Innenstadtüberwachung mit Echtzeitzugriff der Polizei
In Österreich drohen bald überwachte Innenstädte. Verkehrsminister Hanke ließ letzte Woche mit dem Entwurf einer Änderung der Straßenverkehrsordnung aufhorchen. Darin soll Kameraüberwachung als legitimes Mittel zur Verkehrsberuhigung in ganz Österreich legalisiert werden. Automatisiert sollen ein- und ausfahrende Fahrzeuge erkannt und bei Rechtsverstößen Strafen ausgestellt werden. Vorrangig geht es um den 1. Bezirk in Wien, aber auch der 9. Bezirk, Wels, Graz, Linz und andere Städte in Österreich haben vor, solche Systeme einzuführen. Wir analysieren was rechtlich und technisch dahinter steckt!
Technisch erfassen Kameras immer Bilder und nicht nur Kennzeichen
Internationale Beispiele zeigen, dass solche Überwachungsmaßnahmen am Ende immer für polizeiliche Zwecke herangezogen werden. Auch wenn laut dem Entwurf nur mehrspurige Fahrzeuge erfasst werden sollen, befinden sich im Blickfeld der Kameras immer auch Passant:innen, Anrainer:innen, etc. Jeder Kennzeichenscanner macht immer zuerst ein Bild,in dem dann ein Auto und Kennzeichen erkannt werden – und dieses Bild kann natürlich gespeichert und ausgeleitet werden. Der Entwurf von Minister Hanke geht sogar einen Schritt weiter und verlangt explizit die Speicherung der Gesichter von Lenker:innen.
Echtzeitzugriff der Polizei
Seit 2018 gibt es in Österreich eine Bestimmung im Sicherheitspolizeigesetz (§ 53 Abs 5, 3. Satz), die es der Polizei erlaubt, Echtzeitzugriff auf Kamerasysteme von Städten und privaten Firmen mit Versorgungsauftrag zu bekommen. Einen Richtervorbehalt gibt es dabei nicht und auch unsere Bemühungen herauszufinden, wie oft die Polizei sich Kamerabilder verschafft, wurde vom Innenministerium abgelehnt. Diese Bestimmung aus der Zeit der türkis-blauen Bundesregierung ist auch nach der Meinung der Befürworter der Innenstadtüberwachung verfassungswidrig. Leider ist sie aber trotzdem anwendbar, weshalb Ministerin Gewessler in ihrem Entwurf zur Innenstadtüberwachung aus 2024 den Zugriff der Polizei explizit verbieten wollte. Das fehlt im aktuellen Entwurf.
Kein Schutz für Demonstrationen
Die Innenstadtüberwachung soll der Verkehrsberuhigung von dicht besiedeltem Gebiet dienen. Schon im VfGH-Urteil zur Section Control wurde klargestellt, dass die Überwachung auf der Straße nur in engen Grenzen zulässig ist. Damals ging es um Autobahnen, nun sind von dieser Überwachung Menschen betroffen, die in dem überwachten Gebiet wohnen, arbeiten, einkaufen oder demonstrieren. Gerade dort, wo sich Regierungsgebäude befinden, flächendeckend zu überwachen wird dazu führen, dass viele Menschen es sich zweimal überlegen noch auf Demos zu gehen. Ein solcher „Chilling Effect“ kann gefährlich für die Demokratie werden, gerade wenn auch in Österreich Parteien mit Nähe zu autokratischen Regimen an die Macht kommen sollten.
Offizielle Dokumente der Stadt Wien zeigen, wie flächendeckend Videoüberwacht werden soll. An jeder der 26 Zufahrten sollen 2 bis 7 Kameras aufgestellt werden. Diese müssen natürlich sichtbar am Boden und mit Hinweistafeln gekennzeichnet werden. Im Gegensatz zu jenem seiner Amtsvorgängerin beinhaltet der Entwurf von Minister Hanke keinen Schutz von Demonstrationen. Es fehlt eine Bestimmung, dass Kameras bei einer Demonstration mittels Fernbedienung zugeklappt oder verhängt werden müssen.
