Chatkontrolle: Massenüberwachung getarnt als Kinderschutz
Seit 2022 versucht die EU-Kommission ein Gesetz durchzusetzen, alle privaten Nachrichten, Bilder und E-Mails verpflichtend zu scannen – automatisch, flächendeckend und ohne konkreten Verdacht.
Jede WhatsApp-Nachricht, jedes Babyfoto, jede Mail an den Arzt oder Anwalt soll von Künstlicher Intelligenz (KI) durchsucht werden, bevor sie verschlüsselt wird.
Das offizielle Argument lautet: Kinderschutz. Hinter einem so edlen Ziel kann man sich natürlich gut verstecken. Wer würde denn Kinder nicht schützen wollen? Was aber als Schutzmaßnahme verkauft wird, ist in Wahrheit der größte Angriff auf die Privatsphäre in der Geschichte der EU.
Warum schon eine kleine Fehlerquote katastrophal ist
Was für die KI als „verdächtig“ gilt und deshalb an die zuständigen Behörden weitergeleitet wird, entscheidet ein undurchsichtiger Filter – ohne Transparenz, ohne Kontrolle. Die Fehlerquote solcher Systeme ist dabei enorm.
Bei Milliarden Nachrichten in Europa pro Tag führt selbst eine sehr geringe Fehlerrate dazu, dass Millionen harmloser Inhalte fälschlich als „verdächtig“ markiert und an Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet würden. Diese Flut an Fehlalarmen überfordert Ermittlungsbehörden, lenkt Ressourcen von echten Fällen ab und setzt unschuldige Menschen einem Behörden-Stigma aus. Das elektronische Briefgeheimnis würde systematisch millionenfach pro Tag verletzt. Genau das macht die Maßnahme zum Gegenteil eines zielgerichteten Kinderschutzes: statt Prävention entsteht Generalverdacht.
Ein Gesetz das niemand will
Genau diese Bedenken werden seit Beginn der Verhandlungen von allen Seiten geäußert. Datenschutz- und Menschenrechtsorganisationen, Wirtschaftsverbände und technische Expert:innen sprechen sich gleichermaßen gegen dieses Gesetz aus.
Besonders zu denken gebend, sogar Kinderschutzorganisationen wie der Deutsche Kinderschutzbund oder die Möwe aus Österreich kritisieren das Vorhaben stark: Das Gesetz hilft keinem Kind, verletzt aber die Grundrechte von Millionen Menschen.
Auch die Rechtsdienste der EU-Kommission, des EU-Parlaments und sogar der juristische Dienst des Rats der Mitgliedstaaten halten die geplante Verordnung für europarechtswidrig – sie würde vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) kaum Bestand haben. Die Halbwertszeit dieses Gesetzes wäre also in Monaten zu messen.
Das Ende von Ende-zu-Ende
Ende-zu-Ende-Verschlüsselung sichert uns praktisch das digitale Briefgeheimnis. Ohne Verschlüsselung ist kein sicherer Austausch zwischen Bürger:innen, Journalist:innen, Whistleblowern, Anwält:innen oder Ärzt:innen mehr möglich.
Wenn sich sogar große Anbieter wie Signal, WhatsApp und Threema klar gegen die Chatkontrolle aussprechen, sollte uns das wirklich zu denken geben. Signal Chefin Whittaker kündigt an, lieber den europäischen Markt zu verlassen als die Integrität der Verschlüsselung zu untergraben. Dazu wäre allein der technische und rechtliche Aufwand besonders für kleinere Anbieter ein Todesstoß.
Schlüsselrolle: Österreich
Die Debatte um die Chatkontrolle polarisiert seit Jahren, doch Österreich ist bislang standhaft. Ein Allparteienbeschluss des Nationalrats aus 2022 legt eindeutig fest, dass dieser Massenüberwachung nicht zugestimmt werden darf. Damit gibt das Parlament der Regierung ihre Verhandlungsposition im Rat der EU vor.
Trotz dieser klaren Linie nimmt Österreich in der aktuellen Auseinandersetzung eine besondere Rolle ein. Wir stellen den zuständigen EU-Innenkommissar: Magnus Brunner (ÖVP). Er wurde letztes Jahr von der Volkspartei nach Brüssel entsandt. Dort ist er den gemeinsamen Interessen der EU und zur Einhaltung der Grundrechtecharta verpflichtet.
Trotz der eindeutigen Haltung aller Parteien in Österreich und der durch mehrere Urteile des EuGH bestätigten Ablehnung von Massenüberwachung, hat sich Brunner bisher nicht öffentlich zur Chatkontrolle geäußert. Deshalb fordern wir von Kommissar Brunner endlich Stellung zur Chatkontrolle zu beziehen. Nicht die Bürokratie seines Hauses oder seine Vorgängerin, sondern er trägt aktuell die politische Verantwortung für dieses Gesetz. Entweder er ist der Meinung die Chatkontrolle sei grundrechtskonform und sollte beschlossen werden oder er muss sich von dem Vorschlag distanzieren und Raum für echten Kinderschutz schaffen. Je länger sein Schweigen noch andauert, umso mehr missachtet er seine Verantwortung für die Grundrechte von Millionen Europäier:innen.
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