Überwachungspaket: Beispiellose Einschränkung der Grundrechte erfordert neue Form des Protests
In den vergangenen Tagen haben wir mehrere Diskussionen über unser Kampagnen-Tool auf www.überwachungspaket.at geführt (manche davon auch öffentlich auf Twitter; siehe etwa hier und hier). Mit dem Tool können Bürgerinnen und Bürger ganz einfach am Begutachtungsverfahren zu Gesetzesvorschlägen teilnehmen, die eine beispiellose Einschränkung unserer aller Rechte bedeuten. Weil diese Grundrechtseingriffe so massiv sind, haben wir uns entschlossen, zu diesem außergewöhnlichen – und für Österreich auch neuen Mittel – zu greifen. Bislang haben es mehr als 6.000 Menschen genutzt und die Zahl steigt laufend. Es gibt aber auch Stimmen, die meinen, es wäre besser, wenn diese Menschen ihre Sorge um unsere Demokratie auf andere Art zum Ausdruck bringen würden. Wir meinen das nicht.
Die Diskussionen drehen sich hauptsächlich um die Frage, ob die große Anzahl gleich oder ähnlich lautender Stellungnahmen zu den Gesetzen ein wirksames Instrument zivilgesellschaftlichen Widerstands ist. Die Bewertung unterschiedlicher Argumente würde erschwert, weil sie aus der großen Masse der Stellungnahmen nicht mehr so leicht auszufiltern wären. Das Justizministerium hat es sich da leicht gemacht: Stellungnahmen, die über unsere Kampagnenseite abgegeben werden, werden dort gleich geblockt. Kritische Stimmen werden also komplett ignoriert. Das Österreichische Parlament hingegen hat in einer Aussendung zugesichert, dass alle einlangenden Stellungnahmen auf der Website des Hauses veröffentlicht werden.
Blick zurück: Bundesregierung ignoriert Petitionen
Zur Begründung für die Wahl dieser Form des Protests müssen wir etwas weiter ausholen. Unsere erste große Aktion war die Initiative "Zeichne mit!". Im Jahr 2012 haben mehr als 100.000 Menschen gegen die Vorratsdatenspeicherung und für eine Überwachungsgesamtrechnung unterschrieben. Bis heute hat sich die Bundesregierung nicht ernsthaft mit der Forderung nach einer Gesamtevaluation aller Sicherheitsgesetze auseinandergesetzt. (Und die Vorratsdatenspeicherung wurde nicht aufgrund dieser Bürger*innenintitative abgeschafft, sondern aufgrund einer Klage beim Europäischen Gerichtshof). Im Jahr 2016 haben mehr als 30.000 Menschen gegen das Polizeiliche Staatsschutzgesetz unterschrieben. Wir haben die Unterschriften ausgedruckt im Parlament übergeben. Das Gesetz wurde dennoch beschlossen. - Und das obwohl viele Expertinnen und Experten unsere Einschätzung teilen, dass es gegen unsere Verfassung verstößt. Wir mussten also lernen, dass Unterschriftenaktionen und Petitionen wenig Eindruck auf unsere Regierung machen. Im Gegenteil: Laufend präsentiert sie neue Vorschläge, die unsere Demokratie gefährden.
