Nach 155 Tagen der Verhandlungen wurde Anfang dieser Woche endlich die neue österreichische Regierung angelobt. Was die Vorhaben für Netzpolitik und digitale Grundrechte in den nächsten Jahren bedeute haben wir ausführlich analysiert, eingeordnet und anschaulich aufbereitet.

Wir analysieren das Regierungsprogramm der neuen österreichischen Bundesregierung von ÖVP, SPÖ und NEOS auf seine netzpolitischen Auswirkungen. Folgend präsentieren wir die wichtigsten Maßnahmen des 211 Seiten schweren Programms. Dazu gibt es auch eine Einordnung aller 233 netzpolitisch relevanten Maßnahmen im Ampelsystem zum Download. Rein quantitativ haben wir 151 positive (grün, 65%), 62 bedenkliche (gelb, 27%) und 20 kritische (rot, 8%) Maßnahmen identifiziert.

Gesamteindruck

Unser Gesamteindruck ist enttäuscht. Zwar gibt es auch positive Maßnahmen, aber die sind oft sehr vage formuliert oder unter Budgetvorbehalt bzw. finden sich gleich mehrmals in verschiedenen Kapiteln. Es droht kein massiver Rückbau des liberalen Rechtsstaat wie unter einer Kickl-Regierung zu befürchten gewesen wäre, jedoch hat sich die Dreierkoalition in zentralen Fragen auf Maßnahmen geeinigt, die wir aus Perspektive von Grundrechten und insbesondere Datenschutz als kritisch einordnen. Wir befürchten aufgrund dieses Programms wird auf die Höchstgerichte einiges an Arbeit zukommen.

Bundestrojaner

Wo es im FPÖVP Verhandlungsprotokoll keine Einigung gab, findet sich im Regierungsprogramm (wenn auch sehr versteckt) die Einführung eines Bundestrojaners. Unter dem Deckmantel „verfassungskonforme Gefährder-Überwachung“ findet sich ein Verweis auf den letzten Gesetzesentwurf zur Messenger-Überwachung der ÖVP, der von uns schon damals mit einem eindeutigen Nicht-Genügend bewertet wurde.

Die ÖVP rollt damit einen Gesetzesentwurf wieder auf, der in seiner Begutachtungsfrist mit 94% negativen Stellungnahmen von einem breit gefächerten Pool an Expert:innen und Interessensvertreter:innen bewertet wurde. Wir haben damals alle Stellungnahmen analysiert und eine Petition gegen diese Massengefährdung ins Leben gerufen:

Das letzte Gesetz zur Legalisierung eines Bundestrojaners wurde 2019 von SPÖ und NEOS gemeinsam mit uns vor dem VfGH als verfassungswidrig aufgehoben. Diese 180° Wende von zwei Parteien, die bisher den Schutz der Grundrechte ernst genommen haben, ist sehr verwunderlich.

Eine solche Forderung widerspricht auch der sonst so oft in dem Programm als Priorität betonten Cybersicherheit. Seit Jahren warnen wir vor den massiven Risiken einer solchen staatlich eingesetzten Spionagesoftware. In anderen Teilen Europas sehen wir, wie häufig und über rechtliche Grenzen Bundestrojaner eingesetzt werden. Sogar Journalist:innen, Aktivist:innen oder regierenden Politiker:innen werden regelmäßig zu Opfern der Schadsoftware. Auch dass eine solche an sich schon gefährliche Software nur durch offene Sicherheitslücken eingeschleust werden kann, scheinen die Parteien bei ihrer Einigung vergessen zu haben. Selbst wenn eine „verfassungskonforme“ Regelung möglich sein sollte, würde diese spätestens an der technischen Realität scheitern. Offene Sicherheitslücken bedeuten Unsicherheit für alle Menschen die mobile Geräte besitzen – der Staat darf das nicht fördern.

