bereits immer ein Nachzügler, was wohl auch zu den jüngsten Affären und der daher notwendigen Neuaufstellung des Inlandsgeheimdienstes führte. Eine weitere Vermischung dieser beiden Sphären wäre brandgefährlich.
Bereits geeinigt hat man sich darauf, dass künftig jede im Nationalrat vertretene Partei ein Mitglied in die unabhängige Kontrollkommission für den Verfassungsschutz entsenden kann. Derzeit werden die Mitglieder mit einer zwei-drittel Mehrheit vorgeschlagen. Die Kommission wäre dann wohl nur noch ihres Namens nach “unabhängig”. Für eine Reform bräuchte die Regierung aber eine Verfassungsmehrheit, die die Opposition ihr hoffentlich verwehrt.
Einigkeit besteht ebenfalls über eine Personalaufstockung im Verfassungsschutz und auf eine Reform des Straftatbestands, auf dem Territorium Österreichs einen ausländischen Nachrichtendienst zu betreiben. Österreich ist ja eines von ganz wenigen Ländern, dass dies nur dann unter Strafe stellt, wenn gegen die Interessen der Republik verstoßen wird. Künftig soll auch Spionage gegen internationale Organisationen oder andere Staaten endlich strafbar werden.
Uneinig ist man sich bei der Ausweitung von Überwachungsbefugnissen für den Staatsschutz. Der Einsatz von “Bild- und Tonaufzeichnungsgeräten, IMSI-Catchern sowie ortsbestimmenden technischen Mitteln soll analog in das SNG übertragen und damit Vorfeldermittlungen ermöglicht werden." Diese Überwachungswerkzeuge sollen also durch den Staatsschutz ohne konkreten Verdacht gegen Menschen in Österreich eingesetzt werden. Diese Maßnahme ist auf gelb gesetzt, sprich es wird nur noch über Formulierungen gestritten. Rot ist hingegen die Maßnahme “Mit der Einführung einer Online- sowie einer „verdeckten“ Durchsuchung sollen Strukturermittlungen ermöglicht werden, ohne dass diese preisgegeben werden." Wir vermuten, es geht bei diesem Punkt um die Erhebung von sozialen Netzwerken mittels einer modernen Version der Rasterfahndung, die nicht nach Taten, sondern Organisationen/Ideologien ermittelt, und man will scheinbar die Informationspflichten für betroffene Personen, die auch unbescholten und unverdächtigt sein können, außer Kraft setzen.
Präventivhaft und Fußfesseln für Unschuldige
Als ÖVP-Forderung findet sich der Punkt “Eine Sicherungshaft als vorbeugende, zeitlich befristeter Gewahrsam für Gefährder wird eingeführt”. Die Maßnahme ist noch auf gelb gesetzt, also keine grundlegende Ablehnung der FPÖ, aber auch noch keine Einigkeit. Im Nachsatz zu diesem Punkt steht “(uA. Zur Bekämpfung des politischen Islams) [VERFASSUNG; 2/3-Materie]”. Die Einführung einer prophylaktischen Haft, ohne dass eine Person auch nur ansatzweise Vorbereitungshandlungen für eine potenzielle Straftat gesetzt hat – ganz zu schweigen von einer gerichtlichen Verurteilung jedweder Art - wäre eine drastische Abkehr vom Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, der EU-Grundrechte-Charta und der europäischen Menschenrechtskonvention.
An drei Stellen wird in dem Dokument eine Fußfessel für nicht gerichtlich verurteilte Menschen gefordert. Einigung besteht bereits bei dem Punkt: “Elektronische Aufenthaltsüberwachung für Hochrisiko Gefährder gegen welche ein Betretungs- und Annäherungsverbot erlassen wurde (elektr. Fußfessel)”. Gelb bzw. rot ist folgende Formulierung im Kapitel Asyl und innere Sicherheit: “Einführung einer Fußfessel für Risiko-Asylanten, die bereits besondere Gefährlichkeit erkennen ließen.” Eine Fußfessel ist eine Form der Freiheitseinschränkung, die - ohne dass eine Person von einem ordentlichen Gericht für eine Straftat verurteilt wird - keinesfalls mit den Grundrechten oder der Rechtsstaatlichkeit vereinbar ist.