Mutig gegen Überwachung auftreten
Seit Anfang dieses Jahres machen wir mit Aktionen, Stellungnahmen und in unserer Medienarbeit darauf aufmerksam, dass das Überwachungspaket zwar die Freiheit aller einschränkt, aber nicht geeignet ist, für mehr Sicherheit zu sorgen. Viel genutzt hat das nicht. Im Gegenteil: Als die konkreten Umsetzungsvorschläge mitten in der Urlaubszeit präsentiert wurden, mussten wir feststellen, dass sie viel schlimmer ausgefallen sind als angekündigt. Innenminister Sobotka und Justizminister Brandstetter zeigen keine Bereitschaft, auf gute (technische und juristische) Argumente einzugehen und berechtigte Sorgen von Bürgerinnen und Bürgern, Expertinnen und Experten ernst zu nehmen. Wir haben daher ein Mittel gewählt, mit dem wir schon einmal sehr erfolgreich waren. Mit der Kampagne www.savetheinternet.eu haben wir es geschafft, das freie und offene Internet in Europa zu retten. Ausschlaggebend für den Erfolg war ein Tool, über das mehr als 500.000 Stellungnahmen an die EU-Regulierungsbehörde geschickt wurden. Diese hat die vielen Stimmen ernst genommen und daraufhin Regelungen für echte Netzneutralität in Europa beschlossen. Genau das wollen wir auch mit www.überwachungspaket.at erreichen. Menschen, die das Tool nutzen, bringen den Mut auf, sich mit Namen bei der Regierung zu melden und die meisten stimmen auch zu, dass ihre Stellungnahmen veröffentlich werden. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken!
Zu viele Informationen?
Es ist schon ein wenig skurril: Die Regierung will mehr und mehr Daten über uns sammeln und auswerten, aber wenn es um einige Tausend Stellungnahmen geht, dann orten manche ein Problem, relevante Argumente oder Informationen herauszufiltern.
Gleichlautende Stellungnahmen?
Wir bieten auf www.überwachungspaket.at die Möglichkeit, einzelne Themenblöcke zu wählen und die von uns vorgeschlagenen Texte abzuändern oder zu erweitern. Es ist also nicht richtig, hier von gleichlautenden Stellungnahmen zu sprechen. Es gibt übrigens technische Tools, mit denen man Dokumente schnell vergleichen kann, um neuartige Argumente herauszufiltern.
Nur eine Stellungnahme abgeben?
Viele meinen, es würde reichen, wenn wir nur eine einzige Stellungnahme abgeben. Keine Sorge: Unsere Juristen arbeiten bereits an einer detaillierten Analyse der Gesetzesvorschläge. Alle Argumente, die wir auf unserer Kampagnenseite formuliert haben, werden detailliert ausgearbeitet. Dafür brauchen wir etwas mehr Zeit. Wir sind sicher, dass es nicht so schwer sein wird, unsere und andere Detailanalysen zum Überwachungspaket auf der Parlamentswebsite und über andere Wege zu finden. In dieser wichtigen Materie darf kein Argument verloren gehen.
Bessere Zugänglichkeit zu demokratischen Prozessen?
Die Diskussionen zu unserer Kampagne haben einen erfreulichen Nebeneffekt. Manche denken jetzt darüber nach, wie demokratische Prozesse bürgernäher gestaltet werden können und wie Informationen auf der Parlamentswebsite besser dargestellt werden können. Es freut uns, wenn wir mit unserem Tool den Anstoß für solche Entwicklungen liefern können. Wir beteiligen uns auch gerne an der weiteren Ideenfindung.
Als Anregung: In der Europäischen Union sind Konsultationen noch vor dem ersten Gesetzesentwurf üblich. Diese werden auf der Seite der Europäischen Komission öffentlich ausgeschrieben und nutzen das Tool EUSurvey. Ähnlich wie bei www.überwachungspaket.at werden hier die Meinungen zu einzelnen Aspekten der geplanten Gesetze abgefragt. Das könnte in ähnlicher Form auch in Österreich gemacht werden.
Online-Demonstrationsrecht?
Grund- und Menschenrechte sind die Richtschnur für die Arbeit unseres Vereins. Neben dem Grundrecht auf Privatsphäre zählt auch das Versammlungsrecht dazu. Wir sehen unser Kampagnen-Tool als eine Form der Online-Demonstration. Es geht uns dabei darum, Aufmerksamkeit für ein legitimes Anliegen zu erzeugen.
Eigentlich finden wir es sehr schade, dass wir zu diesem außergewöhnlichen Mittel greifen müssen. Die Wahrung der Grundrechte sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.
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