Die Covid-19 Lockerungsverordnung
BGBl. II Nr. 197/2020 vom 30.4.2020
in Kraft ab 01.05 bis 30.06.2020
https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2020_II_197/BGBLA_2020_II_197.html
Kafkaesker Prozess
Die sogenannte Lockerungsverordnung wurde zwei Stunden vor In-Kraft-Treten kundgemacht. Diese Vorgehensweise ist mit unserem Rechtsstaat kaum vereinbar: Auch wenn die Kundmachungsvorschriften zwar grundsätzlich eingehalten wurden (obwohl man die Server-Überlastung des RIS kritisieren muss), ist es nicht zumutbar, dass über acht Millionen Rechtsunterworfene sich innerhalb von zwei Stunden mit einer neuen Rechtslage konfrontiert sehen, die wesentliche Veränderungen ihres täglichen Lebens mit sich bringen.
Die Regelungen, die in vielen Bereichen nun eine gewisse Öffnung zulassen, lassen oft mehrere Interpretationen zu. Es bleibt unklar, welche Regelung anwendbar ist und somit auch, welche Maßnahmen zu treffen sind. Der Ermessensspielraum, der der Exekutive damit bleibt, ist weiterhin zu groß und auch die Glaubhaftmachung von Ausnahmen (von Seiten der Betroffenen) ist oft schwierig. Die bereits im Regierungsprogramm vorgesehene Beschwerdestelle, die sich um Misshandlungs- und Willkürvorwürfe gegen Polizist*innen kümmern soll, wäre daher gerade jetzt essenziell. Die Öffnung vieler Bereiche (wie Gastronomie und Hotellerie) bleiben ungeregelt.
Auch wenn die Vorgängerregelungen aufgrund der Dringlichkeit schnell verabschiedet werden mussten und damit zu wenig Zeit blieb, gute Legistik zu betreiben, ist dies nun nicht mehr der Fall. Eine systematisch verständliche Ausarbeitung und parlamentarischen Begutachtung sowie eine öffentliche Debatte wären mittlerweile möglich und jedenfalls dringend notwendig gewesen. Das Vorgehen der Regierung erinnert in dieser Hinsicht mehr an Kafka als an einen ordentlichen Rechtsstaat.
Allgemeines
- Diese Regelungen gelten nicht für Schulen und Universitäten, sowie für Tätigkeiten im Wirkungsbereich der Organe der Gesetzgebung und Vollziehung, bei Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum und bei der Hilfsleistung von unterstützungsbedürftigen Personen oder zur Wahrnehmung der Aufsicht von minderjährigen Kindern.
- Kinder bis 7 Jahre und Personen, denen aus gesundheitlichen Gründen ein Tragen von Mund- und Nasenschutz (MNS) nicht zugemutet werden kann, müssen keine Maske tragen.
- Der Sicherheitsabstand von einem Meter muss nicht zwischen Menschen mit Behinderung und deren Begleitpersonen eingehalten werden.
- Der Abstand von einem Meter muss nicht bei geeigneter anderer Schutzvorrichtung zur räumlichen Trennung z.B.: Plexiglas eingehalten werden.
- Personen, die nur zeitweise im gemeinsamen Haushalt leben, sind Personen, die im gleichen Haushalt leben, gleichgestellt.
Konkret gibt es nun folgende neue Vorschriften
Wir dürfen ab nun jederzeit - ohne Angabe von Gründen - unsere eigenen vier Wände verlassen.
Öffentlichkeit
An allen öffentlichen Orten ist ab nun ein Meter Sicherheitsabstand zu allen nicht im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen zu halten. Beim Betreten öffentlicher Orte in geschlossenen Räumen muss zusätzlich ein Mund- und Nasenschutz getragen werden. Dies gilt auch in öffentlichen Verkehrsmitteln. Wenn diese jedoch zu voll sind, kann von der 1-Meter-Regel abgewichen werden. Auch in Flugzeugen darf von dieser Regelung abgewichen werden.
Kundenbereiche in Betrieben
Auch hier ist der Sicherheitsabstand von einem Meter zu allen nicht im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen einzuhalten und ein Mund- und Nasenschutz zu tragen. Die*der Betreiber*in des Geschäfts hat sicherzustellen, dass sie*er und seine Mitarbeiter*innen auch einen Mund- und Nasenschutz tragen oder z.B.: durch eine Plexiglaswand eine Tröpfcheninfektion erschwert wird. Außerdem muss sichergestellt werden, dass 10 m² pro Kunde zur Verfügung stehen. Bei Einkaufszentren gilt dies auf der gesamten Fläche des Einkaufszentrums (für Kunden zugängliche Bereiche) und zusätzlich in den einzelnen Betriebsstätten ebenso. Wenn aufgrund der Eigenarten der Dienstleistung dieser Mindestabstand nicht eingehalten werden kann oder kein MNS getragen werden kann, müssen andere geeignete Schutzmaßnahmen getroffen werden, um das Infektionsrisiko zu minimieren. Diese Regeln für Betriebsstätten sind für Einrichtungen zur Religionsausübung und auf Märkte im Freien sinngemäß anzuwenden.