Analoge Verkehrsberuhigung wäre effektiver und billiger
Nun könnte man glauben, Videoüberwachung sei der effektivste und billigste Weg zur Verkehrsberuhigung. Jedoch zeigen Zahlen der Stadt Wien, dass man zwar mit einem zweistelligen Millionebetrag rechnet, um das System zu bauen und mehreren Millionen pro Jahr laufenden Kosten, aber trotzdem nur mit wenigen Prozent Verkehrsberuhigung. Internationale Vergleiche zeigen: Es geht auch ohne teure Überwachungstechnik! Barcelona, Singapur oder Curitiba in Brasilien sind gute Beispiele dafür. Auch in Wien gab es ein alternatives Konzept unter Vizebürgermeisterin Hebein. Diesem hat die BOKU sogar eine gutes Zeugnis ausgestellt. Bürgermeister Ludwig hat den Plänen jedoch nach seinem Amtsantritt mit einer persönlichen Weisung eine Abfuhr erteilt und pocht seitdem auf Videoüberwachung. Warum war Ludwig damals dagegen? Er hatte Datenschutzbedenken.
Vor diesem Hintergrund ist es interessant, dass Minister Hanke in seinem Entwurf nun auch nicht mehr von den Städten verlangt, dass gelinderen Mitteln zur Verkehrsberuhigung (Reduktion der Parkplätze, Durchfahrtsregeln, etc.) der Vorzug gegeben werden muss. Auch eine Datenschutzfolgeabschätzung ob die Kameras verhältnismäßig sind, ist nicht mehr vorgeschrieben, sondern nur noch generisch in den Erläuterungen enthalten.
Droht automatisierte Rechtsdurchsetzung in Zeiten von KI?
Das Speichern und Auswerten von großen Mengen von Daten ist sehr billig geworden. In Zeiten von sogenannter Künstlicher Intelligenz gibt es besonders in der Politik einen Trend zur Automatisierung. So könnte künftig versucht werden, ein kamerabasiertes System zur Verkehrsberuhigung dazu einzusetzen, um Rechtsverletzungen automatisch zu erkennen und zu bestrafen. Man kennt dies aus China, wo mittels Gesichtserkennung schon das bei Rot über den Zebrastreifen Gehen bestraft wird. Der vorliegende Entwurf erlaubt das automatische Strafen lediglich bei Verletzungen von verkehrsberuhigten Zonen und dem Fahren auf Busspuren. Denkbar wäre aber auch, andere Verwaltungsübertretungen so zu ahnden.
Verfassungskonforme Videoüberwachung zur Verkehrsberuhigung sieht anders aus
Angesichts der hohen Investitionskosten für solche Systeme und der leeren Staatskassen, sollteallen Regierenden daran gelegen sein, ein solches System verfassungskonform zu bauen. Wir orten im derzeitigen Entwurf ein massives Ungleichgewicht zum Nachteil des Datenschutzes und anderer Grundrechte, wie etwa der Versammlungsfreiheit. Sollte diese StVO-Novelle oder ein einzelnes System vom VfGH für verfassungswidrig erkannt werden, wären auf einen Schlag nicht nur viele Millionen Steuergeld versenkt, es würden auch wertvolle Jahre in der Verkehrspolitik verloren gehen.
In diesem Textvergleich der relevanten Bestimmung erkennt man gut die Unterschiede. Wir verweisen auf den damaligen Entwurf von Klimaministerin Leonore Gewessler aus 2024 und den aktuellen Entwurf von Verkehrsminister Peter Hanke aus 2025.
Auch wenn dieses Thema mindestens seit 2021 diskutiert wird, hoffen wir mit diesen Argumenten noch ein Umdenken der Regierung auszulösen. Einer Sozialdemokratie sollte der Schutz von Versammlungen, gerade im Regierungsviertel, ein essenzielles und historisches Anliegen sein. Die NEOS sind 2019 noch gegen die KFZ-Überwachung vor den Verfassungsgerichtshof gezogen. Sie bezeichnen sich als Bürgerrechtspartei, denen liberale Freiheiten wichtig sind. Deshalb vertrauen wir auf den demokratischen Prozess und rufen dazu auf, sich in der laufenden Begutachtung zu Wort zu melden.
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