Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) ist eine der mächtigsten Institutionen in Österreich und gleichzeitig ist kaum eine Organisation so verrufen. Es findet sich keine Partei, die nicht von Missständen und Reparaturbedarf spricht. Ausländische Dienste schränkten die Kooperation mit dem BVT schon vor Jahren ein und dort gilt Österreich als "Sicherheitslücke". Ein Untersuchungsausschuss zur Hausdurchsuchung in der Ära Kickl und der Terroranschlag in Wien am 2. November 2020 haben die Reformpläne nun auf die Agenda gesetzt. Die Gesetzesvorschläge wurden für Dezember angekündigt und können deshalb nicht auf der Aufarbeitung des Anschlags durch die Expert*innenkommission aufbauen.

Wenn Nachrichtendienste daran scheitern Terroranschläge zu verhindern, werden sie meist mit neuen Überwachungsbefugnissen belohnt. Im Anti-Terror-Paket findet sich eine Fußfessel für Gefährder*innen wieder, welche 2017 bereits diskutiert, aber schlussendlich fallen gelassen wurde, nachdem sich ÖVP-Justizminister Brandstetter gegen ÖVP-Innenminister Sobotka durchsetzen konnte. Sogar ohne neue Überwachungsmethoden bringt die BVT-Reform aber einige sehr große und komplizierte Probleme mit sich. Es gibt kein Land auf der Welt, in dem Nachrichtendienstkontrolle so gelöst wäre, wie wir uns das wünschen würden. Aber es gibt viele internationale Best Practices in der Nachrichtendienstkontrolle. Aus denen wollen wir im Folgenden Prüfsteine erstellen, anhand derer sich die neue BVT-Reform messen lassen muss.

Die vorliegenden Prüfsteine sind keine Wunschliste der Zivilgesellschaft, sondern orientieren sich stark an internationalen Standards und Rechtssprechung, denen Österreich unterliegt und die aktuell nicht erfüllt werden. Das Urteil zu Schrems II hat erneut gezeigt, dass das Recht auf Privatheit im digitalen Zeitalter im Bezug auf Nationale Sicherheit nicht unilateral durchgesetzt werden kann. Expert*innen fordern daher mittlerweile einen internationalen Standard für die demokratische nachrichtendienstliche Praxis, damit demokratische Staaten nicht untereinander gegenseitig Menschenrechte verletzen und die Demokratie untergraben. Vorstöße dazu hat es bereits mit dem „Intelligence Codex“-Vorschlag der Parlamentarischen Versammlung des Europarats oder des „Draft Legal Instrument on Government-led Surveillance and Privacy“ des UN-Sonderberichterstatters, zum Recht auf Privatheit, gegeben. Auch die European Intelligence Oversight Working Group fordert in ihrem letzten Bericht gemeinsame Standards und Definitionen. Das bisher einzig rechtlich bindende Dokument zu Datentransfers und -Schutz im Bereich Nationale Sicherheit ist die Konvention 108+ des Europarats.

Warum ist ein Nachrichtendienst immer ein Problem?

Strafverfolgungsbehörden operieren in einem demokratischen Rechtsstaat nach dem Legalitätsprinzip. Das bedeutet, dass ihr gesamtes Handeln durch Gesetze gedeckt sein muss, sie auf Basis von Straftatbeständen verdachtsabhängig ermitteln und etwaige Missstände auch zur Anzeige bringen müssen. Dem gegenüber arbeitet ein Nachrichtendienst nach dem Opportunitätsprinzip. Es wird also auf Basis einer abstrakten Gefahreneinschätzung in eine Richtung ermittelt, um Gefahren und (potentielle) Straftaten zu identifizieren, die jedoch auch nicht immer zur Anzeige gebracht werden.

