Eine Analyse der COVID-19-Gesetze
Vorwort und Kurzfassung
Im Angesicht der globalen Pandemie des COVID-19-Coronaviruses (COVID-19) wurden am Wochenende des 14. und 15. März im Eilverfahren Gesetze beschlossen und Verordnungen erlassen. Als unabhängige Grundrechtsorganisation haben wir uns diese Maßnahmen angesehen und im Detail analysiert. Diese Analyse soll einen Beitrag zur Aufklärung der Bevölkerung leisten.
Die Maßnahmen bringen eine enorme Einschränkung für das Leben der Bevölkerung mit sich. Insbesondere dort wo in die Bewegungsfreiheit der Menschen eingegriffen wird, sehen wir eine besonders große Gefahr. Auf der Straße angehaltene Personen müssen vor der Polizei glaubhaft machen, dass sie sich gerade zu einem der gesetzlich erlaubten Szenarien im öffentlichen Raum aufhalten. Wir sehen diese Regelung problematisch, da sie der Polizei einen großen Ermessensspielraum lässt, ob eine Ausnahme vorliegt. Hier wäre es sinnvoll, würde es bereits die im Regierungsprogramm vorgesehene Beschwerdestelle geben, die sich um Misshandlungsvorwürfe gegen Polizist*innen kümmert, insbesondere, da es aufgrund der Ausgangssperre im öffentlichen Raum weniger Zeug*innen von Maßnahmen gibt. Vor dem Hintergrund dieser Maßgabe ist es absolut essentiell, dass die erlassenen Gesetze und Verordnungen mit einem fixen Ablaufdatum versehen und einem genau spezifizierten Zweck gewidmet sind.
Die beschlossenen Maßnahmen erscheinen uns notwendig anlässlich der enormen Gefahr für das Leben großer Teile der Bevölkerung. Die beschlossenen Maßnahmen sind nützlich, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen und das Gesundheitssystem vor einem Kollaps zu bewahren. Auch wenn hierbei in einzelne Grundrechte, wie die Versammlungs- und Berufsfreiheit, eingegriffen wird, erachten wir die getroffenen Maßnahmen in dieser Situation und mit den eingebauten Safeguards als verhältnismäßig.
Rechtliche Analyse der COVID-19-Gesetze
Zu Artikel 1 (COVID-19-FondsG)
Das Gesetz schafft einen COVID-19-Krisenbewältigungsfonds unter Zuständigkeit des Finanzministeriums mit einer Dotierung von vier Milliarden Euro. Die Auszahlungen aus dem Fonds erfolgen im Einvernehmen des Finanzministers Gernot Blümel (ÖVP) und Vizekanzlers Werner Kogler (Grüne), was wir im Sinne der politischen Ausgewogenheit begrüßen.
Die Gelder des Fonds werden in § 3 Abs 1 in einer nicht-taxativen Liste für Maßnahmen zu folgenden Zwecken gewidmet: Stabilisierung der Gesundheitsversorgung, Belebung des Arbeitsmarkts (vor allem Kurzarbeit), Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, Maßnahmen im Zusammenhang mit den Vorgaben für die Bildungseinrichtungen, Abfederung von Einnahmenausfällen in Folge der Krise, Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Epidemiegesetz und zur Konjunkturbelebung.
Zu Art. 1 § 3 Abs. 4
Im Zusammenhang mit dem COVID-19-Krisenbewältigungsfonds müssen sämtliche Maßnahmen, die nach dem COVID-19-Gesetz gesetzt werden, in einem detaillierten monatlichen Bericht mit den finanziellen Auswirkungen durch den Bundesminister für Finanzen dem Budgetausschuss vorgelegt werden. Die Transparenz-Regelung schafft eine für die Demokratie wichtige parlamentarische Mitwirkung.
Zu Art. 1 § 4
Da die Maßnahmen für die derzeit bestehende, jedoch sicherlich nicht dauerhaft andauernde Corona-Krise getroffen werden, wird dieses Gesetz mit 31. Dezember 2020 außer Kraft treten. Diese Sunset-Klausel ist als Rechtsinstrument zu begrüßen, ist jedoch nicht auf die anderen Bestimmungen dieses Gesetzes anwendbar.
