Epicenter.works, die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) und Stanford-Professorin Barbara van Schewick haben bei der Bundesnetzagentur eine Beschwerde gegen die Deutsche Telekom eingereicht. Ziel der Beschwerde ist es, Verletzungen des europäischen Netzneutralitätsgesetzes durch die Telekom zu beenden und die Internetqualität für Millionen von Telekom-Kund:innen zu verbessern.

Bezahlte Überholspuren am Eingang ins Telekom-Netz

Das Bündnis wirft der Telekom vor, künstliche Engpässe an den Zugängen zu ihrem Netz zu schaffen. Diese Engpässe werden von der Telekom gezielt genutzt, um von Online-Diensten zu verlangen, dass sie für den ungehinderten Zugang zu den Telekom-Kund:innen bezahlen.

Die Folge ist eine Zweiklassengesellschaft im Internet: Finanzstarke Dienste, die die Telekom bezahlen, werden schnell in das Telekom-Netz geleitet und funktionieren einwandfrei. Kleinere Anbieter und Start-ups, die sich diese Zahlungen nicht leisten können oder wollen, werden ausgebremst. Ihre Dienste laden langsam oder gar nicht  sie bleiben im Datenstau am Netzeingang der Telekom stecken.

Wie schafft die Telekom diese künstlichen Engpässe?

Das geht auch zu Lasten der Telekom-Kund:innen. Das Bündnis hat hunderte Beschwerden dokumentiert, in denen die Geschäftspraktiken der Telekom die Wahlfreiheit ihrer Kund:innen einschränkt: Bestimmte Webseiten und Dienste laden langsam oder gar nicht, berufliche Cloud-Dienste funktionieren nur eingeschränkt, eLearning-Videos und Spiele ruckeln, Video-Calls brechen immer wieder ab.

Damit verletzt die Deutsche Telekom aus Sicht der Beschwerdeführenden das europäische Netzneutralitätsgesetz gleich doppelt: Die Telekom verletzt das Verbot bezahlter Überholspuren und das Recht der Endnutzer:innen, über ihren Internetzugang Inhalte und Dienste frei wählen zu können.

Die Telekom ist der einzige Anbieter in Deutschland, der diese Engpässe am Netzeingang gezielt ausnutzt. Andere Internetanbieter in Deutschland bauen ihre Zugänge zum Netz aus, wenn dort Engpässe auftreten. Geld fließt dabei nicht.

Mit der Beschwerde fordert das Bündnis die Bundesnetzagentur auf, die Geschäftspraktiken der Telekom zu untersuchen und dem Verhalten der Telekom einen Riegel vorzuschieben.

Zur Beschwerde inkl. Anhänge

Thomas Lohninger, epicenter.works: „Die Telekom ist der einzige Internetanbieter
Deutschlands, der für Profitmaximierung die Zusammenschaltung des eigenen Netzes mit dem restlichen Internet künstlich verknappt und verteuert. Die von der Telekom ausgerufenen Preise für Zusammenschaltung liegen dabei x-fach über dem Marktpreis, denn der Standard ist sich gratis zusammen zu schalten. Wer nicht zahlt ist schlecht verfügbar. Die Leidtragenden sind dabei vor allem die Kund:innen der Telekom und die Online-Dienste. Beschwerden über dieses Problem lassen sich tausendfach im Internet nachlesen. Genau solche bezahlten Überholspuren zu verhindern, ist der Kern der Netzneutralität und damit auch die Aufgabe der Bundesnetzagentur hier durchzugreifen.“

Lina Ehrig, Leiterin Team Digitales und Medien beim vzbv: „Wenn Filme auf Streaming-Plattformen ruckeln, Seiten langsam laden oder gar nicht aufrufbar sind, ist für Verbraucher:innen oft nicht nachvollziehbar, was der Grund dafür ist. Dass ihr eigener Internetanbieter diese Probleme absichtlich entstehen lässt, um Geld zu verdienen, kommt den wenigsten in den Sinn. Doch die Deutsche Telekom schafft mit ihren Geschäftspraktiken künstliche Engpässe an den Zugängen zu ihrem Netz. Das schränkt die Wahlfreiheit von Verbraucher:innen ein. Die Bundesnetzagentur sollte die Einhaltung der Netzneutralität durch die Telekom sicherstellen und diese Praxis verbieten.“

