Handbuch zur Evaluation der Anti-Terror-Gesetze in Österreich (HEAT) ab sofort einsetzbar

 

 

Nach eineinhalb Jahren intensiver Arbeit veröffentlicht der AKVorrat heute das Handbuch zur Evaluation der Anti-Terror-Gesetze in Österreich (HEAT). Die darin enthaltenen Vorgaben für eine Überwachungsgesamtrechnung erfüllen eine Forderung der BürgerInneninitiative „Stoppt die Vorratsdatenspeicherung!“. Diese wurde vom AKVorrat initiiert und von 106.067 Menschen unterzeichnet. Der Kriterienkatalog von HEAT gibt Politikerinnen und Politikern und auch der Zivilgesellschaft Instrumente in die Hand, wie Sicherheitsgesetze auf ihre Vereinbarkeit mit verfassungsmäßig garantierten Grundrechten überprüft werden können. Wie dringend die darin formulierten Kriterien für eine verbindliche Folgenabschätzung aller Gesetze sind, zeigt sich am aktuellen Beispiel der Novellierung zum Börsegesetz, das Anfang August in Kraft getreten ist. Dort wird die Ermittlung von Verkehrsdaten erstmals auf Verwaltungsdelikte ausgedehnt. Bislang waren solche Befugnisse nur im gerichtlichen Strafrecht vorgesehen. Neben diesem konkreten Gesetz hat der AKVorrat drei Bereiche identifiziert, die dringend neu gestaltet werden müssen: Das Telekommunikationsgesetz und die Durchlaufstelle, der Schutz der Träger von Berufsgeheimnissen und der automatisierte Datenabgleich ("Rasterfahndung").

Die heute veröffentlichte Version von HEAT trägt das Datum 9/11. In den 15 Jahren nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York haben Regierungen in aller Welt mit Überwachungsgesetzen reagiert, die kaum geeignet sind, Terror oder organisierter Kriminalität zu begegnen, aber sehr oft elementare Rechte einschränken. Österreich bildet hier keine Ausnahme: Vorratsdatenspeicherung, Polizeiliches Staatsschutzgesetz oder der geplante Bundestrojaner sind nur einige Beispiele für überbordende Überwachungsbefugnisse, die oftmals ohne hinreichenden Rechtsschutz beschlossen werden. Generell ist festzustellen, dass die Behörden immer mehr Möglichkeiten bekommen, schon weit im Vorfeld von Straftaten in die Privatsphäre unschuldiger Menschen einzudringen. 

Neuerdings darf sogar schon bei Verwaltungsdelikten überwacht werden. Mit der jüngsten Novelle des Börsegesetzes ist erstmals eine Auskunft über Daten einer Nachrichtenübermittlung bei einer vermuteten Verwaltungsübertretung, konkret beim Missbrauch von Insiderinformationen und Marktmanipulation, zulässig. Noch dazu hat der Gesetzgeber keine Grundlage für eine Beauskunftungsverpflichtung für Provider im Telekommunikationsgesetz (TKG 2003) geschaffen.

"Das ist ein Dammbruch. Wir sehen uns mit einer Situation konfrontiert, in der die Politik Überwachungsgesetze im Blindflug beschließt",

so Christof Tschohl, Obmann des AKVorrat und wissenschaftlicher Leiter des HEAT-Projekts.

"Es zeigt sich einmal mehr, wie nötig eine systematische und fundierte Evaluation ist. HEAT ist die Basis dafür. Wir werden alles tun, damit es auch eingesetzt wird",

so Tschohl weiter.