Zu Artikel 2, 3 (Budgetanpassungen)
Diese Artikel passen das Budgetprovisorium 2020 und das Bundesfinanzrahmengesetz 2019 bis 2022 an die geänderte Situation an.
Artikel 4 (ABBAG-Gesetz)
Eine Abbaubeteiligungsaktiengesellschaft des Bundes wird zur technischen Abwicklung für das Ergreifen von finanziellen Maßnahmen zugunsten von Unternehmen eingesetzt.
Artikel 5, 6 und 7 (Arbeitsmarkt)
Kurzarbeit: Die Änderungen des Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz (AMPFG) treten mit 15. März 2020 in Kraft und erhöhen die Obergrenze für Kurzarbeits-Beihilfen bis 30. September 2020 auf bis zu EUR 400 Mio. Nach den Änderungen des Arbeitsmarktservicegesetzes sind nun wirtschaftliche Schwierigkeiten als Auswirkungen im Zusammenhang mit dem Coronavirus (COVID-19) als vorübergehende nicht saisonbedingte wirtschaftliche Schwierigkeiten zu klassifizieren (rückwirkend mit 1. März 2020). Es können außerdem höhere Pauschalsätze vorgesehen werden und ab dem vierten Monat erhöht sich die Beihilfe um die Dienstgeberbeiträge der Sozialversicherung.
Sonderfreistellung: Hat ein*e Arbeitnehmer*in (eines nicht-versorgungskritischen Bereichs) einer aufgrund des Coronavirus geschlossenen Einrichtung keinen Anspruch auf Dienstfreistellung, so kann der/die Arbeitgeber*in einen Sonderurlaub von bis zu drei Wochen für ein unter 15-jähriges Kind, für das Betreuungspflichten vorliegen, gewähren. Arbeitgeber*innen können bis sechs Wochen nach der Aufhebung der Maßnahme vom Bund ein Drittel der Vergütung der*s Arbeitnehmer*in in der Sonderbetreuungzeit geltend machen.
Zu Artikel 8 (COVID-19-Maßnahmengesetz)
Zu § 1
Diese Bestimmung erlaubt Gesundheitsminister Anschober per Verordnung das Betreten von spezifischen Geschäften oder Geschäftsbranchen zu untersagen. Weiters wird dem Gesundheitsminister die Möglichkeit gegeben, per Verordnung Auflagen für Geschäfte zu erlassen, die die Personenanzahl oder Öffnungszeiten regeln. Nach bestehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen hätte für jede einzelne Betriebsstätte eine eigene Verordnung erlassen werden müssen.
Zu § 2
Diese Bestimmung schafft die Möglichkeit, einzelne von COVID-19 betroffene Regionen oder Orte abzusperren. Die Kompetenz für eine solche Verordnung hat bei Bezirken oder Teilen von Bezirken die Bezirksverwaltungsbehörde, bei ganzen Bundesländern die Landeshauptfrau oder der Landeshauptmann und beim gesamten Bundesgebiet (Ausgangssperre in ganz Österreich) der Gesundheitsminister. Das bedeutet, der Gesundheitsminister könnte zum Beispiel alle Parks oder Spielplätze in Österreich sperren, wenn dies zur Eindämmung des Virus geboten wäre.
Zu § 2a
Mit dieser Bestimmung wird die Polizei dazu ermächtigt, den zuständigen Behörden oder Organe bei der Umsetzung der Maßnahmen dieses Gesetzes zur Seite zu stehen. Die Polizei ist dabei auch zum Einsatz von Zwangsgewalt berechtigt. Das Bundesheer und die Justizwache können aufgrund dieser Bestimmung nicht hinzugezogen werden, um beispielsweise eine Quarantäne durchzusetzen.
Zu § 3
Wenn ein Geschäft sich nicht an die verordnete Ladenschließung hält und keine Maßnahmen setzt, den Betrieb einzustellen, ist mit einer Geldstrafe von bis zu EUR 30.000,- zu rechnen. Wenn eine Person sich in einem geschlossenen Geschäft aufhält oder einen Ort unter Quarantäne betritt, ist mit einer Geldstrafe von bis zu EUR 3.600,- zu rechnen. Diese Strafe erwartet auch einen Ladenbesitzer, der sich nicht an die Beschränkung der Öffnungszeit oder Personananzahl hält.
