2019 war für uns ein sehr arbeitsreiches und intensives Jahr. Im Prinzip kann man das Jahr aus Sicht unserer Arbeit dreiteilen: In den ersten fünf Monaten des Jahres haben wir uns hauptsächlich darauf konzentriert, uns aktiv in den Gesetzgebungsprozess in Österreich einzubringen. Neben unserer europäischen Arbeit, die viel Zeit in Anspruch nahm - zum Beispiel mit unserer Copyright-Kampagne -, war das eine große Herausforderung, denn von der damaligen österreichischen Regierung kamen viele Angriffe gegen das freie Internet. Wir konnten uns aber auch als ExpertInnen in diversen Gremien einbringen und haben zahlreiche parlamentarische Stellungnahmen zu Gesetzesentwürfen geschrieben. Ende Jänner haben wir dann zudem unsere Studie zur Lage der Netzneutralität in Europa präsentiert, die weltweit Anklang fand. 

Als im Mai 2019 wegen des Ibiza-Skandals die Koalition in Österreich aufgelöst wurde, waren viele Gesetze, die Türkis-Blau noch geplant hat und auf die wir uns innerlich und teilweise organisatorisch schon vorbereitet haben, plötzlich kein Thema mehr. Wir haben viele unserer Pläne verworfen, umgestaltet und uns in dieser Phase vor allem darüber informiert, wie die Parteien zu zehn - aus unserer Sicht - wichtigen netzpolitisch aktuellen Themen stehen. Fast alle Parteien haben uns geantwortet und in einem Ampelsystem haben wir dargestellt, welche Positionen aus unserer zivilgesellschaftlichen Sicht für ein offenes und freies Internet und weniger Überwachung am gefährlichsten sind. Das wird Teil der Basis unsere Arbeit in der nächsten Legislaturperiode. 

Während der Wahlkampfphase in Österreich und nach der Wahl haben wir als Verschnaufpause vor dem nächsten Gesetzgebungsprozess viele Fragen an den Staat gerichtet und die Zeit dafür genutzt, unser Handbuch zur Evaluierung von Überwachungsmaßnahmen (kurz „Handbuch Überwachung“) voranzutreiben (es befindet sich in der Schlussphase). Außerdem haben wir die Beschwerde gegen die Fluggastdatenspeicherung vors Bundesverwaltungsgericht gebracht. Wir verfolgen auch intensiv, wie sich der Verfassungsgerichtshof in der Sache des Bundestrojaners und der KFZ-Überwachung entscheiden wird und waren bei der öffentlichen Anhörung

Neben dieser Arbeit haben wir wieder zahlreiche Vorträge gehalten, waren auf Kongressen, sehr oft in Brüssel im Europaparlament und anderen Städten (sogar in Südamerika), um dort über die Neuverhandlung der Netzneutralität, Plattformregulierung oder Überwachung zu sprechen. Wir haben uns mit Menschen aus der Telekommunikationsbranche getroffen, vielen Journalistinnen und Journalisten Antworten und Hintergrundgespräche geliefert. Wir waren im Fernsehen, im Radio, in Zeitungen, Magazinen und in vielen ausländischen Medien. Wir vernetzen uns mit anderen NGOs, mit PolitikerInnen und wir bleiben dabei parteipolitisch unabhängig. 

Hier nun ein kleiner Rückblick und ein Auszug aus unserer Arbeit im Jahr 2019:

Datenskandal bei der Post

Das Jahr hat für uns mit Beschwerden begonnen, die die österreichische Post betreffen. Die Post sammelt und verkauft die Daten von 2,2 Millionen Österreicherinnen und Österreichern – darunter persönliche Merkmale wie Adresse, Telefonnummer und Parteiaffinität. Wir haben ein Formular für die Datenauskunft zur Verfügung gestellt und später noch eine Anleitung für die Beschwerde bei der Datenschutzbehörde veröffentlicht.

