Das netzpolitische Desaster von Türkis-Blau
Die türkis-blaue Koalition hat seit Ende 2017 viele netzpolitische Themen berührt, davon ging aber sehr vieles in die falsche Richtung. Einer der Themenschwerpunkte von ÖVP und FPÖ war die Etablierung neuer und stärkerer Formen von Überwachung und der Abbau von Grundrechten. Wir haben jene Gesetze und Maßnahmen unter die Lupe genommen, die wir in dieser Zeit kritisiert haben, um eine Zusammenfassung dessen zu haben, was die nächste Regierung besser machen kann.
- Digitaler Ausweiszwang: Gesetz über Sorgfalt und Verantwortung im Netz
- Sozialhilfegrundsatzgesetz und Sozialhilfestatistikgesetz
- Digitalsteuer
- Das Abwürgen einer ePrivacy-Verordnung auf EU-Ebene
- Weitergabe von Daten über Asylsuchende an die Bundesagentur
- Wehrrechtsänderungsgesetz: Mehr Befugnisse fürs Militär
- Fotos auf E-Cards
- Das Überwachungspaket
- Einschränkung der Menschenrechte von Asylwerbenden
- Österreich setzt DSGVO mangelhaft um
- Rasterfahndung in Gesundheitsdaten
- Telekommunikationsgesetz: neue Form der Vorratsdatespeicherung (verhindert)
- Die Übererfüllung der Fluggastdatenspeicherung
- Mangelhafte Umsetzung von österreich.gv.at kurz vor der EU-Wahl
- Gesetz zur Bildungsdokumentation
- Uploadfilter: Österreichs Abstimmungsverhalten bei der Urheberrechtsreform
- AMS-Algorithmus
Digitaler Ausweiszwang: Gesetz über Sorgfalt und Verantwortung im Netz
Noch nicht abgeschlossen ist die Causa des digitalen Ausweiszwangs. Der aus dem Kabinett Gernot Blümel stammende Gesetzesentwurf dazu befand sich bis 23. Mai in Begutachtung. Auch wir haben eine Stellungnahme publiziert, du findest sie hier. Wir haben darin kritisiert, dass das Gesetz nicht nur gegen EU-Gesetze verstößt, sondern auch einige Grundrechte nicht beachtet werden. Die drakonischen Strafen als auch die Verantwortung und Haftung, die man bestimmten Medienhäusern mit diesem Gesetz übertragen würde, stehen nicht in Relation zu dem, was man sich erhofft. Da Hassnachrichten im Internet bereits vorwiegend unter Klarnamen abgesetzt werden, ist zu bezweifeln, dass dieses Gesetz Hassrede eindämmen wird. Es wird aber ganz sicher viele davon abhalten, frei ihre Meinung zu äußern. Es bleibt zu hoffen, dass das Gesetz gar nicht erst verabschiedet wird.Sozialhilfegrundsatzgesetz und Sozialhilfestatistikgesetz
Das wohl am meisten diskutierte Gesetz der vergangenen Legislaturperiode dürfte das Sozialhilfegesetz gewesen sein, mit dem die Bundesregierung die Mindestsicherung neu aufstellen wollte. 147 Stellungnahmen gab es dazu, so viele wie nur selten. Auch wir haben uns eingeschaltet, denn wir haben hier dringenden Handlungsbedarf in Sachen Datenschutz gesehen. Nach der Begutachtung wurde zwar verbessert, dass Daten über Sozialhilfebezieher von den Ländern nicht mehr über den Bund an die Statistik Austria erfolgen, sondern direkt, viel Kritisierenswertes blieb aber oder kam gar noch hinzu. So wird nun auch das Herkunftsland der Eltern der SozialhilfebezieherInnen erhoben und viel mehr Daten müssen viel häufiger von den Ländern an diverse Behörden übermittelt werden. Dem Bund fehlt aus unserer Sicht außerdem die Kompetenz dafür. Lest die genauen Kritikpunkte hier nach. Weiters haben wir gemeinsam mit dem Forum Informationsfreiheit kritisiert, dass die Transparenzdatenbank, die ursprünglich für die Vergabe von Fördergeldern vorhergesehen war, nun auch sämtliche Sozialleistungen von Bürgerinnen und Bürgern akkumulieren soll. „Zum einen gehen die Zwecke der Verarbeitung von Daten im Gesetz weit über die Statistik hinaus. Der Bund hat zudem keine Kompetenzgrundlage für die Vollziehung der Sozialhilfe, ist also nicht zur im Statistikgesetz genannten ‚Aufrechterhaltung des Sozialwesens und der Feststellung der Voraussetzungen und Höhe der Leistung der Sozialhilfe‘ berechtigt“, so lautetet unsere Kritik.Digitalsteuer: Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür
Nachdem wir ja dafür bekannt sind, wirksam gegen die Vorratsdatenspeicherung vorgegangen zu sein, schauen wir uns alle neuen möglichen Formen dieser grundrechtswidrigen Einrichtung an. So haben wir auch festgestellt, dass die Digitalsteuer ein erneuter Versuch ist, diese Form der Datenspeicherung zu errichten. Sieben Jahre nämlich sollen IP-Adressen bei der Auslieferung von Online-Werbung aufgehoben werden. Was dem Gesetzesvorschlag gänzlich fehlt, ist eine Alternative zu dieser Form der Besteuerung - wieder einmal auf Kosten der Grundrechte.Das Abwürgen einer ePrivacy-Verordnung auf EU-Ebene
Kurz vor Ende der österreichischen Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2018 haben wir gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern diverser Organisationen das Vorantreiben der ePrivacy-Verordnung gefordert. Mit einem offenen Brief forderte ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis die österreichische Bundesregierung auf, endlich für effizienten Schutz der Kommunikation im Internet zu sorgen. Die EU-ePrivacy-Verordnung sollte unter der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft endlich angegangen werden. Mehr als 20 Organisationen, darunter die Arbeiterkammer, Gewerkschaften, Amnesty International Österreich und wir haben das Schreiben unterzeichnet. Nach über 700 Tagen nachdem der Vorschlag für diese Verordnung da war, ist trotzdem nichts passiert.Weitergabe von Daten über Asylsuchende an die Bundesagentur
Mit dem Gesetz über die Errichtung der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen wollte die türkisblaue Bundesregierung das Asylwesen wieder aus der privaten in die öffentliche Hand geben. Die Rechtsberaterinnen und -berater, die bisher AsylwerberInnen betreut haben, sollen unmittelbar alle Daten, die sie über diese Menschen haben, an die neue Bundesagentur weitergeben. Dieser Paragraf wurde überhaupt erst nach der Begutachtung eingeführt. Der freiwilligen Übergabe von Akten, Protokollen und erneuten Aussagen durch die Asylsuchenden an ihre neuen Rechtsberaterinnen und Rechtsberater des Bundes stünde dabei prinzipiell nichts im Wege. Die Weiterleitung im Rahmen des neuen Gesetztes soll aber gerade ohne eine derartige Zustimmung passieren. Hier kannst du die gesamte Kritik an diesem Gesetz lesen.Wehrrechtsänderungsgesetz: Mehr Befugnisse fürs Militär
Es kommt nicht oft vor, dass noch während der Begutachtungsphase eines Gesetzes eine Regierungsvorlage entsteht. So ist das beim Wehrrechtsänderungsgesetz der Fall gewesen, nachdem heftig kritisiert wurde, dass dem Militär nun Polizeibefugnisse erteilt werden sollten. Unsere Kritik daran kannst du hier lesen. Dieser Teil ist dann rausgefallen, viele weitere problematische Inhalte sind aber nach wie vor im Gesetz enthalten. Kritisiert haben wir auch den Umgang mit Kritik am Gesetz, denn die rasche Regierungsvorlage hat die vielen Kritiken nicht wirklich einfließen lassen. Zudem scheinen nicht alle Stellungnahmen beachtet worden zu sein.Fotos auf E-Cards
Das geplante Vorhaben, ab 2020 nur noch E-Cards mit einem Foto auszustellen, hat dazu geführt, dass den Sozialversicherungen der Zugriff auf die Bilddatenbanken von Reisepass- und Führerscheinbehörde erlaubt wird. Die hohen Kosten von angeblich über 32 Millionen Euro stehen nicht in Relation zum kolportierten Schaden. Wir haben die Zentralisierung dieser Datenbanken kritisiert und auch den sogenannten „mission creep“ wieder ins Gedächtnis gerufen, der nämlich dann eintritt, wenn man Anwendungen über ihren eigentlich Zweck hinaus ausweitet (in diesem Fall den Zugriff für) die SV-Träger.Das Überwachungspaket
Das Überwachungspaket wurde im April 2018 beschlossen und beinhaltet folgende Punkte:- Staatliche Spionagesoftware (Bundestrojaner); ab 1. April 2020
- Verstärkte Videoüberwachung; seit 1. März 2019
- IMSI-Catcher; seit 1. Juni 2018
- Überwachung im Straßenverkehr; seit 1. Juni 2018
- Vorratsdatenspeicherung 2.0; seit 1. Juni 2018
- Registrierungspflicht für Wertkarten; seit 1. Jänner 2019
- Einschränkung des Briefgeheimnisses; seit 1. Juni 2018