Einschränkung von Zivilgesellschaft, Meinungs- und Versammlungsfreiheit
Als schweren Eingriff in die Meinungsfreiheit ist folgende Maßnahme zu werten: “Prüfung eines Straftatbestandes ‚Gutheißen der illegalen Einreise‘“. Ein solcher Straftatbestand würde zur Kriminalisierung von humanitären Meinungen im Kontext der Asyldebatte führen und auf einen Schlag einen Großteil der österreichischen Bevölkerung kriminalisieren.
Einigkeit besteht darin, das Recht auf Demonstration stark einzuschränken. Künftig sollen Straftatbestände im Versammlungsrecht geschaffen werden “um konsequenter Bestrafen zu können”. Es sollen neben Sachbeschädigung auch die Blockade des Straßenverkehrs und Einsatzkräften unter Strafe gestellt werden. Künftig sollen bei der Anmeldung von Demonstrationen auch “Ort, Zeit, die erwartbare Anzahl der Teilnehmer sowie ein bei der Versammlung verpflichtend anwesender Versammlungsleiter” genannt werden. Der letzte Punkt ist eigentlich schon heute die gängige Praxis.
Geeinigt haben sich die Verhandler:innen darauf, dass Umweltorganisationen künftig ihre Großspenden offenlegen müssen. Auch wenn dies “unter Wahrung des Datenschutzes” passieren soll, wird es zweifelsohne eine abschreckende Wirkung auf viele potentielle Spender:innen haben. Noch uneinig (rot) ist man sich bei einer Verschärfung des Vereinsrechts zur “Zur Bekämpfung von extremistischen Organisationen, die die Wertvorstellungen und Grundprinzipien eines demokratischen Staates nicht anerkennen” und einer geplanten Veröffentlichungspflicht von Vereinsstatuten in einem Vereinsregister.
Klarnamenpflicht und Hass im Netz
Wir haben uns keine Maßnahmen zur Bekämpfung von Hass im Netz durch eine FPÖ-ÖVP Regierung erwartet, jedoch scheint anstelle von Stillstand sogar eine Verschlechterung der Situation für Opfer von Gewalt und Drohungen im digitalen Raum diskutiert zu werden. Die FPÖ fordert den Digital Services Act der EU rückzubauen. Dieses Gesetz zur Regulierung großer Plattformen ist ein wichtiger Meilenstein, um die Macht von Big-Tech-Plattformen wie X oder Facebook zurück zu drängend und die schlimmsten Auswüchse zu bekämpfen. Als EU-Verordnung ist das Gesetz direkt in Österreich anwendbar. Natürlich könnten Ressourcen für die zuständige KommAustria-Behörde oder die Meldestellen der Trusted Flagger in Östereich gestrichen werden. Für die Umsetzung des Gesetzes gegenüber den amerikanischen Plattformen ist jedoch sowieso die EU-Kommission zuständig. Dieser Forderung der FPÖ hat die ÖVP noch nicht zugestimmt (rot).
Brandgefährlich für benachteiligte Gruppen könnte sich jedoch die von der ÖVP geforderte Klarnamenpflicht entpuppen. Ein solches Gesetz wurde 2018-19 unter der letzten türkis-blauen Bundesregierung diskutiert, konnte aber wegen Ibiza noch gestoppt werden. Eine Identifizierungspflicht im Internet würde insbesondere Frauen, religiöse/ethnische Minderheiten oder ganz einfach Menschen mit einem ausländisch klingenden Namen (häufig in Österreich) davon abhalten sich online noch an Diskussionen zu beteiligen. Dieser Forderung der ÖVP hat die FPÖ bisher noch nicht zugestimmt (rot).