Sozialhilfe-Statistikgesetz

Wie viele andere Organisationen, haben auch wir etwas an der Sozialhilfereform auszusetzen gehabt und das auch mit einer Stellungnahme kundgetan: Das Sozialhilfe-Statistikgesetz und Sozialhilfe-Grundsatzgesetz waren und sind aus unserer Perspektive datenschutzrechtlich fragwürdig. Viele personenbezogene Daten werden abgefragt, die nicht zur Vergabe von Leistungen in irgendeiner Form relevant sind. Einige Wochen nach der Begutachtungsfrist gab es dann in einer Regierungsvorlage einige kleine Verbesserungen, doch leider auch Verschlechterungen, wie bei der Übermittlung der Daten und der Datenverarbeitung. Die geplante Datensammelei hat auch dazu geführt, dass wir gemeinsam mit dem Forum Informationsfreiheit vor dem „gläsernen Bürger“ gewarnt haben. 

Neuverhandlung Netzneutralität

Als wir im Jänner unsere Studie zum Status der Netzneutralität in Europa präsentiert haben, wussten wir schon, dass diese wichtigen Regeln der Netzneutralität, die weltweit beispiellos sind, schon bald wieder in Frage gestellt werden. Das große Thema 5G ist für viele AkteurInnen eine geglaubte Gelegenheit, diese Regeln wieder aufzuweichen. Die Ergebnisse der Studie haben gezeigt, dass es viele Verstöße gegen die Netzneutralität gibt und diese oft zu wenig geahndet werden. In der Diskussion um neue Regeln bringen wir uns gerade proaktiv auf europäischer Ebene ein. Thomas Lohninger war außerdem wieder bei der Telekom-Hauptversammlung und hat auch bei der re:publica über 5G und Netzneutralität gesprochen. Am Beispiel Portugal haben wir außerdem gesehen, wie wichtig Netzneutralität tatsächlich ist. 

Fotos auf E-Cards

Immer wieder haben wir auch auf diese teure und unnötige Maßnahme aufmerksam gemacht: Fotos auf E-Cards kosten nicht nur sehr viel Geld, sondern erweitern auch den Zugriff der Sozialversicherungen auf Fotos von Pass- und Führerscheinbehörde.

Copyright-Richtlinie und unsere Kampagne

Ganz wichtig war uns dieses Jahr die Urheberrechtsrichtlinie, kurz Copyright-RL, in der es viele Baustellen gab, die uns nicht gefallen haben. Die sogenannten Uploadfilter konnten wir am Ende leider nicht verhindern, haben mit pledge2019.eu aber eine riesige europaweite Kampagne gestartet, die es über eine Telefontool erlaubt hat, mit EU-ParlamentarierInnen direkt in Kontakt zu treten (bzw. mit deren MitarbeiterInnen) und sie dazu aufzurufen, gegen die Richtlinie zu stimmen. 1.200 Anrufe wurden mit unserem Tool getätigt, es wurde fast 72h durchgehend telefoniert. Neben der Kampagne haben wir auch Demos unterstützt und sind mit einer völlig neuen und jungen Generation an netzpolitischen AktivistInnen zusammengeraten. 

Wehrrechtsänderungsgesetz

In einer Stellungnahme haben wir auch das Wehrrechtsänderungsgesetz kritisiert, mit dem dem Bundesheer einige polizeiliche Befugnisse erteilt worden wären. Unserer Kritik wurde leider nicht sehr konstruktiv begegnet und so haben wir uns auch darüber beschwert.

Digitalsteuer

Vor einer versteckten Vorratsdatenspeicherung haben wir auch gewarnt, als der Gesetzesentwurf zur Digitalsteuer kam. Nach unserer Kritik daran, dass IP-Adressen sieben Jahre lang gespeichert werden müssen, gab es leichte Verbesserungen. Die Problemstellen, auf die wir allerdings hingewiesen haben, bleiben weiter bestehen: Die Digitalsteuer schreibt eine bis Dato unerlaubte Datenspeicherung vor. 