Zu § 4
Das Gesetz hat eine Sunset-Klausel und tritt mit 31. Dezember 2020 außer Kraft. Angesichts der gravierenden Einschnitte in das öffentliche Leben durch dieses Gesetz, halten wir eine solche Sunset-Klausel für eine notwendige Sicherheitsmaßnahme, durch die die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme wiederhergestellt wird.
95. Verordnung: Passagierflugzeuge aus vier Ländern dürfen in Österreich nicht mehr landen
Neben China, Südkorea, Iran und Italien werden Großbritannien, die Niederlande, Russland und die Ukraine in die Liste jener Länder aufgenommen, aus denen Passagierflugzeuge keine Landeerlaubnis mehr in Österreich haben.
96. Verordnung: Einschränkung des Geschäftslebens
Mit dieser Verordnung gemäß dem COVID-19 Maßnahmengesetz wird der Besuch von Geschäften und Dienstleistungsbetrieben weitgehend untersagt. Lediglich jene Sparten in einer taxativen Liste dürfen weiterhin aufgesucht werden. Dies umfasst: Apotheken, Lebensmittelhandel, Banken, Trafiken, Drogerien, Tierärzte, Verkauf von Tierfutter, Lieferdienste, Tankstellen, KFZ-Werkstätten, öffentlicher Verkehr, Post und Telekommunikation. Weiters ausgenommen sind Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen, der Verkauf von Medizinprodukten, Gesundheits- und Pflegedienstleistungen, Hygiene und Reinigungsdienstleistungen, Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Rechtspflege, Agrarhandel, Gartenbaubetriebe und Verkauf und Wartung von Sicherheits- und Notfallprodukten. Die genaue Liste kann in der Verordnung eingesehen werden. Für Fragen, wie diese Liste auf einzelne Geschäfte angewendet werden kann, kann hoffentlich die Wirtschaftskammer Auskunft geben.
Der Besuch von Gastgewerbebetriebe wie Cafés, Restaurants, Bars und Clubs ist explizit verboten. Eine Ausnahme davon gibt es nur für Restaurants in Hotels oder Campingplätzen, die nur an Gäste verkaufen, oder für Restaurants und Cafes innerhalb von Krankenhäusern, Pflegeheimen, Kuranstalten, Schul- und Kindergartenkantinen und Betriebskantinen. Lieferservices sind hiervon ebenfalls explizit ausgenommen und dürfen weiterhin geöffnet haben (oder liefern).
Die Verordnung ist vom 17. bis zum 22. März 2020 in Kraft. Der Gesundheitsminister hat jedoch die Möglichkeit, die Gültigkeit dieser Verordnung zu verlängern.
98. Verordnung: Ausgangsbeschränkungen
Diese Verordnung ist der mit Abstand größte Einschnitt in das Leben der Menschen in Österreich. Mit ihr wird das Betreten öffentlicher Orte generell untersagt, lediglich spezielle Szenarien werden von diesem Verbot ausgenommen. Dazu zählen Besorgungen für Grundbedürfnisse des täglichen Lebens (Supermarkt, Drogerie, etc.), der Weg von und zur Arbeit und das Aufsuchen öffentlicher Orte im Freien alleine, mit Personen, die im selben Haushalt leben, oder Haustieren. Bei diesen drei Szenarien muss jedoch ein Mindestabstand von einem Meter z anderen Menschen eingehalten werden. Zwei gesonderte Szenarien behandeln Pflege- oder Hilfsleistungen für bedürftige Personen und zur "Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum". Was im letzten Punkt alles umfasst sein soll, erscheint uns unklar, wenn damit nicht nur gemeint ist, ein brennendes Haus verlassen zu dürfen.
Das Benützen von öffentlichen Verkehrsmitteln ist für alle Szenarien, bis auf den Spaziergang im Freien, erlaubt. Jedoch muss dabei immer ein Mindestabstand von einem Meter zu anderen Personen eingehalten werden. Explizite Regelungen für das eigene Auto oder Carsharing Angebote fehlen leider.