ID Austria (eIDAS), digitaler Euro und Verwaltungsdigitalisierung
Die „ID Austria“ oder ihre Nachfolge durch die „eIDAS Wallet“ finden sich ebenfalls im Regierungsprogramm. In diesen Punkten haben die drei stimmenstärkste Parteien im Wahlkampf ähnliche Forderungen in ihren Wahlprogrammen aufgestellt. Die Freiwilligkeit der digitalen Brieftasche soll festgeschrieben werden. Eine solche Verpflichtung wäre mit 2026 sowieso durch EU-Recht gekommen, ist aber angesichts der vielen ID Austria Zwänge schon früher sinnvoll. Österreich hat hier noch einiges zu tun. Unklar ist was unter den “Digital Austria Terminals” zu verstehen ist, durch die digitale Verwaltungsleistungen unabhängig von ID Austria nutzbar sein sollen. Womöglich ein Service bei den Bezirksverwaltungsbehörden für Menschen ohne Internet/Smartphone. Problematisch werten wir den Punkt, der “ID Austria als moderne, sichere und europakonforme digitale Identitätslösung” benennt. Die ID Austria wurde 2017 konzipiert und ist schon in die Jahre gekommen. Keineswegs erfüllt sie die hohen Anforderungen an Datenschutz und Kontrolle durch die Nutzer:innen, wie die eIDAS Verordnung der EU sie vorschreibt. Die ID Austria muss dringend modernisiert werden.
Uneinig sind sich die Verhandler:innen bezüglich des Digitalen Euro. Die FPÖ sieht diesen sehr kritisch und die ÖVP wird dem Projekt wohl weiterhin positiv gegenüber stehen. In Europa wurden zuletzt die Stimmen laut, die das Projekt angesichts der zweiten Trump-Präsidentschaft zügig beschließen wollen. Viele offene Fragen in Sachen Datenschutz und Stabilität der Eurozone bleiben jedoch unbeantwortet. Einig ist man sich beim Erhalt des Bargelds.
IT-Sicherheit und NIS2
Österreich ist bereits säumig in der Umsetzung der NIS2-Richtlinie der EU, deren Ziel eine Stärkung der allgemeinen IT-Sicherheit ist. Wie einige prominente Fälle (z.B. Hack der Kärntner Landesregierung) zeigen, gibt es hier immensen Aufholbedarf. Zuletzt gab es unter der türkis-grünen Bundesregierung nicht die notwendige Verfassungsmehrheit für einen kontroversen Vorschlag für die NIS2-Umsetzung, die eine enorme Machtkonzentration beim Innenministerium geschaffen hätte. Bei den jetzigen Maßnahmen scheint nur Einigkeit darüber zu bestehen, dass man sich vor allem an den Interessen der Wirtschaft orientiert und “beraten statt strafen” will. Dem Vorschlag entsprechend soll eine “BMI-GmbH” geschaffen werden, wie sie auch zeitweise von den Grünen mit der ÖVP diskutiert wurde. Unsere Vorschläge für eine sinnvolle NIS2 Umsetzung haben wir bereits letztes Jahr formuliert. Entscheidend wird die Unabhängigkeit der Behörde sein, wozu ein “Bundesamt” in einem als strittig (gelb) markierten Punkt festgehalten wird. Auf jeden Fall sollten hier Wissenschaft und Zivilgesellschaft eingebunden sein und die gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Erhöhung der IT-Sicherheit in Österreich aufgegriffen werden.
Leider fehlt im aktuellen Vorschlag eine Reform des Hacking-Paragraphen (§ 118a StGB) zur Absicherung von Sicherheitsforschung und der verantwortlichen Meldung von Schwachstellen an die Verantwortlichen.