An Orten wie Pflege-, Kranken- und Kuranstalten sowie Orten, an denen Gesundheits- und Pflegedienstleistungen erbracht werden, hat die*der Betreiber*in bzw. die*er Dienstleistungserbringer*in ebenso durch geeignete Schutzmaßnahmen das Infektionsrisiko zu minimieren. Abstand und MNS sind somit nicht verpflichtend.
Berufliche Tätigkeit
Im beruflichen Bereich gilt auch die 1-Meter-Abstands-Regel zu allen nicht im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen, sofern nicht andere Schutzmaßnahmen getroffen werden. MNS ist nur im Einvernehmen zwischen Arbeitgeber*in und Arbeitnehmer*in zulässig, außer es gibt eine andere Rechtsvorschrift die dies zwingend erforderlich macht (z.B.: Kundenverkehr). Wenn es die Eigenart der beruflichen Tätigkeit erfordert, ist der Sicherheitsabstand nicht einzuhalten und es müssen andere geeignete Schutzmaßnahmen getroffen werden. Diese Regeln sind sinngemäß auf Fahrzeuge des Arbeitgebers anzuwenden, wenn diese während der Arbeitszeit für berufliche Zwecke verwendet werden.
Fahrgemeinschaften
Bei privaten Fahrten mit mehreren Personen bzw. Taxi, Uber oder Ähnlichem dürfen - wenn nicht alle Personen im selben Haushalt leben - pro Sitzreihe maximal zwei Personen sitzen und es ist ein MNS zu tragen. Wenn alle Personen im Fahrzeug im selben Haushalt leben, sind keine Schutzmaßnahmen erforderlich.
(Sonstige) Ausbildungseinrichtungen
(Von dieser Regelung ausgenommen sind Kindergärten, Schulen, Universitäten, Fachhochschulen, Pädagogische Hochschulen.)
Ausbildungseinrichtungen dürfen nur zu bestimmte Zwecken betreten werden: Ausbildung im Bereich von Gesundheits-, Pflege sowie Sozial- und Rechtsberufen, Vorbereitungen und Durchführung von Reifeprüfungen, Schulabschlussprüfungen, Studienberechtigungsprüfungen, Basisbildungsabschlüssen und berufliche Qualifikations- bzw. Abschlussprüfungen sowie Zertifikationsprüfungen, Vorbereitung und Durchführung in von Fahraus- und -weiterbildungen sowie Fahrprüfungen (Führerschein), Ausbildungseinrichtungen nach dem Sicherheitspolizeigesetz einschließlich Vorbereitungstätigkeiten (Polizei, Schießstände etc.). Das Betreten dieser Ausbildungsstätten ist auch für berufliche Zwecke zulässig.
Auszubildende und Studierende haben - gleich ob in Gebäuden oder Draußen - gegenüber Personen, die nicht im selben Haushalt wohnen einen 1-Meter-Abstand einzuhalten und MNS zu tragen. Kann Aufgrund der Eigenart der Ausbildung dieser Abstand nicht eingehalten werden oder kein MNS getragen werden, sind andere geeignete Schutzmaßnahmen zu treffen.
Gastronomie
Das Betreten sämtlicher Betriebsstätten des Gastgewerbes ist untersagt. Auch Gastgärten fallen hierunter! (Das Betreten von Gastgewerbebetrieben ist für beruflich erforderliche Zwecke oder für Lieferservice erlaubt.) Diese Verordnung gilt bis 30. Juni. Damit besteht derzeit keinerlei Rechtsvorschrift, die eine Öffnung der Gastronomie mit 15. Mai erlaubt!
Ausgenommen von dieser Regelung sind Gastgewerbe in Kranken-, Kur- und Pflegeanstalten Seniorenheime und in Bereichen zur Betreuung und Unterbringung von Kindern und Jugendlichen inklusive Schulen und Kindergärten und Betriebskantinen, wenn diese nur von Betriebsangehörigen genutzt werden dürfen. Auch Hotels, Campingplätze und Restaurants in öffentlichen Verkehrsmitteln dürfen öffnen, wenn sie dies nur an die dort Beherbergten bzw. transportierten Gäste Verpflegung ausgeben. Das Abholen vorbestellter Speisen ist auch erlaubt.
In all diesen Ausnahmen ist sicherzustellen, dass Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben einen Abstand von mindestens einem Meter zu allen nicht im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen halten.
Beherbergungsbetriebe
Das Betreten von Beherbergungsbetrieben zum Zwecke der Erholung und Freizeitgestaltung ist untersagt. Damit besteht derzeit keinerlei Rechtsvorschrift, die eine gänzliche Öffnung der Hotellerie mit 29. Mai erlaubt!
