Netzneutralität ist das Erfolgsrezept des Internets. Dieses Prinzip besagt, dass alle Daten im Internet gleich behandelt werden müssen und Internetprovider ihre Kontrolle über die physische Infrastruktur des Netzwerks nicht missbrauchen dürfen. Diese Architektur hat das Internet zu einem universellen Netzwerk gemacht und die unvorstellbare Innovation und Vielfallt an Diensten hervorgebracht. Dieses Prinzip gerät in den letzten Jahren durch die Telekomindustrie zusehends unter Beschuss. Deshalb haben wir seit Jahren für die gesetzliche Absicherung der Netzneutralität gekämpft und uns im August 2016 auf EU-Ebene letztlich durchgesetzt. Jetzt geht es darum, auf die Einhaltung des neuen Gesetzes zu pochen und das Internet als freie und offene Plattform zu erhalten. 

Das Internet ist heute weit mehr als ein Luxusgut oder reine Unterhaltung. Vielmehr ist ein Internetzugang heute gleichbedeutend mit gesellschaftlicher Teilhabe. Vom Netz ausgeschlossen zu sein erschwert es ungemein sich zu bilden, einen Job zu finden oder informierte Wahl- und Konsumentscheidungen zu treffen. Das Internet gibt darüber hinaus auch jedem Menschen eine Stimme und ist essentiell für eine moderne Demokratie. 

Im Internet sich können alle Dienste derselben globalen Infrastruktur bedienen. Ohne Genehmigung kann jede Erfindung, jedes Startup und jede Meinung vom ersten Tag an für alle Internetnutzer*innen verfügbar sein. Das Netzwerk kümmert sich nicht darum, ob ein Datenpaket korrekt, legal oder wichtig ist. Die Intelligenz befindet sich an den Enden des Netzwerks. Oder um es mit den Worten von Lawrence Lessig zu sagen: 

Like a daydreaming postal worker, the network simply moves the data and leaves the interpretation of the data to the applications at either end. This minimalism in design is intentional. It reflects both a political decision about disabling control and a technological decision about the optimal network design.

Lawrence Lessig: Code and other Laws of Cyberspace. New York: Basic Books 1999. p. 32

Die EU-Kommission schlägt die Abschaffung der Netzneutralität vor 

Am 11. September 2013 stellte die damalige EU-Digitalkommissarin Neelie Kroes ein Gesetz für den Telekom-Binnenmarkt vor. Darin enthalten war eine Abschaffung der Netzneutralität. Das hat uns mobilisiert und sofort dazu bewogen, Änderungsanträge für dieses Gesetz vorzuschlagen. Gemeinsam mit einigen befreundeten NGOs in Brüssel, Berlin, Paris und Amsterdam wurde die Kampagne SaveTheInternet.eu als europäisches Bündnis für den Erhalt der Netzneutralität ins Leben gerufen. Diese Kampagne hat enorme Unterstützung von Wissenschaftlern, Firmen, Journalisten und tausenden Bürger*innen bekommen. 

Die Kampagne hat unter Anderem auch so gut funktioniert, weil wir dem modernen Thema Internet ein ganz altes Medium zur Seite gestellt haben. Auf der Website konnte man mit wenigen Klicks ein Fax an Europaabgeordnete verschicken. Über 40.000 Faxe wurden an die Büros der Abgeordneten verschickt und weil das Faxgerät gleichzeitig auch der Drucker ist, wurde so ein anfassbares Symbol des Willens der Bevölkerung zu den Abgeordneten gebracht. Durch all diese Anstrengungen haben wir es geschafft, in erster Lesung des Europaparlaments den Vorschlag der Kommission grundlegend abzuändern und mit dem neuen Gesetzestext echte Netzneutralität zu garantierten. 

Leider ist ein EU-Gesetzgebungsprozess im Parlament noch nicht zu Ende. Es muss auch noch der Rat der zuständigen Minister der Mitgliedsländer dem Gesetz zustimmen. Dort wurde ein Kompromiss zwischen Kommissions- und Parlamentsposition gewählt. Im darauf folgenden Trilog hatten wir nur noch sehr geringen Einfluss und die wenigen Verhandler haben sich hinter verschlossenen Türen für einen sehr wackeligen, mehrdeutigen Text entschieden. Dieser wurde am 27. Oktober 2015 in Straßburg angenommen. Aber auch damit war es noch nicht vorbei. 

