Unter dem Stichwort „digitales Vermummungsverbot“ hat die Bundesregierung heute ein Gesetz für eine Ausweispflicht im Internet angekündigt. Die neuen Regeln sind ein Frontalangriff auf das Mitmach-Internet, wie wir es kennen, und gefährden demokratische Diskursräume. Opfer von Hass könnten mit diesem Gesetz sogar mundtot gemacht werden.

Im heutigen Ministerrat hat die österreichische Bundesregierung ein bereits im letzten Jahr angekündigte Gesetzvorlage beschlossen. Der konkrete Gesetzestext ist zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels noch nicht vorhanden. Deshalb veröffentlichen wir hier den Leak, auf dem unsere Analyse beruht. Darin enthalten sind neue Verpflichtungen für Betreiber von Onlineforen, die wohl in den allermeisten Fällen zur Abschaltung dieser Foren führen werden. Mit drakonischen Strafen von EUR 500.000,- bis einer Million sollen die Betreiber dazu verpflichtet werden die Identität aller User zu erheben.

Ausweiszwang im Internet

Unter dieses Gesetz fallen alle Betreiber von Foren, die auf Österreich ausgerichtet sind, wenn diese mehr als 100.000 registrierte Nutzer haben, einen Jahresumsatz von mindestens EUR 500.000,- oder Presseförderung von mehr als EUR 50.000,- erhalten. Ausgenommen sind Online-Verkauf oder Tauschbörsen, Plattformen zur Vermittlung von Waren und Dienstleistungen oder Support-Foren. Konkret betrifft das Gesetz also derStandard.at, krone.at, reddit, Ärzteforen, Elternforen und viele weitere. Nicht von dem Gesetz betroffen sind die größten Brandherde von Hass im Netz wie unzensuriert.at und vermutlich auch geizhals.at.

Das Gesetz sieht vor, dass die Forenbetreiber zu jedem neuen Useraccount zuerst die Identität der Person erheben müssen und dann dauerhaft Name und Anschrift zu speichern sind. Das Gesetz schreibt keine Klarnamenspflicht vor, man kann also weiterhin unter einem Pseudonym posten. Jedoch müssen die Daten zum Zweck der Strafverfolgung an Behörden und auch an Privatpersonen herausgegeben werden, wenn diese sich ausweisen und glaubhaft machen, dass sie die Daten für eine Privatanklage wegen übler Nachrede, Beleidigung oder Ehrenverletzung benötigen.

Des weiteren schreibt das Gesetz vor, dass alle Useraccounts zu löschen sind, wenn sie länger als 1 Jahr inaktiv waren. Da es oft passiert, dass Leute einmal ein Jahr lang auf einer Plattform inaktiv waren, könnte so bereits nicht nur ihr Profil gelöscht werden, sondern im Zweifelsfall auch ihr gesamter Postingverlauf. Das wäre ein enormer Verlust an historischen Inhalten, die oft relevante Debattenbeiträge sein können.

Kontrolle auf Basis des Überwachungspakets

Positiv am Gesetz ist die Niederlassungsfiktion. Plattformen müssen nämlich eine ladungsfähige Adresse in Österreich einrichten, unter der Sie rund um die Uhr für Anfragen erreichbar sein müssen. Mit dem Entwurf gibt es jedoch auch eine Reihe an Problemen. Das Größte sind die enormen Strafen, die in den allermeisten Fällen zur Beendigung des Forenbetriebs führen werden. Wie die Identifikation des Users durch den Forenbetreiber gemacht werden soll, schreibt das Gesetz nicht vor. Die Telekom Austria hat in einem vorherigen Entwurf versucht, ihr eigenes Produkt „Mobile Connect“ in das Gesetz zu schreiben. Dem Vernehmen nach hat die FPÖ aber wenigstens diese unsaubere Industrieförderung nicht mitgetragen.

Durch die in Österreich seit 1. Jänner 2019 geltende SIM-Karten Registrierung sind Telekombetreiber aber der logischste Weg für die Identifikation von Usern mit österreichischen Rufnummern. Diese Dienstleistung werden Telekombetreiber wahrscheinlich den Forenbetreibern nicht gratis zur Verfügung stellen und da die Speicherung von Namen und Anschrift beim Forenbetreiber stattfinden muss, reicht eine einfache Speicherung der Rufnummer nicht. Eine SIM-Kartenregistrierungspflicht und dazugehörige Schnittstellen zur Identifikation gibt es aber nicht in allen EU-Ländern und EU-Bürger_innen mit fremden Rufnummern von einem österreichischen Online-Dienst auszusperren, wäre unionsrechtswidrig. Eine Identifikation wie bei Car-Sharing Diensten über einen Führerschein oder Reisepass kostet im unteren zweistelligen Bereich pro identifiziertem Nutzer.

Chilling-Effekt macht Opfer von Hass im Netz mundtot

Sobald in einem Verfahren die Identifikation eines Posters nicht möglich ist und das Gericht meint, der Forenbetreiber hätte im Vorfeld nicht bereits alles getan, um das zu verhindern, hagelt es eine Strafe von bis zu einer halben Million Euro. Auch große Onlinemedien sind vermutlich nicht in der Lage, mit diesem enormen Risiko umzugehen. Kleinere Projekte mit einer lebendigen Community können diesen Anforderungen definitiv nicht gerecht werden. Nach unserer Analyse des Textes fällt auch Facebook unter dieses Gesetz. Der US-Gigant wäre aber einer der wenigen Anbieter, der solchen Vorgaben noch gerecht werden könnte und dann als quasi Monopolist am Markt übrigbleibt.

Identitätsausstellung ist eine staatliche Hoheitsaufgabe, es verwundert, dass dieser Gesetzesvorschlag so plump und unbeholfen versucht, diesen Bereich zu privatisieren. Das angebliche Ziel dieses Gesetzes, Hass im Netz zu bekämpfen, wird damit klar verfehlt. Im Gegenteil werden die Opfer von Hass im Netz wie z.B.: Minderheiten, Whistleblower, Frauen und politisch aktive Menschen, dadurch bedroht, dass ihr Name und Privatanschrift für Privatanklagedelikte an Dritte herausgegeben werden müssen und diese Menschen sich vielleicht noch weniger am demokratischen Diskurs beteiligen. Und da die Daten der Personen, die eine Auskunft beantragen, nicht gespeichert werden, kann ein falsches Online-Posting zu Offline-Gewalt führen und Gegenrede zurückdrängen.

Dieses Gesetz ist ein Frontalangriff auf das Mitmach-Internet. Anstatt Hass im Netz zu bekämpfen, werden die Communities in Österreich unter Beschuss genommen, wo noch am ehesten ein demokratischer Diskurs stattfindet. Die Regierung hat sich nicht dazu durchgerungen, ehrliche Ansätze wie die Förderung von Deradikalisierung, Beratungsangebote für Opfer oder weniger politische Hetze gegen Minderheiten vorzuschlagen. Dieses Gesetz verfehlt sein eigentliches Ziel und bringt einen enormen Kollateralschaden für unseren demokratischen Diskurs. Wir werden alles tun, es zu verhindern.

UPDATE: Inzwischen wurde der Begutachtungsentwurf veröffentlicht. Die Begutachtungsfrist beträgt 6 Wochen bis zum 23. Mai 2019.

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