Staatliche Überwachung

Neue Hacking-Kompetenzen bekommen auch die militärischen Nachrichtendienste. Ihnen wird „das Eindringen in fremde Computersysteme im Ausland“ ermöglicht. Angriffe auf ausländische IT-Systeme können leicht zu Eskalationen führen und sind ein Widerspruch zum Neutralitätsgebot, das sich ebenfalls im Koalitionsabkommen findet. Von Rechtsschutz oder Fragen der Autorisierung derartiger aggressiver Schritte gegen fremde Länder ist im Programm nichts zu lesen. Ebenfalls soll der Einsatz von IMSI-Catchern für die militärischen Nachrichtendienste erlaubt werden. Mit diesen Überwachungsgeräten können Kommunikationsinhalte und Metadaten von Mobilfunkgeräten in ihrer Nähe ausgelesen werden.

Wie schon im FPÖVP Programm, soll die Polizei großflächig mit Bodycams und Tasern ausgestattet werden. Im Gegensatz bleibt uns aber zumindest die erst kürzlich eingeführte Meldestelle für Polizeigewalt erhalten. Statt der Flexiklausel aus dem FPÖVP Programm, die das Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendienst aufgeweicht hätte, soll es nun eine Datenaustausch-Plattform zwischen diesen zwei Bereichen geben.

Bei der Innenstadtüberwachung scheint sich die SPÖ durchgesetzt zu haben. „Insbesondere kamerabasiertes automatisiertes Zonenzufahrtsmanagement“ soll in österreichischen Gemeinden für eine effektive Verkehrsberuhigung sorgen. Warum die teuerste und ineffizienteste Form den Alternativen vorgezogen wird, bleibt uns ein Rätsel. Große Frage ist, ob ähnlich wie in dem Entwurf aus dem grünen Klimaministerium von 2024 der Echtzeit-Zugriff der Polizei auf diese Kameras ausgeschlossen wird. Denn Videoüberwachung im öffentlichen Raum kann einen „Chilling-Effect“ auf die dort lebende Bevölkerung, Passant:innen und sämtliche Teilnehmer:innen an Demonstrationen ausüben. Umso notwendiger wäre im Zuge der Umsetzung des AI Acts der EU in Österreich ein Verbot von Gesichtserkennung im öffentlichen Raum zu beschließen. Leider findet sich dazu nichts im Regierungsprogramm.

Unklar formuliert ist die Maßnahme: „Individualisierungspflicht (Ausrollung IPv6) bei öffentlichen IP-Adressen für Netzbetreiber – CG-NAT“. Mit Carrier-grade network address translation (CG-NAT) ist eine Technik gemeint, die beim Netzbetreiber eine Zuordnung zwischen öffentlichen IP-Adressen und Portnummern zu den jeweiligen Anschlussteilnehmer:innen herstellt. Es wird also möglich die Person hinter einer IP-Adresse im Mobilfunknetz auszuforschen. Mit IPv6 wird diese Technik jedoch obsolet. Sollte mit dieser Maßnahme eine dauerhafte Speicherverpflichtung einer Zuordnung zur späteren Beauskunftung durch Strafverfolgungsbehörden gemeint sein, bewegen wir uns auf eine Vorratsdatenspeicherung zu. Wir sind gespannt was damit gemeint ist.

Worauf sich die drei Parteien aber trotz vermehrter Überwachungsmaßnahmen nicht einigen konnten, ist eine dringend notwendige Überwachungsgesamtrechnung, um bestehende Aufgaben und Befugnisse auf deren Verfassungsmäßigkeit und Effektivität hin zu evaluieren.

(Online-)Radikalisierung, Hass im Netz & Terrorismusbekämpfung

Wir begrüßen, dass die zukünftige Regierung den Digital Services Act (DSA) unterstützt und sich für dessen Weiterentwicklung einsetzt. Als europäischer Rechtsakt zielt der DSA unter anderem darauf ab, (Online-)Radikalisierung und Hass im Netz durch eine stärkere Verantwortlichkeit großer Plattformbetreiber einzudämmen.

Besonders hervorzuheben ist dies angesichts der Tatsache, dass der DSA sowohl in Österreich durch die FPÖ als auch international durch die Trump-Administration massiv unter Beschuss stand – und das, obwohl das Gesetz noch in der Anfangsphase steckt und viele seiner erhofften positiven Effekte erst langfristig sichtbar werden.