Dieses Vorgehen wird häufig kaum kontrolliert, selbst wenn es sehr großflächig angelegt ist: die NSA muss Überwachungsprogramme wie PRISM und UPSTREAM nur im Allgemeinen durch ein (im Geheimen verhandelndes) Gericht genehmigen lassen. Auch, was einem Geheimdienst opportun erscheint, treibt immer wieder seltsame Blüten. So finanzierte der Thüringsche Verfassungsschutz etwa das Umfeld des Nationalsozialistischen Untergrunds über viele Jahre. Zum Teil entsteht auch der Eindruck eines Staates im Staate: der Niedersächsische Verfassungsschutz etwa sprengte 1978 ein Loch in ein Gefängnis in Celle, um einen Informanten in die RAF einzuschleusen, und täuschte Ermittlungsbehörden über sein Vorgehen.

Prüfstein 1: Keine neuen Überwachungsbefugnisse

Österreich gehört zu einem der sichersten Länder der Welt und der Anschlag vom 2. November 2020 hätte nach allem was wir wissen mit bestehenden Befugnissen verhindert werden können. Dies ist nicht die Zeit für eine Ausweitung von Überwachungsbefugnissen. Sollte die Regierung in diese Richtung gehen, ist die Reform als Ganzes abzulehnen. Auf diesen Anschlag gegen unsere liberale Demokratie sollte nicht mit einer Einschränkung von Freiheitsrechten reagiert werden. Viele der Befugnisse anderer Geheimdienste, gerade im Bereich der Massenüberwachung, sind so weitreichend, dass sie regelmäßig zu Skandalen führen.

Prüfstein 2: Kontrolle in allen Stufen der nachrichtendienstlichen Informationsgewinnung

Die wissenschaftliche Literatur zu internationalen Best Practices ist sich einig darin, dass eine effektive Nachrichtendienstkontrolle den kompletten Ablauf der Nachrichtendienstarbeit umfassen muss. Von der politischen Prioritätensetzung, über die Datensammlung bis zur Auswertung sollte eine lückenlose Ende-zu-Ende Aufsicht gewährleistet sein. Das ist insbesondere notwendig, um den nicht vorhandenen Rechtsschutz (Auskunfts- und Klagemöglichkeiten) bei geheimen Überwachungsmaßnahmen zu kompensieren.

Die Kontrolle beginnt bei der Festlegung der Grundlagen des Arbeitens (ex ante), wie das Auftragsprofil, das sich nicht der Nachrichtendienst selbst geben darf, sondern unter Beteiligung der demokratischen Kontrolle entstehen sollte. Es setzt sich fort bei der Genehmigung der Kooperationen mit anderen Diensten (inkl. der MoU) und einzelner Überwachungsmaßnahmen (z.B. das Abhören von Telefonen). Auch im Laufe der Arbeit des Dienstes braucht es eine Aufsicht, hier geht es um eine unabhängige Kontrolle z.B. der Datenverarbeitung, die mit ausreichenden Ressourcen und Kompetenzen ausgestattet sein muss.

Zuletzt braucht es eine wirksame Kontrolle im Nachgang (ex post). Hier kann ebenfalls ein Nachrichtendienstkontrollgremium und eine parlamentarische Kontrolle zum Einsatz kommen. In dieser Stufe sollten auch Fragen der politischen Verantwortung, Effizienz und Grundrechtseingriffe behandelt und ins Verhältnis gesetzt werden.

Prüfstein 3: Whistleblowerschutz

Daniel Ellsberg, Annie Machon, Chelsea Manning oder Edward Snowden: Die Geschichte liefert uns viele Beispiele von couragierten Menschen, die ihre Karriere, ihre Freiheit und teilweise auch ihr Leben riskierten, damit Missstände im Sicherheitsaparat ans Licht kamen. In Dänemark musste gerade der Chef des Militärgeheimdienstes zurück treten, weil sich ein Whistleblower an die Nachrichtendienstkontrolle mit dem Beleg über Massenüberwachung der eigenen Bevölkerung wendete. In den USA wurde der Versuch von Donald Trump, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj dazu zu bringen, gegen die Familie seines Konkurrenten, President-elect Joe Biden, zu ermitteln über eine Whistleblower-Beschwerde an den Rechtsschutzbeauftragten bekannt.  Wenn alles schiefläuft, sind Whistleblower unsere letzte Hoffnung, staatliche Missstände zu beheben. Deshalb sollten wir diese Menschen in ihrem mutigen Handeln unterstützen und ihnen Schutz und Anlaufstellen bieten.