Grundlage für evidenzbasierte Sicherheitspolitik
Für die Politik ist HEAT ein Leitfaden zur Ausarbeitung grundrechtskonformer Gesetze und für eine Wirkungsorientierte Folgenabschätzung, die diese Bezeichnung tatsächlich verdient. Für zivilgesellschaftliche Initiativen bildet es eine Grundlage, sich fundiert in den Gesetzgebungsprozess einzubringen. Für die Gesellschaft ist es der Rahmen für eine Gesamtrechnung, die alle Überwachungsmaßnahmen in einer Gesamtschau bewertet. Die zugrundeliegende Methodik und die ausgearbeiteten Kriterien sind nicht nur auf Österreich anwendbar. Das Handbuch kann auch international eingesetzt werden. Der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Privatsphäre Joseph Cannataci wird für die geplante Druckauflage ein Vorwort beisteuern, in dem er die internationale Bedeutung der Überwachungs-Gesamtrechnung hervorhebt. 

Gleichgewicht von Freiheit und Sicherheit

"Es ist eine Ironie der Geschichte, dass staatliche Überwachung bei einer wachsenden Zahl von Menschen, die mit dieser Politik geschützt werden sollen, selbst terroristische Effekte erzeugt: die Angst immer und überall Opfer von staatlichen Angriffen auf die eigene Privatsphäre zu werden",

so Reinhard Kreissl, CEO von VICESSE (Vienna Centre for Societal Security) und einer der Autoren von HEAT. Der AKVorrat hat es sich zur Aufgabe gemacht, hier gegenzusteuern und einen Beitrag zu einer lebendigen Demokratie zu leisten. Für diese braucht es Menschen, die ohne Angst vor Repression leben können. HEAT ist als Instrument für den Ausgleich von Freiheit und Sicherheit zu verstehen.

Umfassende Analyse
In der ersten Phase des Projekts wurden sämtliche Gesetze analysiert, die Überwachungsbefugnisse beinhalten. Die eingesetzten technischen Mittel wurden ebenso betrachtet wie die Praxis, was ihren tatsächlichen Einsatz betrifft. Dazu wurden mit Hilfe der Grünen und der NEOS parlamentarische Anfragen gestellt. Wo die Antworten nicht ausreichend waren, wurden eigene Recherchen angestellt, die das Bild vervollständigen sollten. Erst in einer Gesamtschau hinsichtlich Effektivität und begleitender Rechtsschutzmaßnahmen lässt sich eine Sicherheitspolitik gestalten, die ihr Ziel erreicht und dabei verhältnismäßig bleibt. 

Polizeiliches Staatsschutzgesetz: HEAT im Praxiseinsatz
Mit HEAT liegt eine Gesamtbetrachtung der Situation in Österreich vor. Die ausgearbeiteten Kriterien wurden anhand der Entstehung des Polizeilichen Staatsschutzgesetzes und der beim Verfassungsgerichtshof eingebrachten Klage (Drittelbeschwerde der grünen und freiheitlichen Nationalratsabgeordneten) auf ihre Praxistauglichkeit überprüft.

Weiterentwicklung
HEAT ist ein lebendiges Instrument. In den nächsten Wochen und Monaten werden die einzelnen Inhalte für unterschiedliche Anwendungsfälle und Zielgruppen aufbereitet. Auch der Kriterienkatalog wird noch weiter verfeinert. Vor allem aber wird der AKVorrat den Dialog mit unterschiedlichen Stakeholdern aus Politik, Zivilgesellschaft und Verwaltung suchen. Das Handbuch ist keine rein theoretische Arbeit: Es muss zum Einsatz kommen.

Interdisziplinäre Arbeit
Das Handbuch wurde unter der wissenschaftlichen Leitung von Christof Tschohl erstellt. Ein interdisziplinäres Team von JuristInnen, TechnikerInnen und SozialwissenschaftlerInnen hat daran gearbeitet und wurde dabei von vielen Freiwilligen unterstützt, die Recherchearbeiten, Lektorat oder grafische Aufbereitung der Inhalte übernommen haben. Das Projekt wurde durch die "netidee" der gemeinnützigen Internet Foundation Austria (IPA) und viele Einzelspenden an den AKVorrat ermöglicht. 

Weitere Bilder von der Pressekonferenz sind >>hier zu finden.

Version 1.1. von HEAT steht >>hier zum Download bereit.


 

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