Positiv ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Unterstützung für Faktencheck-Initiativen und „Trusted Flagger“ ausgebaut werden soll. Bei Trusted Flaggern handelt es sich um besonders vertrauenswürdige Meldestellen, die aufgrund ihrer Expertise und hohen Trefferquote bei der Identifizierung illegaler oder schädlicher Inhalte auf Online-Plattformen priorisiert behandelt werden. Es hat sich bereits gezeigt, dass es hier vor allem an finanziellen Ressourcen mangelt. Eine angemessene Ausstattung dieser Stellen könnte jedoch erheblich zur effektiven Durchsetzung des DSA beitragen

Digitaler Ausweiszwang aus der Kurz-Ära

Die ÖVP hat sich scheinbar mit ihrer Forderung aus 2018, einem digitalen Auszweiszwang, durchgesetzt. Unter der Prämisse „Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein“ wird die „Individualisierung durch Betreiber der Plattformen (und Herausgabe ab einer gewissen Deliktsschwere)“ gefordert. In der Praxis bedeutet dies wahrscheinlich, dass man sich mittels ID Austria oder anderen Mitteln bei einer Plattform ausweisen muss, bevor das Posten auf sozialen Netzwerken, in den Foren von derstandard.at oder krone.at oder auf anderen online Angeboten möglich ist.

In der Begutachtung zum letzten Entwurf für einen digitalen Ausweiszwang 2019 erntete der Vorstoß enorme Kritik vom Obersten Gerichtshof, dem Datenschutzrat, der Rechtsanwaltskammer, der OSCE und einer Vielzahl von NGOs. Dank des Ibiza-Videos scheiterte das Gesetz gemeinsam mit der türkis-blauen Regierung. Nun scheint die neue Regierung, die sich vornimmt „das Richtige zu tun“, diese Idee aus der Kurz-Ära aufzugreifen. Der massiven Gefahr für eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, dem Ausschluss von Menschen ohne ID Austria und der Sammlung von wertvollen Identitätsdaten durch Big Tech Plattformen wird sich der Vorschlag stellen müssen. Angesichts des bisher unbelegten Beitrags dieser Maßnahme für die Aufklärung von Straftaten und der alternativen Wege zur Ausforschung von Internet-Nutzer:innen, zweifeln wir stark an der Verhältnismäßigkeit. Wir warnen eindringlich vor diesem Vorschlag!

Präventivhaft, Asyl und Migration

Viele der Maßnahmen aus dem FPÖVP Programm finden sich mit einem Prüfvorbehalt auch im neuen Regierungsprogramm. Dazu zählt der Punkt „Prüfung weiterer freiheitsbeschränkender Maßnahmen gegen Gefährderinnen und Gefährder“. Hier ist wohl die Präventivhaft gemeint, die klar den rechtsstaatlichen Anforderungen widerspricht. Die Einführung einer vorbeugenden Haft, ohne dass eine Person auch nur ansatzweise Vorbereitungshandlungen für eine potenzielle Straftat gesetzt hat – ganz zu schweigen von einer gerichtlichen Verurteilung jedweder Art - wäre eine drastische Abkehr vom Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, der EU-Grundrechte Charta und der europäischen Menschenrechtskonvention.

Ebenfalls soll der Einsatz von „KI-unterstützter Spracherkennungssoftware in asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren“ geprüft werden. Derartige Software hat sich als fehleranfällig bewiesen und könnte besonders bei unterrepräsentierten Sprachgruppen drastische Konsequenzen für Schutzsuchende haben.

Wie bereits in den schwarz-blauen Koalitionsverhandlungen zeichnet sich auch in der zukünftigen Regierung Einigkeit bei der Handydatenauswertung von Asylsuchenden ab. Hier gibt es keinen Prüfvorbehalt! Dies stellt einen massiven Eingriff in die Privatsphäre geflüchteter Menschen dar. Offenbar wird hier die pauschale und verdachtsunabhängige Auswertung des digitalen Lebens als Voraussetzung für den Schutz von Geflüchteten betrachtet. In Deutschland wurde dieses Vorgehen aufgrund schwerwiegender Bedenken bereits von den Gerichten für rechtswidrig erklärt.

Zuletzt soll auch die Drohnenüberwachung an den Grenzen Österreichs ausgebaut werden. Es gibt ein Bekenntnis zu Aufstockungen bei der EU-Grenzschutzagentur Frontex durch – nicht näher beschriebene – technische und rechtliche Maßnahmen zum Außengrenzschutz.