Erstens ist es essentiell, Whistleblowern Schutz vor strafrechtlichen Konsequenzen für ihre Enthüllung zu bieten, wenn sie moralisch und verantwortlich gehandelt haben. Zivilrechtliche Konsequenzen sollten gänzlich ausgeschlossen sein. Zweitens haben sie ein Recht auf Wahrung ihrer Anonymität und Vertraulichkeit ihrer Kommunikation mit der Anlaufstelle. Drittens muss es für Whistleblower eine freie Wahl geben, ob sie sich mit ihren Informationen an das Nachrichtendienstkontrollgremium, die Justiz oder interne Stellen wenden – hier darf es keine Vorgaben geben, da es nicht für alle Situationen die eine richtige Antwort gibt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seinen Urteilen klargestellt, dass auch Whistleblower ein Grundrecht auf Meinungsfreiheit haben, explizit auch im Nachrichtendienstbereich. Sollte es zu Gerichtsprozessen kommen, muss es möglich sein, das öffentliche Interesse an Veröffentlichung in die Abwägung miteinzubeziehen. Der derzeit praktizierte Maulkorb der absoluten Amtsverschwiegenheit in Österreich, würde also auch heute schon nicht internationalen Standards genügen.

Eine gute Inspiration liefert die EU-Whistleblower-Richtlinie, die Österreich bis Dezember 2021 umsetzen muss. Die Richtlinie kann auch so umgesetzt werden, dass sie den Bereich der nationalen Sicherheit umfasst, verpflichtend ist das aber nicht. Es gibt sehr gute Vorlagen für die richtige Umsetzung dieser Richtlinie von den NGOs BluePrint, Transparency International und X-Net, sowie unabhängiger Wissenschaftler*innen. Die Wichtigkeit von Whistleblowern wurde auch in dieser Empfehlung des Europarats von 2014 festgehalten.

Prüfstein 4: Richterliche Kontrolle zur Genehmigung einzelner Maßnahmen

Das derzeitige Modell, mit einem Rechtsschutzbeauftragten (RSB) im Innenministerium zu überprüfen, ob eine konkrete Überwachungsmaßnahme gerechtfertigt ist, genügt den Anforderungen an einen ordentlichen Rechtsschutz nicht. Dieses Problem haben wir bereits bei der letzten Novelle des BVTs, dem Polizeilichen Staatsschutzgesetz thematisiert. Die Kritik hat damals zu einigen kosmetischen Nachbesserungen geführt, sodass heute der RSB mit seinen Stellvertreter*innen (einer davon muss Richter*in gewesen sein) entscheidet. In der Praxis ist der RSB aber mehr ein Ermöglichungs- als ein Kontrollgremium. Kaum eine Maßnahme wird vom RSB jemals abgelehnt, sondern es wird Feedback gegeben, wie man eine Überwachung nicht doch noch genehmigt bekommen könnte. Dementsprechend nichtssagend sind die Berichte des RSB. Diese Art von Rechtsschutz genügt nicht den internationalen Vorgaben durch EGMR und EDPB, da er nicht ausreichend unabhängig von der Exekutive ist und vor allem dem Vertrauen der Bevölkerung in den Nachrichtendienst schadet. Sinnvoller und nachvollziehbarer wäre eine unabhängige richterliche Kontrolle, für die man unter Umständen neue Regeln für sensible Verfahren schaffen muss. Sollte es in der BVT-Reform zu einer klareren Trennung zwischen Polizei und Nachrichtendienst kommen, ist selbstverständlich eine richterliche Kontrolle der einzig akzeptable Weg für den Polizeibereich. Es ist nicht erkenntlich, wieso das Innenministerium auch im Polizeibereich sich selbst die Genehmigung für getroffene Maßnahmen geben sollte.