Künstliche Intelligenz, Registerforschung und Open Source
An einigen Stellen finden sich die üblichen blumigen Formulierung zum Potential von künstlicher Intelligenz. Die nach dem AI Act vorgesehene Stelle zur Regulierung dieser Technologie soll bei der RTR angesiedelt sein, wo bereits heute die beratende KI-Servicestelle angesiedelt ist. Dies ist keine Überraschung und ergibt Sinn, wir mahnen jedoch ein dafür zu sorgen, dass die zukünftige Behörde auch mit entsprechender Unabhängigkeit ausgestattet ist und nicht bloß eine Service-Organisation für die Wirtschaft bleibt.
Über “Maßnahmen zur Eindämmung von Desinformation und missbräuchlichem KI-Einsatz” ist man sich noch uneinig (rot). eGovernment Plattformen des Bundes, wie oesterreich.gv.at, sollten mittels KI/LLM-Chatbots aufgewertet werden. Es ist unklar, wie das Problem der Halluzination von Falschinformationen auf offiziellen Informationsangeboten des Staats eingedämmt werden soll. Hier findet sich auch die einzig positive Erwähnung der Zivilgesellschaft: Gemeinsam mit Verwaltung und Wissenschaft soll enger vernetzt werden, um “zukunftsweisende skalierbare Innovationen im Bereich Digitalisierung und KI zu fördern”.
Ebenfalls gemeinsam mit der Wissenschaft und Wirtschaft soll der Zugang auf staatliche Datenbanken ausgebaut werden (Registerforschung, Austrian Micro-Data Center). Scheinbar soll hier sogar auf Open-Data gesetzt werden und endlich datenschutzfreundliche Maßnahmen wie „Differential Privacy“ nachgerüstet werden. Dies wäre eine Verbesserung der desaströsen Regelung zur Registerforschung der türkis-grünen Bundesregierung.
Die einzige Referenz zur verstärkten Nutzung von Open Source findet sich im Kontext der “Berücksichtigung des Faktors digitaler (europäischer) Souveränität bei Beschaffungen des Bundes”. Diese Referenz ist angesichts der enormen Lizenzzahlungen an Microsoft & Co sinnvoll. Das letzte türkis-blauen Regierungsprogramm hatte gar keine Referenz zu Open Source und das türkis-grüne Regierungsprogramm eine einzige zu einem „Bug Bounty“-Programm für Open Source Software, welches trotz fünfjähriger Legislaturperiode niemals umgesetzt wurde.
Bildung
Die unter der Vorgängerregierung gestartete digitale Kompetenzoffensive soll ausgeweitet und vom Kindergarten bis zum Seniorenheim gefördert werden. Das aktuelle Programm krankt jedoch daran, dass aufgrund der geringen Fördermittel lediglich die großen Anbieter von einer staatlichen Doppel-Förderung profitieren, die solche Angebote sowieso schon durch staatliche Förderungen oder Geld aus der Privatwirtschaft (teils Big Tech) querfinanzieren. Die Schaffung von unabhängigen Schulungsangeboten oder freien Lehrinhalten ist im Rahmen der aktuellen Förderschiene kaum möglich. Zuletzt soll Informatik auch als Maturafach ermöglicht werden und der Lehrplan für das Schulfach “Digitale Grundbildung” weiterentwickelt werden. Beides begrüßen wir, jedoch sollte auch in die Lehrer:innenausbildung investiert werden.
Was fehlt?
Positiv ist anzumerken, dass der AMS-Algorithmus mit keinem Wort vorkommt und dass man das Bekenntnis gegen „Sozialkredit-System“ so werten könnte, dass das zuständige Arbeitsministerium das AMS endlich anweist seinen Rechtsstreit mit der Datenschutzbehörde einzustellen. Leider findet sich auch keine Referenz auf das wichtige Prinzip der Netzneutralität, anders als in vorangegangenen Koalitionsabkommen.