IT-Sicherheit & NIS2

Wie schon Anfangs erwähnt sieht die Regierung den massiven Nachholbedarf in Sachen Cybersicherheit in Österreich und verschreibt sich der Stärkung von Befugnissen und Fähigkeiten staatlicher Einrichtungen. Dabei wird aber übersehen, dass der Einsatz von einem Bundestrojaner letztendlich zu einer Schwächung der allgemeinen IT-Sicherheit führt, da für dessen Einsatz Schwachstellen in IT-Software hergestellt oder weiter aufrecht erhalten werden müssen, was auch von jeglichen Dritten (Kriminellen, fremden Staaten etc.) ausgenützt werden kann.

Positiv zu erwähnen ist die geplante Umsetzung der NIS2 Richtlinie, die in der vergangen Legislaturperiode versäumt wurde. Der damalige Entwurf wurde von vielen Seiten kritisiert und erhielt deswegen auch nicht die notwendige 2/3 Mehrheit im Parlament. Kernkritikpunkt war unter anderem die Kompetenzbündelung beim Innenministerium. Zukünftig soll eine eigene Behörde geschaffen werden, was grundsätzlich zu begrüßen ist, wobei darauf geachtet werden sollte dass die zukünftige neue Behörde mit entsprechender Unabhängigkeit ausgestattet wird, sowie die notwendigen finanziellen bzw personellen Ressourcen bekommt. Ansonsten wird darauf verwiesen „richtlinienkonform“ umzusetzen. Hier ist wichtig zu beachten, dass Cybersicherheit mittlerweile immense Bedeutung für den Lebensalltag aller Menschen aber auch im geostrategischen Kontext hat – es ist daher wichtig diesem Thema auch die notwendige Priorität einzuräumen, diese sehr knappen Zeilen im Programm lassen uns zweifeln, dass die auch von der Regierung gesehen wird.

Aufgrund des bestehenden Fachkräftemangels wäre es wichtig die bestehende Expertise in Österreich auch zu aktivieren, dementsprechend sind wir darüber enttäuscht, dass Fragen wie etwa der sichere Rechtsrahmen für IT-Sicherheitsforschung oder die Einbindung von Wirtschaft, Forschung und Zivilgesellschaft in strategische Fragestellungen von IT-Sicherheit nicht im Programm vorkommen. Stattdessen wird nur schwammig darauf verwiesen, dass die Ausbildung und Anwerbung von Fachkräften im Bereich IT-Security gestärkt werden soll. Eine „Evaluierung der derzeitigen Bestimmungen zur Cyberkriminalität“ könnte auf die dringend notwendige Rechtssicherheit für Sicherheitsforscher:innen hinauslaufen oder eine Verschärfung von Hacking-Paragraphen bedeuten.

Wir empfehlen dringend eine, wie von den (damaligen) Oppositionsparteien auch vorgeschlagene, Enquete des Nationalrats zu dieser wichtigen Thematik einzurichten um einen offenen Austausch zu fördern, anstatt auf die Schnelle Strukturen zu schaffen die letztendlich nicht der IT-Sicherheit unseres Landes dienlich sind.

Verwaltungsdigitalisierung, ID Austria & Recht auf Analoges Leben

Insgesamt 45 Maßnahmen finden sich im Regierungsprogramm im Bereich der Modernisierung der Verwaltung und dem Ausbau von eGovernment Angeboten. An mehreren Stellen wird der Ausbau des elektronischen Akts in allen Bereichen der öffentlichen Verwaltung erwähnt. Gleichzeitig hat die Koalition gemäß dem „Recht auf Analoges Leben“ in den Wahlprogrammen von ÖVP und SPÖ Maßnahmen zur Inklusion von Menschen ohne digitale Kompetenzen oder ohne ID Austria gesetzt.

Es gibt dazu eine klare Festlegung der Koalition zum „einfachen, barrierefreien, inklusiven und diskriminierungsfreien Zugang“ in analoger Form zu Informationen und Angeboten des öffentlichen Lebens. Dazu zählt auch die Absage an „online-only“ worunter die Aufrechterhaltung von persönlichen, schriftlichen oder telefonischen Zugängen zu Verwaltungsleistungen der Daseinsvorsorge festgeschrieben ist. Letztlich wird versprochen, Bescheide oder behördliche Informationen auch künftig auf Papier kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Diese Maßnahmen bleiben jedoch hinter dem Diskriminierungsschutz des künftigen EU Systems für digitale Identitäten (eIDAS) weit zurück. Diese umschließen nämlich auch Privatwirtschaft und Arbeitsmarkt. Was national reformiert werden sollte, haben wir bereits im November zusammengefasst.