Digitaler Ausweiszwang

Sehr zu unserem Ärger und dem Ärger der InternetnutzerInnen in Österreich, hat die türkis-blaue Regierung nicht von der Idee abgelassen, einen digitalen Ausweiszwang zu etablieren und hat dafür auch einen haarsträubenden Gesetzesentwurf präsentiert, der - Ibiza sei dank - so nicht mehr durchgekommen ist. Da dieses Gesetz der ÖVP aber anscheinend sehr wichtig ist, ist damit zu rechnen, dass das Gesetz - in einer wahrscheinlich etwas anderen Form - wieder auftauchen wird. Wir sehen jedenfalls darin den Versuch, den Diskurs im Internet abzuwürgen.

BBU-Errichtungsgesetz

Mit der Etablierung einer Bundesbetreuungsagentur für Asylsuchende wurde ein neues Gesetz verabschiedet, das die bisherigen Beraterinnen und Berater von AsylwerberInnen dazu verpflichtet, die Daten über ihre KlientInnen zu übermitteln. Wir haben einen absolut unachtsamen Umgang mit personenbezogenen Daten diagnostiziert. Der Paragraf dazu wurde übrigens erst nach der Begutachtungsfrist eingefügt. 

Internet of Things

Als wir zum Konsumentenschutzausschuss zum Thema „Internet of Things“ eingeladen waren, haben wir die Gelegenheit genutzt, uns mit diesem Thema noch intensiver auseinanderzusetzen. Wir haben in unserer schriftlichen Stellungnahme den Fokus besonders auf Regulierung gewisser Aspekte gelegt: Bewusstseinsbildung, geplante Obsoleszenz, ein Recht auf Sicherheit und Offline-Nutzung und Mindeststandards und Kennzeichnungspflichten.

PNR

Im Mai haben wir verkündet, juristisch gegen die Fluggastdatenspeicherung bzw. die dazugehörige Richtlinie vorzugehen. Aus unserer Sicht stellt sie eine erweiterte Form der Vorratsdatenspeicherung dar und ist deshalb grundrechtswidrig. Nach einer Beschwerde bei der Datenschutzbehörde, die sich selbst Unzuständigkeit attestierte und die Beschwerde deshalb ablehnte, stand uns der Weg zu einer Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht frei. Nun warten wir darauf, dass das BVwG dem EuGH Rechtsfragen dazu vorlegt und diese beantwortet werden. Wir haben auch ausführlich erklärt, warum die Vergrößerung des Heuhaufens nicht dazu führt, dass man die Nadel eher findet.

Bildungsdokumentationsgesetz

Die Erhebung der Daten von Schülerinnen und Schülern sowie deren Sicherheit sahen wir als großen Kritikpunkt am neuen Bildungsdokumentationsgesetz. Diese Dokumentation soll die gesamte Schul- und Ausbildungslaufbahn die Entwicklung einzelner Menschen aufzeichnen.

Bundestrojaner vor dem VfGH

Sehr genau beobachten wir auch das Verfahren gegen den Bundestrojaner und die KFZ-Überwachung (beides unter dem Titel „Sicherheitspaket“) vor dem Verfassungsgerichtshof. Auf Antrag der NEOS und der SPÖ sind die beiden Maßnahmen des Überwachungspakets gerade also in einem Prüfstadium. Die Entscheidung darüber soll am Mittwoch, den 11. Dezember verkündet werden. Bis dahin ist die Zusammenfassung der Anhörung vor dem Verfassungsgericht spannend nachzulesen