Prof. Dr. Barbara van Schewick, Jura-Professorin & Direktorin, Zentrum für Internet und Gesellschaft, Stanford Universität: „Was die Deutsche Telekom hier betreibt, ist ein Frontalangriff auf das offene Internet. Die Telekom schafft künstliche Engpässe am Netzeingang und verkauft bezahlte Überholspuren, auf denen finanzstarke Dienste den Datenstau umfahren können. Dies schadet besonders kleinen Unternehmen, Startups und gemeinnützigen Organisationen, die sich die Telekom-Gebühren nicht leisten können. In den USA wurde diese Praktik schon vor Jahren verboten. Die Bundesnetzagentur muss jetzt handeln: Telekom-Kunden haben ein Recht darauf, das gesamte Internet uneingeschränkt zu nutzen – dafür bezahlen sie schließlich.“

Jürgen Bering, Leiter des Center for User Rights bei der GFF: „Wir sehen immer mehr Versuche von großen Unternehmen, sich mit mehr Geld auch mehr Publikum zu erkaufen. Große Plattformen nutzen ihre Dominanz aus, um bestimmte Meinungen zu verstärken und andere Meinungen zu verdrängen. Wenn die Netzneutralität bröckelt, können sich die gleichen Konzerne auch bei ihren Internetangeboten einen besseren Zugang zu den Menschen erkaufen. Das muss verhindert werden.“ 

Doppelt abkassiert: Kund:innen und Online-Dienste zahlen 

Im Gegensatz zu allen anderen deutschen Internetanbietern will sich die Telekom zweimal bezahlen lassen: einmal von ihren eigenen Kund:innen, und zusätzlich von den Online-Diensten, die durch diese Kund:innen genutzt werden. Nur wenn sowohl Kund:innen als auch Online-Dienste zahlen, funktionieren Webseiten bei der Telekom schnell und zuverlässig. 

Damit erhalten Telekom-Kund:innen nicht, wofür sie eigentlich bezahlen: einen uneingeschränkten, diskriminierungsfreien Zugang zum gesamten Internet.

Netzneutralität als Grundlage digitaler Grundrechte

Netzneutralität ist ein hohes Gut einer freien Gesellschaft. Nur wenn alle Inhalte unabhängig von ihrer Herkunft oder der Finanzkraft des Anbieters gleichermaßen zugänglich sind, können Nutzer:innen ihre Informations- und Meinungsfreiheit im Netz tatsächlich ausüben. Eine Einschränkung der Netzneutralität wie sie die Deutsche Telekom betreibt, führt dagegen langfristig zu weniger Angeboten, weniger Wettbewerb, höhere Kosten und weniger Innovation. Denn wenn die Erreichbarkeit von Inhalten davon abhängt, ob deren Anbieter den Internetanbieter bezahlt, entscheidet die Finanzstärke der Unternehmen darüber, welche Inhalte und Dienste tatsächlich genutzt werden können. Das verletzt Verbraucherrechte, die Netzneutralität und gefährdet den freien demokratischen Diskurs im digitalen Raum.

Regulatorischer Rückenwind für die Beschwerde

Die Beschwerde stützt sich auf geltendes EU-Recht zur Netzneutralität, das auch in Deutschland direkt anwendbar ist.

Im Dezember 2024 veröffentlichte das Gremium europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (BEREC) nach zweijähriger Untersuchung einen Bericht, in dem Praktiken beschrieben werden, bei denen ein Internetanbieter Engpässe am Netzeingang nutzt, um von Online-Diensten Zahlungen für den ungehinderten Zugang zu seinen Kund:innen zu verlangen. Der Bericht stufte solche Praktiken als mögliche Verstöße gegen EU-Netzneutralitätsregeln ein. Obwohl der Bericht keine Unternehmen direkt benannte, listete er mehrere Beispielfälle auf, bei denen in den meisten Fällen die Deutsche Telekom beteiligt war.

Ebenfalls im Dezember 2024 erteilte die Schweizer Telekom-Aufsicht ComCom dem Modell des doppelten Abkassierens eine klare Absage: Danach darf ein Internetanbieter von Unternehmen, die den von seinen Kund:innen angeforderten Datenverkehr liefern, kein Geld verlangen.

Diese aktuellen regulatorischen Entscheidungen stützen sowohl die faktischen Vorwürfe als auch die rechtliche Position der Beschwerdeführer.

Das Bündnis erwartet von der Bundesnetzagentur eine rasche Entscheidung, die Internetkund:innen in Deutschland endlich zur vollen Wahlfreiheit verhilft. Die Behörde muss betroffenen Anbietern Vertraulichkeit garantieren.

netzbremde.de

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