Als die ID Austria unter Ministerin Schramböck eingeführt wurde, gab es das Versprechen, dass ihre Nutzung für alle Menschen freiwillig bleibt. Davon will man scheinbar abrücken, denn im Regierungsprogramm heißt es: „Die ID Austria wird bereits bei der Geburt ausgestellt.“ womit Erziehungsberechtigte für ihre Kinder schon Verwaltungsprozesse auslösen können. Viele Eltern wollen dies für ihre Kinder womöglich nicht. Hier wäre deshalb eine Wahlmöglichkeit wichtig, um Vertrauen in der Bevölkerung zu erhalten und zu stärken.

Ebenfalls soll die ID Austria künftig verstärkt in der Privatwirtschaft für Login und Kundenidentifikation forciert werden. Auf die Gefahren von staatlichen Identitäten in der Privatwirtschaft wird von uns bereits seit vielen Jahren hingewiesen. Durch EU-Vorgaben hat die Bundesregierung hier jedoch keinen Spielraum mehr. Sträflich vermissen wir jedoch die notwendigen Maßnahmen zur Umstellung der ID Austria auf das neue EU-System der eIDAS Verordnung. Spätestens im November 2026 muss diese Umstellung passiert sein und viele EU Staaten sind hier schon deutlich weiter als Österreich. Für den Datenschutz wäre das EU-System ein großer Fortschritt.

Gesundheit & Registerforschung

Das umstrittene Austrian Micro Data Center (AMDC) soll ausgebaut werden. Trotz massiver und parteiübergreifender Kritik wurde 2021 die Öffnung von staatlichen Registerdaten für die Forschung unter gleichzeitiger Abschwächung des Datenschutzes beschlossen. Dieses Projekt soll nun weiter ausgebaut werden, mit dem Ziel alle Registerdaten auf Bundesebene bis zum 1. Juli 2026 zu öffnen. Ohne einer vorherigen Reparatur des Registers wäre dies eine tickende Zeitbombe, denn unter den derzeitigen Regeln ist eine Zweckentfremdung der Daten oder eine re-Identifikation von Personen nicht ausgeschlossen. Eine saubere Anonymisierung der Daten wäre möglich, ist jedoch nicht im derzeitigen Gesetz vorgesehen.

Ebenfalls im Regierungsprogramm findet sich die Öffnung von Gesundheitsregistern für das AMDC. Dadurch würden auch sensiblen Gesundheitsdaten an die Forschung abgegeben werden, ohne dass sich Betroffene dagegen wehren können. Auch für Kinder und Jugendliche sollen die Gesundheitsdaten explizit angereichert werden, um deren „sozio-ökonomischen Hintergründe“. Beispielsweise wird das Einkommen der Eltern, Wohnverhältnisse, Daten aus dem Bildungsbereich, etc. mit Gesundheitsdaten bei der Statistik Austria zusammengeführt und dann auf Antrag an Forschungsinstitutionen herausgegeben. Damit scheint Österreich weit über den European Health Data Space (EHDS) hinauszugehen, der zwar die Nachnutzung von Gesundheitsdaten durch die Forschung vorsieht, jedoch mit besseren Datenschutzvorgaben und ohne deren Verknüpfung mit Daten aus anderen Lebensbereichen.

In einem Nebensatz erwähnt die Koalition die „Wahrung des Opt-out-Systems“ bei ELGA. Der seit 2021 existierende Impfpass soll künftig auch als App zur Verfügung gestellt werden. Von einer Reform des Impfregisters und der Einschränkung auf Impfungen gegen gefährliche oder ansteckende Krankheiten ist nichts zu lesen.