Gesichtserkennung

Im Dezember 2019 hätte er starten sollen: Der Einsatz der Gesichtserkennungssoftware in Österreich. Standbilder aus Überwachungskameras sollen mit dieser Software mit einer Datenbank abgeglichen werden, die Fotos aus dem Erkennungsdienst beinhaltet. Das war zunächst nicht so klar, denn die Ausschreibung der Software gab nicht alles preis. Aus einer fragdenstaat-Anfrage von Mathias Huter und einer Folgeanfrage von uns haben wir dann einige neue Infos dazu bekommen. Die hohen Fehlerquoten solcher Systeme und deren exzessiver Einsatz lassen nicht gerade viel Vertrauen in diese Maßnahme setzen, weshalb einige Städte diese Maßnahme bereits gänzlich verboten haben. Wir bleiben jedenfalls dran, auch wenn der Einsatz vorerst verschoben wurde

Videoüberwachung aus der Luft

Ein medial sehr großes Echo hat unsere Anfrage zu Drohneneinsätzen der Polizei hervorgerufen. Es waren doch einige überrascht, wie viel öfter als vermutet die Polizei dieses Fluggerät mittlerweile einsetzt. Insgesamt 76 Drohnen hat die Polizei mittlerweile - darunter auch die in den USA heftig kritisierten und für den polizeilichen Einsatz untersagten DJI Drohnen aus China.

AMS-Algorithmus

Seit einigen Monaten beschäftigt uns auch der AMS-Algorithmus. Nicht nur, weil Algorithmenregulierung etwas ist, das auf der netzpolitischen Agenda steht, sondern auch, weil wir mehr über den Algorithmus selbst erfahren wollen, da er zu recht im Verdacht steht, bestimmte Menschen zu diskriminieren. Wir haben deshalb Details zum Algorithmus veröffentlicht und wollen nun mit Hilfe der Zivilbevölkerung mehr über dessen Arbeitsweise herausfinden. Generell sind wir der Meinung, dass es hier vollkommen an Transparenz fehlt und bemühen uns, nach und nach mehr herauszufinden. Es ist immer größte Vorsicht geboten, wenn ein Computer über das Schicksal von Menschen entscheidet - in diesem Fall über dessen Chancen am Arbeitsmarkt.

Netzpolitisches Wahlbaromenter

Das Wahlbarometer war eine Ampel, die bei den problematischen Positionen der Parteien rot anzeigte. So kann man auf einen Blick sehen: Achtung, bei dieser Partei müssen wir in der nächsten Legislaturperiode besonders aufpassen. Spannend wird vor allem auch, wer sich in welchen Positionen wieder verbiegen wird. Die Geschichte hat uns gezeigt, dass die Aussagen der Parteien und dessen tatsächliches politisches Verhalten (z.B. bei Abstimmungen) schwer auseinander driften.

Änderungen im Strafvollzug

Der Ruf nach mehr Videoüberwachung in Gefängnissen - und zwar dort, wo man es eigentlich gerne privat hat, beispielsweise im Duschraum - hat uns auf den Plan gerufen: Wir haben neben vielen anderen ernstzunehmenden Organisationen eine Stellungnahme gegen den Einsatz und die Verschärfung solcher Maßnahmen plädiert.

HEAT 2.0

Das Handbuch Überwachung, also die Fortsetzung vom Handbuch zur Evaluation von Anti-Terror-Gesetzen (kurz HEAT), ging in die nächste Runde. Wir arbeiten bereits am Finale dieses Werks, das Überwachungsgesetze evaluieren soll. Eine Überwachungsgesamtrechnung, die längst überfällig ist. Es ist auch als Hilfestellung für die Zivilgesellschaft und Politik gedacht, um eine faktenbasierte, die Verhältnismäßigkeit wahrende Sicherheitspolitik zu erreichen.

Plattformregulierung

Zum Abschluss für all jene, die sich tiefer in die Materie graben wollen: Wir haben einen grundrechtsfreundlichen Vorschlag einer Plattformregulierung präsentiert, der auf platformregulation.eu nachzulesen ist. Der Vorschlag ist mit ExpertInnen aus der Wissenschaft und Zivilgesellschaft entstanden. Das Thema wird in der kommenden EU-Legislaturperiode von großer Bedeutung werden.

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