Das unabhängige Genehmigungsverfahren ist einer der zentralsten Prüfsteine, weil es die einzige Chance der Kontrolle ist bevor in Grundrechte eingegriffen wird. Der Rest der Kontrolle kommt im Prinzip immer "zu spät" im Sinne von "das hättet ihr nicht tun dürfen". Eine Grundvoraussetzung für eine (richterliche) Genehmigungsstelle ist ihre Unabhängigkeit, wie dies auch in internationaler Rechtssprechung klar gefordert wird. Weitere relevante Aspekte sind, wie detailiert die Anträge auf Überwachungsmaßnahmen begründet sein müssen, ob die Genehmigung anderer (laufender) Überwachungsmaßnahmen bei der Beurteilung eines neuen Antrags berücksichtigt werden oder nicht, und wie die Autorisierungsentscheidung dokumentiert wird. Zur demokratischen Einbettung der richterlichen Kontrolle sollte der rechtliche Rahmen eine obligatorische Überprüfung der Freigabe vorsehen, die darauf abzielt, so viele Informationen wie möglich zu veröffentlichen, beispielsweise über kritische rechtliche Auslegungen.

Prüfstein 5: Parlamentarische Kontrolle ausbauen

Als die letzte BVT-Reform 2016 beschlossen wurde, hat man den gesamten Bereich der parlamentarischen Kontrolle ausgespart. Die Idee war, dass das Parlament sich selbst diese Kontrollbefugnisse schaffen soll und es nicht Aufgabe der Regierung ist, da diese ja Teil der Exekutive ist, die kontrolliert werden soll. Dies war einhelliges Ziel aller Parlamentsparteien - nur ist leider danach nichts mehr passiert. Umso erfreuter sind wir über die zwei kürzlich eingebrachten Anträge der Opposition zum Ausbau der parlamentarischen Kontrolle. Was NEOS, SPÖ und FPÖ vorgelegt haben, ist natürlich ein Kompromiss, der zum Teil nur das Selbstverständliche beinhaltet, wie ordentliche Protokolle oder Unterrichtungspflichten der Abgeordneten von Innenminister oder BVT-Chef. Wir begrüßen die längst überfälligen Minderheitenrechte in diesen Anträgen und würden diese noch gerne stärker ausgebaut sehen. Umso erstaunter sind wir über die absolute Diskussionsverweigerung der ÖVP, wohingegen die Grünen auf die Vorschläge eingingen.

Abgeordnete glauben oft, sie wären die Antwort auf jede Herausforderung. Parlamentarische Kontrolle ist aber nur ein Baustein einer effektiven Nachrichtendienstkontrolle. In der Praxis gibt es aufgrund der beschränkten Zeit von Abgeordneten und der oftmals fehlenden fachlichen Qualifikation, wenige Situationen, in denen im Ausschuss wirklich Missstände ans Tageslicht kommen. Sollten das trotzdem passieren, verhindert die Geheimhaltung, dass die Abgeordneten sogar gegenüber ihren Fraktionskolleg*innen oder Mitarbeiter*innen über die Probleme sprechen dürfen. Für die Grenzen der parlamentarischen Kontrolle ist Deutschland ein abschreckendes Beispiel.

Eine mit klaren Kontrollbefugnissen und Resourcen ausgestattete parlamentarische Kontrolle hat trotzdem ihre Berechtigung. Ein sinnvoller Einsatz wäre zum Beispiel die Abnahme des Auftragsprofil des Dienstes und von Kooperationen mit ausländischen Geheimdiensten (MoU). Für gravierende Missstände muss es die Möglichkeit für eine Minderheit von Abgeordneten geben, auch weitere Kontrollinstrumente außerhalb des Ausschusses anzusuchen. Das kann bedeuten, einzelne Mitarbeiter*innen außer Dienst zu stellen oder Dokumente deklassifizieren zu lassen, weil sie Hinweise auf schwere Straftaten beinhalten.

