In einem offenen Brief erteilen sechs namhafte Umwelt-, Datenschutz- und Menschenrechtsorganisationen den Plänen von Stadträtin Ulli Sima, den 1. Bezirk für angebliche Verkehrsberuhigung künftig Video zu überwachen, eine Abfuhr. Weder ist das geplante Konzept verkehrspolitisch tauglich, noch mit dem Datenschutz in einer Millionenstadt vereinbar.

Die Stadt Wien plant an fast allen der 38 Zufahrten vom Ring in den ersten Bezirk Videokameras zu installieren und damit automatisch die Kennzeichen aller zu- und abfahrenden Autos zu erfassen. Bestraft werden soll, wer nicht im 1. Bezirk wohnt, kein Taxi oder LKW ist, kein Gewerbe im 1. Bezirk betreibt, oder von einem solchen Gewerbe nicht als Zulieferer oder Hotelgast akkreditiert ist. Wer unter keine dieser Ausnahmen fällt, bleibt trotzdem straffrei, wenn das Auto in einem Parkhaus im 1. Bezirk abgestellt wird oder aus der Inneren Stadt innerhalb von 30 Minuten ausgefahren wird. Das Modell hat mehr Löcher als ein Schweizer Käse.

"Die Behauptung eine vollständige Überwachung des 1. Bezirkes würde das Verkehrsproblem in der Innenstadt lösen ist schlichtweg falsch. Was Menschen brauchen, sind flächendeckende, zugängliche und günstige Alternativen zum Autoverkehr, in Außenbezirken wie in der Innenstadt. Vorschläge, wie das passieren kann, gibt es seit Jahren genug. Von Senkung des Tempolimits, Rückbau von Parkplätzen über Fahrradabstellplätze zu gratis Öffis liegen ausgearbeitete Konzepte auf dem Tisch. Mit diesem Vorhaben zeigt Ulli Sima wieder einmal, auf wessen Seite sie in Klimafragen steht. Und das ist sicher nicht die der jungen Klimabewegung", so Klimaaktivistin Lena Schilling.

"Flächendeckend Videokameras im dicht besidelten Stadtgebiet aufzustellen, ist aus Sicht des Datenschutzes ein Wahnsinn. Wenn Wien nicht in Richtung China samt Überwachung der dortigen Bevölkerung gehen will, sollte man schleunigst Abstand von diesen Überwachungsphantasien nehmen", so Datenschützer Thomas Lohninger von epicenter.works.

Zwangsläufig werden bei dem geplanten Vorhaben nämlich auch Fußgänger*innen und Radfahrer*innen von der Videoüberwachung erfasst, was hingegen bei bestehenden Systemen wie Section-Control oder Radarfallen nicht der Fall war. Noch dazu wird gerade der 1. Bezirk als Regierungssitz regelmäßig für Demonstrationen und Kundgebungen genutzt, deren Teilnehmer*innen automatisch ebenfalls ins Kreuzfeuer der Videoüberwachung kämen. Besonders problematisch dabei ist, dass Menschen, die wissen, dass sie videoüberwacht werden, ihr Verhalten ändern - im schlimmstem Fall sogar seltener von ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gebrauch machen.

Wir bezweifeln zudem, dass die technische und verwaltungsrechtliche Umsetzung dieses Vorhabens überhaupt so ausgestaltet werden könnte, dass ausschließlich Kennzeichen und nicht zusätzlich auch Bilder des Fahrzeugs oder der Lenker*innen erfasst werden würden. Auch die Straße überquerende Passant*innen oder Radfahrer*innen könnten von der Videoüberwachung betroffen sein. Außerdem müsste ein solches System zentral vernetzt sein, da nicht berechtigte KFZ, die den 1. Bezirk binnen 30 Minuten wieder verlassen oder in ein Parkhaus fahren, nicht gestraft werden sollen. Damit schafft die Stadt Wien einen Datenberg, von dem wir befürchten, dass er Begehrlichkeiten wecken wird und die Daten künftig auch für andere Zwecke verwendet werden.

"Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Polizei und Geheimdienst Zugang zu den Daten aus diesem Videoüberwachungssystem bekommen werden. Die Rechtsgrundlage für die Echtzeitübertragung dieser Daten an das Innenministerium gibt es bereits seit dem Überwachungspaket von 2018. Diese Echtzeitübertragung aller Videoaufzeichnungen an das Innenministerium braucht gemäß in § 53 Abs. 5 SPG keinen konkreten Verdacht und es gibt auch keinen ausreichenden Rechtsschutz, da weder ein Richter und nicht einmal der Rechtsschutzbeauftragte des Innenministeriums die Überwachungsmaßnahme genehmigen muss[1].", so Lohninger weiter.

Deshalb rufen heute sechs namhafte Umwelt-, Datenschutz- und Menschenrechtsorganisationen dazu auf, von diesen gefährlichen Plänen Abstand zu nehmen. Stadträtin Ulli Sima sollte nicht den Klimaschutz als Ausrede für ihre Überwachungsphantasien vorschieben. Keinesfalls sollte Klima- und Verkehrsministerin Leonore Gewessler bei der aktuell in Begutachtung befindlichen Novelle der Straßenverkehrsordnung diese Form der Videoüberwachung legalisieren. Es gibt tauglichere und menschenrechtskonformere Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung. Eine Videoüberwachung des Stadtteils mit den meisten Regierungsgebäuden und Demonstrationen, kann kaum das gelindeste Mittel im Sinne einer weltoffenen Stadt sein.

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