New Hope: BEREC als der Retter der Netzneutralität 

Im letzten Schritt musste das Gremium der Europäischen Regulierungsbehörden (BEREC) Leitlininen zur Umsetzung des Gesetzes erlassen. Wir haben uns – wie über den gesamten Prozess hinweg – intensiv mit rechtlichen Analysen, vielen Gesprächen und Diskussionsrunden in die Debatte eingebracht. Wir sind sogar zu den meisten Regulierungsbehörden gefahren und hatten dort Gesprächstermine um die Behörden mit guten Argumenten auf Basis unsere Expertise der letzten Jahre zu überzeugen. Natürlich gab es auch eine neue Version der Kampagne SaveTheInternet.eu, inzwischen bereits die siebte Version der Website. 

Faxe allein wären nicht ausreichend gewesen, um Regulierungsbehörden zu überzeugen. Mittels einer öffentlichen Konsultation zu den neuen Leitlinien in den Sommermonaten 2016 konnten sich die Bürger dennoch in den Prozess einbringen. Obwohl dieser Konsultationszeitraum in der Urlaubszeit haben wir es geschafft, über unsere Kampagnenplattform eine halbe Million Kommentare aus ganz Europa an BEREC zu übermittlen. 

Bisher hatte BEREC maximal hundert Rückmeldungen eine Konsultation, diesmal wurden alle Dimensionen gesprengt. Am Ende waren es dann aber vor allem unsere sachlichen Argumente, die den Ausschlag gegeben haben. BEREC hat am 30. August 2016 Leitlinien zum Schutz der Netzneutralität erlassen, die das Prinzip der Netzneutralität fast allumfänglich absichern.

Lesen Sie die volle Geschichte der drei jährigen europaweiten Kampagne. How we saved the internet in Europe

Das neue Recht auch durchsetzen

Wir gelten inzwischen weit über Österreichs Grenzen als geschätzte Experten für Fragen der Netztneutralität und sprechen über dieses Thematik als Sachverständige und Vortragende in ganz Europa. Wir wollen künfitg auch mehr Fälle von Verletzungen der Netzneutralität verfolgen und mittels der Regulierungsbehörden und der Gerichte für die Einhaltung der Netzneutralität kämpfen. 

Politisch wird der Kampf mit dem neuen Gesetz zum EU Telecoms Code und der EU-Verordnung zur Organisation von BEREC weiter gehen. Wir kämpfen weiter für den Erhalt eines freien und offenen Internets. 

Forderungen: 

  • Das Internet muss als freies, offenes Medium erhalten bleiben und darf nicht dem Gewinnstreben einzelner Unternehmen unterworfen werden.
  • Das Internet ist designt, keine Entscheidungen über die Qualität, Legalität oder Wichtigkeit eines Datenpakets zu treffen. Die Intelligenz und die Innovation sitzt an den Endknoten des Netzes, bei den Nutzern.
  • Innovation without permission! Das Internet ist deshalb so innovativ und vielfältig für unsere Gesellschaft und Wirtschaft weil es allen erlaubt, ohne Lizenz ihre neuen Dienste ans globale Netz anzuschließen und dort überall auf der Welt gleich gut verfügbar zu sein.

Hauptkritikpunkte:

  • Diskriminierungsverbot: Internet Provider (ISPs) sollen nicht zwischen einzelnen Anwendungen oder klassen von Anwendungen diskriminieren.
  • Keine bezahlten Überholspuren: Es darf keine bezahlten Überholspuren im Internet für finanzkräftige Konzerne geben. Jedes Unternehmen, jede Erfindung und jede Idee sollten gleich gut verfügbar sein.
  • Spezialdienste dürfen nicht zur Umgehung der Netzneutralität genutzt werden. Sogenannte Spezialdienste müssen sich nicht an die Netzneutralität halten, weil sie parallel zum Internet verlaufen. Dienste aus dem offenen Internet dürfen nicht als Spezialdienst reklassifiziert werden.
  • Verkehrsmanagement darf nicht zwischen Anwendungen unterscheiden. Wenn ein Provider in den Netzwerkverkehr eingreift, sollte er nicht zwischen einzelnen Anwendungen unterscheiden, sondern andere Kriterien wie den Verbrauch der Nutzer oder nutzergesteuerte Qualitätssicherung (user-controlled QoS) verwenden. (application agnostic network management)

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Der Artikel erschien im Orignal hier und wurde von Anna Biselli übersetzt. Zuerst erschienen auf Netzpolitik.org.

 

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Hier ist seine Rede im Wortlaut:

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Seit etwas mehr als zwei Jahren herrscht in der Europäischen Union ein gesetzlich verankertes Grundprinzip der Netzneutralität. Das bedeutet, dass kein Internet-Service, keine App und kein Software-Programm, das mit dem Internet verbunden ist, im Internet „diskriminiert“ werden darf. Wer sich einen…