Prüfstein 6: Fachliche Nachrichtendienstkontrolle schaffen

Die Lücken parlamentarischer Kontrolle sollten mit einer fachlichen Aufsicht durch ein Kontrollgremium komplementiert werden. Dieses Kontrollgremium sollte zwar unabhängig von der parlamentarischen Kontrolle agieren, aber an vielen Stellen mit ihr zusammenarbeiten. Die dort angestellten Expert*innen sollen aus der Justiz, IT, dem Datenschutz und dem Sicherheitsbereich kommen. Ihnen sollen ausführliche Befugnisse zur Verfügung stehen, um beispielsweise auch klassifizierte Dokumente einzusehen oder Einschau vor Ort zu halten. Dieses Gremium muss in der Lage sein, auch Mitarbeiter*innen des Nachrichtendienstes zu laden und unter Wahrheitspflicht aussagen zu lassen. Die Leitung dieses Gremiums sollte, ähnliche wie die Besetzung des Rechnungshofes, überparteilich besetzt werden. 

Zu den Aufgaben dieses Gremiums gehört auch die Kontrolle der operativen Arbeit des Dienstes. Dies beinhaltet die Kontrolle der Datenverarbeitung. Zum Beispiel ob Daten zeitgerecht gelöscht werden, ob nur erhoben und gespeichert wird, was auch durch eine richterliche Anordnung genehmigt wurde, ob übermittelte Daten von ausländischen Diensten dem entsprechen, was das parlamentarische Kontrollgremium in der Kooperationsvereinbarung (MoU) genehmigt hat, oder auch statistische Musteranalyse von Datenlöschungen, wie zum Beispiel, ob nach einem Anschlag signifikant mehr Daten gelöscht wurden als zuvor. Das Kontrollgremium dient auch als Anlaufstelle für Whistleblower aus dem Nachrichtendienst und kann Ermittlungen, bei vermuteten illegalen Aktivitäten, initiieren.

Prüfstein 7: Nachvollziehbare Klassifizierung von Dokumenten

Wenn der Nachrichtendienst den Zugriff auf Informationen beschränkt, muss dies aufgrund von nachvollziehbaren und öffentlich einsehbaren Kriterien passieren. Die Tshwane Principles liefern einen internationalen Standard für diesen Bereich, wobei sie von der Existenz eines Informationsfreiheits-Gesetzes ausgehen, das es in Österreich als einziges EU Land leider noch nicht gibt. Wenn einer der Gründe für eine Klassifizierung, wie konkrete militärische, nachrichtendienstliche oder diplomatische Interessen vorliegen, kann ein Dokument für einen gewissen Zeitraum klassifiziert sein. Wenn die Begründung für eine Klassifizierung nicht mehr vorliegt, muss das Dokument entklassifiziert werden. Die Klassifizierung kann ebenso aufgehoben werden, wenn die Informationen Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen, Korruption oder andere schwere Straftaten beinhalten. Nachrichtendienstkontrollorgane müssen Zugriff auf klassifizierte Dokumente bekommen, Ombudsstellen und Gerichte ebenso für konkrete Fälle. Die Klassifizierung eines Dokuments kann vor Gericht und von dem Nachrichtendienstkontrollorgan angefochten werden, wobei die staatliche Einrichtung, die die Klassifizierung vorgenommen hat, sich mit sachlichen Argumenten gegen die Entklassifizierung verteidigen kann.

Prüfstein 8: Zugang für die Konrollbehörden

Die Kehrseite von Klassifizierungsmechanismen sind klar und umfassende Zugangsberechtigungen für die Kontrollbehörden. Jede Kontrolle steht und fällt heutzutage mit dem Zugang der Kontrolleur*innen zu den technischen Systemen der Dienste. Ohne Möglichkeit sich auch im Echtsystem einzuloggen und unabhängig Daten abzurufen und auswerten, kann es kein Vertrauen in eine wirksame Aufsicht geben.