Davon ausgenommen sind: Dauerstellplätze auf Campingplätzen, bereits vor dem 1. Mai eingemietete Gäste, Einmietungen zum Zweck der Betreuung und Hilfeleistung von unterstützungsbedürftigen Personen, Einmietungen aus beruflichen Gründen, Internate u.ä., Einmietungen zur Stillung eines dringenden Wohnbedürfnisses sowie Kurgäste.
Sport
Das Betreten öffentlicher Sportstätten zur Ausübung von Sport ist untersagt.
Davon ausgenommen sind Spitzensportler*innen (auch aus dem Bereich des Behindertensports), sowie Kaderspieler der zwölf Vereine der höchsten Spielklasse in Österreich sowie ÖFB-Cup Finalisten (alle inklusive Trainer/Betreuer) und Sportler, bei denen bei sportarttypischer Ausübung dieser Sportart zwischen allen Sportlern ein Abstand von mindestens zwei Metern eingehalten werden kann hinsichtlich nicht öffentlicher Sportstätten bzw. Flugfelder.
Zwischen den Personen muss ein Abstand von mindestens zwei Metern eingehalten werden. Sollten geschlossene Räumen betreten werden, müssen 20 m² pro Person zur Verfügung stehen.
Freizeit und Veranstaltungen
Das Betreten von Einrichtungen wie Museen, Ausstellungen, Bibliotheken, Archiven, Zahn und Seilradbahnen, Zirkus, Bäder (Seebäder etc. dürfen betreten werden wenn dort kein Badebetrieb stattfindet), Freizeit & Vergnügungsparks, Tanzschule, Wettbüros, Automatenbetriebe, Spielhallen, Casinos, Tierparks, Schaubergwerke, Einrichtungen zur Ausübung von Prostitution, Theater, Konzertsäle, Kinos, Kabarett, Indoorspielplätze, Paintballanlagen, Museumsbahnen und Ausflugsschiffe durch Besucher ist untersagt. Freizeiteinrichtungen im privaten Wohnbereich sind nicht betroffen. Eine Öffnung der Bibliotheken, welche für viele Berufsgruppen, Schüler und Studierende essenziell für ihre Tätigkeit ist, bleibt ungeregelt!
Auch gibt es Regelungen für Veranstaltungen: Veranstaltungen sind geplante Zusammenkünfte und Unternehmungen zur Unterhaltung, Belustigung und körperlichen oder geistigen Ertüchtigung und Erbauung. Dazu zählen kulturelle Veranstaltungen, Sportveranstaltungen, Hochzeiten, Filmvorführungen, Ausstellungen und Kongresse.
Grundsätzlich sind Veranstaltungen mit mehr als 10 Personen untersagt. Davon ausgenommen sind: Veranstaltungen im privaten Wohnbereich (auch Gärten), Versammlungen gemäß des Versammlungsgesetzes (diese können unter den Voraussetzungen des Versammlungsgesetzes stattfinden), zu beruflichen Zwecken erforderliche Zusammenkünfte und Besuche von Ausbildungseinrichtungen. Bei Begräbnissen dürfen 30 Personen teilnehmen.
Beim Betreten von Veranstaltungsorten ist gegenüber Personen, die nicht im selben Haushalt leben ein Abstand von einem Meter zu halten. In geschlossenen Räumen ist ein Mund- und Nasenschutz zu tragen und es muss pro Person eine Fläche von 10 m² zur Verfügung stehen. Ob eine Ausnahme dieser Vorschrift für Veranstaltungen in privaten Wohnräumen (und somit auch z.B.: für Demonstrationen, Betriebs- und Schulversammlungen) gilt oder ob private Wohnräume als Veranstaltungsort gelten, ist mehr als fraglich. Sollten sich nun die Beschränkungen auf die private Sphäre beziehen, wäre diese Einschränkung ohne gesetzliche Grundlage verfassungswidrig. Der Intimbereich der privaten Wohnbereiche darf nicht berührt sein! Hier besteht dringend notwendiger Handlungsbedarf, um Rechtssicherheit zu schaffen!
Der Vollständigkeit halber, hier noch eine Übersicht über die bisher erlassenen Rechtsvorschriften (auch nicht mehr gültige):
Am 16.3.2020:
Am 17.3.2020:
Zwischen 18.3 bis 20.3:
Am 20.3.2020
Zwischen 21.3 bis 22.3
Zwischen 23.3 bis 3.4
Zwischen 4.4 bis 13.4
Zwischen 14.4 bis 19.4
Zwischen 20.4 bis 30.4
Ab dem 1.5.2020
https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2020_II_197/BGBLA_2020_II_197.html
Text: Lisa Seidl
Recherche: Dominik Steinmair
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