Am 28. April 2021 hat das Europaparlament seine Position zum  Covid-Pass (das "Digitale Grüne Zertifikat" oder "Grüner Pass") beschlossen. Mit dem Gesetzesvorstoß wird das Ziel verfolgt, Reisen innerhalb der EU wieder zu ermöglichen. Der Vorschlag soll den EU-Ländern einen gemeinsamen Rahmen liefern, nach dem Zertifikate für Testergebnisse, überstandene Coronaerkrankungen oder Impfungen erstellt und geprüft werden können. 
 
Beim ersten Hinhören klingt das ja alles schön und gut, geht man aber einen Gedankenschritt weiter, liegt schnell auf der Hand, dass dieses vorgeschlagene System das Potenzial hat, die Gesellschaft zu spalten und die Inhaber*innen der Zertifikate weitreichender Überwachung durch die ausstellenden Behörden auszusetzen. Schlimmer noch: es verschärft Ungleichheiten und ist ein Booster für soziale Ausgrenzung.

Keine Zwei-Klassen-Gesellschaft

Um Menschen das Reisen zu ermöglichen, schlägt die EU vor, Testergebnisse als akzeptable Alternative zu Impfnachweisen anzuerkennen. In Anbetracht der Tatsache, dass es noch länger dauern wird, bis alle, die wollen, auch tatsächlich geimpft werden können, wäre das ja eigentlich ein begrüßenswerter Schritt. Nur hat die Sache auch einen Haken: Damit das überhaupt funktionieren kann, ist es notwendig, dass Mitgliedsstaaten die Tests sowohl finanziell als auch geografisch zugänglich machen. Denn in vielen Ländern steht es eher schlecht um die Verfügbarkeit von Tests oder die Preise davon sind schlichtweg nicht erschwinglich. Für die Menschen in diesen Mitgliedsstaaten stellt die angepriesene Alternative nur eine leere Hülle ohne tatsächlichen Nutzen dar. Hier hat das Europaparlament einen ganz wichtigen Schritt gesetzt, indem es Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, die Verfügbarkeit von gratis Antigentests zu garantieren. Gerade sozio-ökonomisch schwächer gestellte Gruppen brauchen diesen einfachen Zugang, wenn sie nicht zu Bürger*innen zweiter Klasse werden sollen, die ohne Covid-Pass von vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen wären. 
 
Darüber hinaus muss der Covid-Pass sowohl in Papier- als auch in digitalem Format verfügbar sein. Andererseits würden Menschen ohne Smartphone oder Personen, die ihr Handy dafür nicht verwenden möchten, ausgeschlossen. Außerdem hat nicht jede Person einen Drucker zu Hause. Wenn durch den Covid-Pass Rechte eingeräumt werden, dann muss das auch ausnahmslos und kostenlos für alle gelten! Auch hier hat das Europaparlament nachgeschärft, indem die betroffene Person sich nun aussuchen kann, ob der Covid-Pass auf Papier oder elektronisch ausgestellt wird und das auch niederschwellig für alle möglich sein muss.

Big Brother in den Startlöchern?

Ein Punkt der uns ebenfalls ein Dorn im Auge ist: die Ungewissheit der Technik hinter dem Zertifikat. Hier lauert die Gefahr, dass umfangreiche Datensammlungen über Menschen angelegt werden. Und das nicht nur, wie man vielleicht erwarten würde, zum Impf- und Genesungsstatus bzw. über vergangene Testergebnisse. Ohne die Absicherungen, die das Europaparlament beschlossen hat, ist es technisch leicht machbar, Bewegungsprofile, die Religionszugehörigkeit oder auch was man so in der Freizeit tut, an zentraler Stelle zu erfassen. 
 
Einige EU-Mitgliedsstaaten wie Dänemark, Österreich oder Ungarn haben bereits angekündigt, dass dieses System auch für die Eintrittstests zu Gastronomie, Religionsstätten oder Sportanlagen genutzt werden soll. Hier wird eine potenziell brandgefährliche Kontrollinfrastruktur aufgebaut, die in alltäglichen Lebensbereichen nicht nur den Zutritt von Menschen ins soziale Leben kontrolliert, sondern auch die gesamte Bevölkerung auf Schritt und Tritt überwachen kann.

Was wir wollen: Offline-Verifizierung & knallharte Anwendungsgrenzen

Es ist jetzt essentiell, dass aus der EU-Verordnung zum Covid-Pass klar hervorgeht, dass nur eine Offline-Verifizierung mit im Vorhinein heruntergeladenen digitalen Signaturschlüsseln den Prinzipien von Privacy by Design entspricht. So kann garantiert werden, dass die Ausstellenden bei der Verifizierung eines Zertifikats keine Informationen über den Verifizierungsprozess oder dessen Umstände erhalten können und so nicht an zentraler Stelle anfällt, wer wo wann welche Orte aufsucht. Wichtig ist auch, dass die Verordnung klarstellt, dass jede weitergehende Nutzung dieses Zertifikatsystems am besten gleich ganz verboten ist oder ausschließlich begleitet von einer Datenschutzfolgenabschätzung durch eine nationale Gesetzgebung genehmigt werden muss. Ansonsten könnten in Ländern wie Dänemark oder Österreich private Gastronom*innen oder Securities von Stadien mit den Daten über Impfungen oder Genesungen ihrer Kund*innen Schindluder betreiben.

Wie geht’s nun weiter mit dem Covid-Pass auf EU-Ebene?

Mit unseren oben skizzierten Befürchtungen sind wir zum Glück nicht alleine. Aus diesem Grund haben wir am 26.04.2021 zusammen mit 28 Menschenrechts- und Netzpolitikorganisationen einen offenen Brief an die Abgeordneten des EU-Parlaments verfasst, um sie noch vor der Abstimmung im Parlament am 28.04.2021 auf die Unzulänglichkeiten des Entwurfs hinzuweisen und sie über potenziell entstehende Begehrlichkeiten und Verschlechterungen aufzuklären. 
 
Nachdem die Mitgliedsstaaten im Rat der EU ihr Verhandlungsmandat auch bereits beschlossen haben, beginnt nun der Trilog. Das bedeutet, dass das Europaparlament, vertreten durch das Verhandlungsteam rund um Berichterstatter Lopez-Aguilar (Spanien, Sozialdemokrat), der aus den Kanarischen Inseln kommt, mit der portugisischen Ratspräsidentschaft, die alle 27 Mitgliedsstaaten vertritt, über die finale Verordnung verhandelt. Wir rechnen im Mai mit einem fertigen Gesetz und werden uns nach ganzen Kräften in den Verhandlungen einbringen. 
 

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