Der direkte Zugang zu IT-Systemen ist das A und O, denn er ermöglicht den Aufsichtsbehörden die Datenverarbeitung unangekündigt und automatisiert zu überprüfen. So wird die Kontrolle weniger abhängig von Informationen, die das BVT selbst bereitstellt. In der Schweiz ist das z.B. so geregelt, dass die unabhängige Aufsichtsbehörde Zugang zu allen sachdienlichen Informationen und Unterlagen haben darf, von Unterlagen auch Kopien verlangen und auf sämtliche Informationssysteme und Datensammlungen zugreifen kann.

Prüfstein 9: Größtmögliche Transparenz über die Kontrolltätigkeit selbst herzustellen

Obwohl vollständige Transparenz der Aufsichtsaktivitäten aufgrund von Geheimhaltungsanforderungen nicht immer möglich ist, ist die regelmäßige Berichterstattung durch die Kontrollbehörden ein entscheidendes Mittel, um das Vertrauen der Öffentlichkeit zu gewinnen und der Rechenschaftspflicht nachzukommen.

Dazu gehören auch Regeln, ob und wann sich ein Kontrollgremium aus der Geheimhaltung lösen darf. Bei parlamentarischen Gremien z.B. als Sondervoten. Am US-amerikanische FISC darf z.B. jede*r  Richter*in aus eigenem Antrieb oder auf Antrag einer beteiligten Partei, die Veröffentlichung von Beschlüssen,  Stellungnahmen oder anderen Entscheidung beantragen. Auf diesen Antrag hin kann der/die vorsitzende Richter*in nach Anhörung anderer Richter*innen des Gerichtshofs beschließen, dass das betreffende Dokument veröffentlicht wird. (siehe United States Foreign Intelligence  Surveillance Court (FISC):  «Rules of Procedure», 1. November 2010, Rule 62)

Prüfstein 10: Sorgfaltspflicht des Behördenleiters oder Leiterin, sowie strafrechtliche Konsequenzen für Falschaussagen vor Kontrollgremien und Missbrauch von Überwachungsbefugnissen

Ein Nachrichtendienst ist mit enorm großer Macht in einem Staat ausgestattet. Diese Kompetenzen zu missbrauchen, muss gravierende persönliche Konsequenzen für die handelnde Person haben. In den USA ist es bereits so, dass ein Missbrauch von Überwachungsbefugnissen bis zu fünf Jahren Haft bedeuten kann. In der NSA wurden Fälle bekannt, in denen Nachrichtendienstmitarbeiter*innen ihre Überwachungswerkzeuge gegen Dates und Exfreund*innen eingesetzt haben. Es braucht abschreckende Strafen dieses Missbrauchs von staatlicher Macht und die notwendigen Konsequenzen für das lückenhafte interne Controlling. 

Damit die Kontrolle von Nachrichtendiensten funktionieren kann, müssen die wenigen Kontrollgremien, die von der wirklichen Arbeit wissen dürfen, sich darauf verlassen können, dass sie nicht belogen werden. Leider gibt es zu Hauf Fälle in denen Nachrichtendienstkontrolleure belogen wurden. Deshalb hat Norwegen eine Verpflichtung für alle amtierenden und ehemaligen Nachrichtendienstmitarbeiter*innen geschaffen unter Wahrheitspflicht vor dem Kontrollgremium auszusagen, wenn sie dort vorgeladen werden, ansonsten droht eine Geldstrafe oder bis zu einem Jahr Haft. Eine solche Regelung wäre ebenfalls eine große Bereicherung für das österreichische System.

Der Leiter des Nachrichtendienstes sollte ähnlich wie in den Niederlanden eine persönliche Sorgfaltspflicht für die Einhaltung des Datenschutzes und die Qualität der eingesetzten Algorithmen seiner Behörde haben. Der Behördenleiter muss deshalb angemessene Maßnahmen gegen Datenschutzverletzungen und für die Gültigkeit und Richtigkeit der verarbeiteten Daten ergreifen. Es ist wichtig heraus zu streichen, dass es in Österreich für die öffentliche Hand keinerlei Strafen oder sonstige Konsequenzen bei Verletzungen des Datenschutzes gibt. Dieser komplett rechtsfreie Raum könnte in Kombination mit der geheimen Arbeit eines Dienstes und den dort üblich großen Datenbergen, zu desaströsen Konsequenzen führen, denen nur mit einer ordentlichen Sorgfaltspflicht begegnet werden kann.