Künstliche Intelligenz

Die Thematik Künstliche Intelligenz findet sich an 25 Stellen im Regierungsprogramm, was angesichts der raschen Entwicklung in diesem Bereich auch angebracht ist. Unter welchen Gesichtspunkten sich die Koalition diesem Thema nähern möchte erschließt sich bereits aus den dazugehörigen Überschriften: „Die Chancen von KI nützen“ bzw „Digital- und KI Standort“. Anstatt wie auch vom europäischen AI Act beabsichtigt eine unabhängige Aufsichtsbehörde zu schaffen, möchte die zukünftige Regierung die derzeitige KI-Servicestelle zur Behörde umtaufen und ihr zusätzlich die Aufgabe der rechtlichen Beratung von Organisationen und Unternehmen bei der Umsetzung von KI-Maßnahmen übertragen. Das ist aus unserer Sicht ein klarer Interessenskonflikt und geht auch am Ziel des AI Acts, eine Marktaufsichtsbehörde zu schaffen, völlig vorbei. Damit es hier nicht zu Missverständnissen kommt, es ist jedenfalls begrüßenswert wenn die Regierung eine unabhängige Beratung zur Verfügung stellen möchte – nur sollte dies nicht durch die Stelle erfolgen die anschließend Verfahren durchführt und Sanktionen verhängt.

Im Programm ist die Prüfung der Einrichtung einer Kontrollstelle zur Sicherung des Grundrechtsschutzes durch KI-Systeme vorgesehen. Uns ist nicht klar, was damit beabsichtigt wird. Grundsätzlich sieht nämlich der AI Act selbst vor, dass Behörden und öffentliche Stellen benannt werden, welche mit Aufsichts- oder Durchsetzungsbefugnissen für Grundrechte ausgestattet sind (vgl Art 77 AI Act). Derlei Stellen wurden bereits benannt in Österreich, darunter finden sich etwa die Datenschutzbehörde oder der ÖGB. Wenn nun andere Organisationen der Meinung wären, zu diesen Stellen gehören zu sollen kann dies formfrei per E-Mail beim BKA angeregt werden. Eine Einrichtung auf bloß nationalstaatlicher Ebene außerhalb des AI Acts, wäre wohl europarechtlich schwierig, als auch in der Sache wohl redundant.

Kritisch bewerten wir den vermehrten Einsatz von KI in der öffentlichen Verwaltung. Es sollen Large Langauge Models (Chatbots) für Mitarbeiter:innen und Bürger:innen zur Entlastung geschaffen werden. Damit sollen auch „Routinetätigkeiten“, „Verschlankungspotentiale“ und „Überprüfungen“ (von Mitarbeiter:innen?) erfolgen. Dabei liefert die Regierung keine Antworten darauf, wie bekannte Probleme derartiger Systeme (Bias, Halluzinationen, Übertragung von Entscheidungskompetenzen, etc.) gelöst werden sollen. Anfang letzten Jahres haben SPÖ und NEOS noch mit parlamentarischen Anfragen auf die Blamage des AMS-Chatbots reagiert und nun scheinen sie unreflektiert die selben Fehler in der Regierung zu wiederholen. Sollte auf oesterreich.gv.at bald ein Chatbot Falschinformationen verbreiten oder über die Vergabe von Sozialleistungen eine diskriminierende KI entscheiden, stellt sich die Frage der politischen Verantwortung.

Ein Bewusstsein bzw. eine entsprechende Strategie zur Stärkung des Arbeitnehmer:innen- bzw. Verbraucher:innen Schutzes im Kontext von KI-Anwendungen fehlt aus unserer Sicht derzeit noch. Hier wäre es angebracht nicht bloß zukünftige Chancen sondern bereits existierende Nachteile zu bedenken. Positiv ist zu erwähnen, dass die Schaffung einer Abteilung für Beschäftigtendatenschutz in der Datenschutzbehörde mit entsprechender Ressourcenausstattung vorgesehen ist. In diesem Bereich gab es bisher nur sehr wenige Entscheidungen der Datenschutzbehörde, es ist daher zu begrüßen, dass auf diesen datenschutzrechtlich besonders sensiblen Bereich mehr Aufmerksamkeit gelenkt wird.

