Morgen wird ein Urteil im Strafverfahren gegen Julian H, den „Ibizadetektiv“, am Landesgericht St. Pölten erwartet. Zur Erinnerung: Vor Gericht steht er nicht im Zusammenhang mit der Herstellung des Ibiza-Videos, das die gesamte österreichische Politik auf den Kopf stellte, dubiose Vorgänge im näheren Umfeld der Regierungen der letzten Jahre ans Tageslicht förderte und schließlich HC Strache und in weiterer Folge Sebastian Kurz zum Rücktritt zwang. Und dennoch spielen die Vorgänge rund um dieses Video eine bedeutende Rolle im aktuellen Verfahren, in dem Julian H Drogen- und Urkundendelikte angelastet werden.

Die Anschuldigungen zweier Belastungszeugen führten förmlich zu einer Jagd von Julian H quer durch Europa - Kosten und Mühen wurden nicht gespart. Von Kontoöffnungen, Hausdurchsuchungen oder telefonischer Überwachung, über Funkzellenauswertungen bis hin zum Abfragen von Passagierlisten diverser Flüge, die H genommen hatte, wurde alles an Ermittlungsschritten aufgeboten. Auch waren von 20 Ermittlungsbeamten der SOKO Tape allein 17 für Julian H abgestellt. Zum Vergleich: Den Korruptionsvorwürfen gegen HC Strache gingen lediglich drei Beamte nach.

Seit Ende 2020 sitzt Julian H in Auslieferungs- bzw. Untersuchungshaft, die meiste Zeit davon verbringt er alleine in einer Zelle in Einzelhaft. Für die ermittelnden Beamten bedeutete dies einen gewaltiger Sprung auf der Karriereleiter: Andreas Holzer, der Leiter der SOKO Tape, wurde Direktor des Bundeskriminalamts. Niko Reith, ein führender Ermittler gegen Julian H und bekennender Unterstützer HC Straches, wurde mit Jahresbeginn stellvertretender Leiter des Büros zur Bekämpfung von organisierter Kriminalität, ebenso im Bundeskriminalamt.

Die von 18 Menschenrechts NGOs bereits zu Beginn des Prozesses geäußerten Bedenken  einer politisch motivierten Strafverfolgung konnten auch in der Hauptverhandlung am LG St. Pölten, die wird von Anfang an mit unserer Prozessbeobachtung verfolgten, nicht ausgeräumt werden. Und auch mehrere Medien berichteten jüngst über die Hintergründe, Zusammenhänge und die offenen Fragen nach Verlaufdes bisherigenVerfahrens. So etwa wurden im Prozess keine Sachbeweise vorgelegt, um Julian Hs Schuld zu belegen. Gestützt sind die Vorwürfe einzig auf die Aussagen zweier Hauptbelastungszeugen, die schwer gezeichnet sind vom langjährigen Drogenkonsum und die nicht nur einander, sondern auch sich selbst in den eigenen Aussagen mehrfach gravierend widersprechen.

„Nach einem gescheiterten Versuch der Verteidigung, die Enthaftung Julian Hs und die Anwendung gelinderer Mittel zu erwirken, deutet vieles auf einen möglichen Schuldspruch hin. Die Optik für die Unabhängigkeit der Justiz in Österreich wäre verheerend. Zudem sind wir besorgt über den abschreckenden Effekt eines Schuldspruchs Julian Hs auf zukünftige Aufdecker*innen und die Ausübung der Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit in Österreich", sagt Tanja Fachathaler, Policy Advisor bei epicenter.works.

Es wäre ein weiterer Puzzlestein in einem Bild, das einen denkbar schlechten Schutz von Aufdecker*innen Österreich zeigt: Erst vergangene Woche wurde bekannt, dass die EU- Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich wegen fehlender Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern einleitet. Die Frist dafür war Mitte Dezember - bis dato liegt nicht einmal ein Gesetzesentwurf zur Begutachtung vor. epicenter.works beobachtet den Prozess gegen Julian H und wird auch morgen wieder in St. Pölten vor Ort sein.

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