Prüfstein 11: Internationale Kooperation des BVT kontrollieren

Geheimdienstkooperation macht mittlerweile einen großen Teil der nachrichtendienstlichen Arbeit aus. Es hat sich ein regelrechter Tauschmarkt von nachrichtendienstlicher Information auf internationaler Ebene entwickelt. Das ist einerseits nachvollziehbar, weil Bedrohungen nicht an Landesgrenzen halt machen. Die Nachrichtendienstkontrolle bleibt dagegen ein streng nationales Unterfangen, wodurch Kontrolllücken entstehen. Durch die sogenannte Third Party Rule können Kontrollgremien Daten, die von Partnerdiensten erlangt wurden, häufig weder einsehen noch kontrollieren. Das ist problematisch, denn ein großer Teil der nachrichtendienstlichen Arbeit bleibt so unkontrolliert.

Durch internationale Kooperationen könnten so im schlimmsten Fall nationale Gesetze und Regeln zum Schutz der eigenen Bevölkerung umgangen werden. Es ist daher wichtig, dass eine Kontrolle von internationaler Kooperation mitbedacht wird. In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Grundsatzurteil zum BND-Gesetz im April eindeutig gefordert, dass internationale Kooperation endlich besser kontrolliert wird. So fordert es zum einen eine Rechtsstaatlichkeitsprüfung, um den Schutz von Menschenrechten und adäquaten Datenschutz in Empfängerländern sicherzustellen (Para 236-238). Zum anderen fordert es, dass die Kontrolle in Zukunft nicht durch die Third Party Rule behindert werden darf. Für Aufsichtsgremien in Norwegen, Dänemark und den Niederlanden beispielsweise, ist dies schon längst Standard. Österreich sollte hier nicht zurückbleiben.

Prüfstein 12: Trennungsgebot und kein Waffenbesitz für Nachrichtenmitarbeiter*innen

Wenn man es mit der Trennung von Polizei und Nachrichtendienst bei dieser Reform ernst meint, ist es nur konsequent, das Tragen einer Waffe für Nachrichtendienstmitarbeiter*innen zu untersagen. Entweder, die Person ist Teil der Polizei und setzt das staatliche Gewaltmonopol durch, oder sie ist im Dienst eines Nachrichtendienstes und ihr Job ist es, Informationen für ein Lagebild zu beschaffen, aber eben nicht operativ tätig zu sein. Es braucht an dieser Stelle keine Waffen.

In der Geschichte gibt es genügend abschreckende Beispiele, was passiert wenn die Trennung von Polizei und Diensten aufgehoben wird (Gestapo, Stasi, etc.). Die besonderen Befugnisse eines Nachrichtendienstes lassen sich nur damit legitimieren, dass keine Strafverfolgungstätigkeiten vorgenommen werden. Wenn ein konkreter Verdacht vorliegt oder sich eine konkrete Gefahr abzeichnet, ist die Polizei am Zug.

Wie geht es jetzt weiter?

Diese und weitere Forderungen auf Basis der wissenschaftlichen Literatur haben wir am 14. Oktober 2019 Innenminister Peschorn übergeben. Er war zu diesem Zeitpunkt Leiter der Reformgruppe BVT im Innenministerium. Dieses Wissen liegt also im BMI auf. Von einer effektiven Nachrichtendienstkontrolle nach dem massiven Behördenversagen am 2. November 2020 abzusehen, ist eine politische Entscheidung. Wir rechnen in den nächsten Wochen mit den Gesetzesvorschlägen zur BVT-Reform und werden unser Bestes tun, damit diese Reform grundrechtsfreundlich ausgestaltet wird.

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