Bildung & Kinderschutz

Auch im Kapitel zum Bildungsbereich gibt es viel Licht und Schatten und vieles hängt an der konkreten Umsetzung. Insgesamt 28 geplante Maßnahmen im Bildungsbereich drehen sich um Digitalisierung und den Umgang damit im Bildungssystem. Viele davon sind positiv zu bewerten da sie vor allem dem technischen Fortschritt und gesellschaftlichen Herausforderungen Rechnung tragen wollen. Es sind inhaltliche Weiterentwicklungen bei Unterricht und Forschung genauso geplant, wie ein Ausbau der notwendigen Infrastruktur wie zB. modernen Arbeitsplätzen für Lehrkräfte und digitalen Klassenzimmern.

Eine Stärkung der informatischen Bildung soll aufbauend auf der digitalen Grundbildung in der Unterstufe auch in der Oberstufe eingeführt werden. Es ist geplant eine bundesweite Regelung von Handyverboten an Schulen festzulegen. Wie die altersgerechte Umsetzung konkret aussehen soll, bleibt offen. Wir begrüßen die Maßnahme, auch weil die gezielte Nutzung im Unterricht weiterhin möglich sein soll.

Bedenklich bewerten wir das Setzen auf KI im Unterricht und zur Lernförderung bei vielen Maßnahmen, wo wir einen zu unkritischen Umgang befürchten. Hier sollte auf datenschutzfreundliche Alternativen gesetzt werden und nicht auf Software wie ChatGPT , das würde die bekannten Datenschutzprobleme mit Anbietern wie Microsoft und Google fortführen. Hier fehlt uns ein klares Bekenntnis zu den vorhandenen Alternativen.

Der Ausbau von Lernplattformen, digitalen Schulbüchern u.a. soll ebenfalls beschleunigt werden. Bei der zentralen Schulplattform „Portal Digitale Schule“ für die Bundesschulen hat man zuletzt einen erfolgreichen Schwenk zu einer funktionierenden Open Source Plattform vollzogen. Damit wird Steuergeld nicht mehr in US-Anbieter gesteckt die sich nicht an unseren Datenschutz halten und die Daten der Kinder für eigene Zwecke verwenden, sondern es wird in transparente Lösungen investiert die wir kontrollieren und gestalten können. Dieser Weg sollte bei den vielen geplanten Digitalisierungsprojekten unbedingt konsequent weitergeführt werden. Dazu gibt es eine Erwähnung von „open-source“ und die Berücksichtigung „digitaler Souveränität bei Beschaffungen des Bundes“ im Kapitel Digitalisierung, sowie eine „Strategie zur digitalen Souveränität von Jugendlichen“ im Bildungskapitel.

Besonders kritisch sehen wir die an mehreren Stellen geplante Ausweitung der Datenerfassung zum Entwicklungsstand und Bildungsstand vom Kindergarten an. Zuletzt wurde unter türkis-grün eine Ausweitung der Speicherdauer der Bildungsdokumentation von 20 auf 80 Jahre beschlossen. Es ist geplant die Informationen zum Entwicklungsstand, dem Lernverhalten, den Ergebnissen aus Kompetenzmessungen mit sozioökonomischen Daten zu einem „digitalen Bildungspass“ zu verknüpfen. Hier soll ein Datenschatz über jedes Kind geschaffen werden, der in Zukunft noch viele Begehrlichkeiten von weiteren Stellen wecken wird.

Breitbandausbau & Netzsperren

Im Programm finden sich positive Maßnahmen zum Ausbau des Festnetz-Internet in Österreich. Dabei wird korrekterweise ein Fokus auf die Glasfaser-Technologie gesetzt. Ein besseres Kartenmaterial und Koordinierung verschiedener Akteure soll den Netzausbau befördern. Eine Erwähnung des wichtigen Konzepts der Netzneutralität findet sich leider nicht im Regierungsprogramm.

Besonders kritisch bewerten wir die Einführung von Netzsperren gegen illegales Glücksspiel. Unklar ist welche Form die „Schutzfilter im Internet zur Prävention gegen Pornographie und Gewalt“ annehmen werden. Jugendschutz auf dem Gerät selbst ist eine taugliche Lösung wohingegen netzbasierte optionale Filter gegen die EU-Regeln zur Netzneutralität verstoßen. Zum Thema Netzsperren sind gerade EuGH Verfahren aus Österreich anhängig und eine sinnvolle Regelung über die Telekomregulierungsbehörde sucht man Regierungsprogramm vergeblich.

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