Sollte man von der Polizei aufgehalten werden, muss man bei der unweigerlichen Kontrolle die Gründe glaubhaft machen, wieso man sich im Freien aufhält. Diese Diskussion kann sich durchaus sehr schwierig gestalten, da die Szenarien in dieser Verordnung durchaus Interpretationsspielraum ermöglichen. Besonders bei Menschen mit nicht-deutscher Muttersprache könnte es in der Praxis leicht zu Problemen und Polizeiwillkür kommen.
Die Verordnung tritt für eine Woche vom 16. bis zum 22. März 2020 in Kraft. Der Gesundheitsminister hat jedoch die Möglichkeit, die Gültigkeit dieser Verordnung zu verlängern.
Strafprozessordnung
Zu § 174 Abs. 1, § 176 Abs. 3 und § 239
Die Änderungen erlauben es, Vernehmungen im Falle der Untersuchungshaft über den Weg der Videokonferenz abzuhalten. Angesichts der Situation erachten wir das als eine sinnvolle erste Maßnahme.
Im Hinblick auf die zentrale Funktion unseres Rechtssystems für die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung, wäre es wert anzudenken, weitere Abläufe im Justizsystems auf Video-Conferencing umzustellen (z.B. im Bereich der nicht-richterlichen Rechtspflege, Amtstag). Angesichts des bereits existierenden Personalnotstands an Österreichs Gerichten sollte eine Minimierung des Infektionsrisikos oberste Priorität haben. Video-Conferencing-Systeme dürfen nicht mit der Abhaltung und Veröffentlichung von Gerichtsverhandlungen per Live-Stream verwechselt werden. Ein derartiges System ist nicht empfehlenswert, da der Unmittelbarkeitsgrundsatz in Gerichtsverhandlungen gewährt bleiben muss.
Schulunterrichtsgesetz
Zu § 82l, § 72a und § 11d
Der Bildungsminister kann per Verordnung spezifische Regelungen für Reife- und Diplomprüfungen im Schuljahr 2019/2020 erlassen, die Ausnahmen zu anderen diesbezüglichen Bestimmungen des Schulunterrichtsgesetzes festlegen. Die Verordnung des Bundesministers muss mindestens die Zusammensetzung der Prüfungskommissionen, die Prüfungstermine und den Prüfungsvorgang festlegen. Diese Regelung gilt sowohl für den regulären Schulbetrieb, als auch für Berufstätige, Kollegs und Vorbereitungslehrgänge. Diese Maßnahme scheint die notwendige Flexibilität zu schaffen, um auf die aktuelle Situation eingehen zu können.
Wirtschaftskammergesetz
Zu § 76a
Die Änderungen am Wirtschaftskammergesetz schaffen eine neue Regelung, die es erlaubt, die Wirtschaftskammerwahlen in Ausnahmefällen zu verschieben. Diese Änderungen müssen von der Hauptwahlkommission in Form einer Novellierung der Wahlkundmachung bekannt gegeben werden. Bereits abgegebene Stimmen werden bei der Wahlbehörde bis zur Fortsetzung der Wahl unter Verschluss gehalten. Angesichts der Situation erachten wir dieses Vorgehen für sinnvoll.
Quellen
Verordnungen
#95 - Risikogebiet: https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2020_II_95/BGBLA_2020_II_95.html
#96 - Betriebsbeschränkungen: https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2020_II_96/BGBLA_2020_II_96.html
#97 - Gastgewerbe: https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2020_II_97/BGBLA_2020_II_97.html
#98 - Ausgangsbeschränkungen: https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2020_II_98/BGBLA_2020_II_98.html
Gesetze
Covid-19 Gesetz: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/BNR/BNR_00016/fnameorig_787818.html
https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/BNR/BNR_00016/index.shtml
Wirtschaftskammergesetz: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/BNR/BNR_00015/fnameorig_787815.html
https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/BNR/BNR_00015/index.shtml
Strafprozessordnung: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/BNR/BNR_00014/fnameorig_787813.html
https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/BNR/BNR_00014/index.shtml
Schulunterrichtsgesetz: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/BNR/BNR_00013/fnameorig_787811.html
https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/BNR/BNR_00013/index.shtml
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