Bislang waren die Regelungen für die Genehmigung, die Durchführung und die Überwachung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln in Umsetzung europarechtlicher Bestimmungen1 im Arzneimittelgesetz („AMG“) und Gentechnikgesetz („GTG“) festgeschrieben.2 Nun legte das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz am 20. Oktober 2021 einen Gesetzesentwurf zur Begutachtung vor, mit dem die beiden genannten Gesetze geändert werden sollen.3 Grund dafür sind europarechtliche Vorgaben: Die Verordnung (EU) Nr. 536/2014 über klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln vom 27.05.201444 („die Verordnung“) gibt europaweit verbindliche Normen für die Genehmigung, die Durchführung und die Überwachung von klinischen Prüfungen vor und ist in den EU-Mitgliedsstaaten unmittelbar anwendbar. Dieser Umstand macht eine Anpassung der bisherigen Regelungen über klinische Prüfungen im AMG nötig. Dabei müssen alle Bestimmungen aufgehoben werden, soweit deren Gegenstand durch die Verordnung geregelt wird.

Attraktiver Wirtschaftsstandort und rascher Zugang zu innovativen Arzneimitteln

Den erläuternden Materialien zufolge wird der Gesetzesentwurf von den Bestrebungen der Bundesregierung getragen, ein effektives Genehmigungsverfahren für klinische Studien zu schaffen, um den Forschungsstandort weiter attraktiv zu halten und zu sichern. Das Ziel ist es, dass weiterhin klinische Prüfungen von Arzneimitteln in Österreich stattfinden. In den Erläuterungen wird dabei besonders betont, dass dies – neben den Interessen der Ärzteschaft am Schritthalten mit den Entwicklungen der medizinischen Wissenschaft – vor allem auch im Interesse der forschenden pharmazeutischen Industrie gelegen ist.  Es geht der Regierung also um die Pharmaindustrie.

Was ist also neu?

Vor diesem Hintergrund müssen nun Bestimmungen geschaffen werden, um die Koordination der zuständigen nationalen Behörde - in Österreich ist das das Bundesamt für Sicherheit und Gesundheitswesen - mit der jeweils zuständigen Ethikkommission zu regeln. Mit einer klinischen Studie darf erst nach Zustimmung des Bundesamtes für Sicherheit und Gesundheitswesen („Bundesamt“) begonnen werden. Zur ethischen Beurteilung einer klinischen Studie ist überdies eine Ethikkommission hinzuzuziehen. Der Gesetzesentwurf trifft nähere Regelungen zum Verfahren für die Überprüfung von Studien und dafür relevante Fristen, sowie auch zu Ausstattung der Ethikkommissionen, den Anforderungen deren Stellungnahmen oder der Häufigkeit deren Plenarsitzungen.  

Überdies enthält der Gesetzesentwurf weitere Bestimmungen, wo die Verordnung dem nationalen Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum einräumt. Dies ist beispielsweise der Fall bei der Wahl der Sprache, in welcher Anträge für klinische Prüfungen gestellt werden können. Zudem werden bereits bestehende Bestimmungen zum Schutz von besonders vulnerabler Gruppen – etwa nicht einwilligungsfähiger Personen oder Personen, die auf behördliche oder gerichtliche Anordnung angehalten werden - als Prüfungsteilnehmer*innen aufrecht erhalten.

Und der Datenschutz?

Der aktuelle Gesetzesentwurf ist aus datenschutzrechtlicher Perspektive in mehrfacher Hinsicht bedenklich. Besonders erwähnenswert dabei ist, dass zwar die Verarbeitung von Daten geregelt ist, wobei dies auch besonders schützenswerte Kategorien personenbezogener Daten (Gesundheitsdaten) betrifft. Diese werden etwa vom Bundesamt und den Ethikkommissionen verarbeitet. Allerdings mangelt es an einer Definition, welche personenbezogenen Daten nun konkret verarbeitet werden und es sind auch keine angemessenen Garantien für den Schutz der Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen im Entwurf enthalten. Ebensoweing enthält der Gesetzesentwurf eine Klarstellung, welche dieser Stellen die Daten als eigenständig Verantwortliche gemäß der Datenschutzgrundverordnung („DSGVO“) verarbeiten. Eine solche Regelung wäre aber insofern wichtig, als damit Informationspflichten bei der Erhebung von personenbezogenen Daten gegenüber dem einzelnen Individuum einhergehen. Außerdem ist der Verantwortliche auch Adressat der Betroffenenrechte. Diese inkludieren insbesondere das Auskunftsrecht, das Recht auf Berichtigung, das Recht auf Löschung („Recht auf Vergessenwerden“), das Recht auf Einschränkung der Verarbeitung, das Recht auf Datenübertragbarkeit sowie das Widerspruchsrecht. Ohne präzise Regelung ist aber für die Betroffenen nicht ersichtlich, wo sie die genannten, ihnen zukommenden Rechte denn auch geltend machen können.

Zudem sieht der aktuelle Gesetzesentwurf eine pauschale Einschränkung der Betroffenenrechte vor, die ebenso wenig im Einklang mit den Vorgaben der DSGVO steht. Zwar dürfen Gesetze Einschränkungen vorsehen, allerdings nur solange der Wesensgehalt der Rechte nicht verletzt wird. Zudem müssen die Einschränkungen notwendig und verhältnismäßig sowie auch gesetzlich konkret ausgestaltet sein. Wieso die Einschränkung von Betroffenenrechten notwendig ist, müsste in den Erläuterungen des Gesetzes ausführlich begründet sein. Auch das hat das Gesundheitsministerium verabsäumt. Aktuell wird in den Erläuterungen pauschal auf Gründe des öffentlichen Interesses im Bereich der öffentlichen Gesundheit verwiesen. Der Entwurf des Gesundheitsministeriums weist massive Datenschutzmängel in mehrlei Hinsicht auf.

Conclusio

Zweifelsohne ist eine hochwertige klinische Prüfung von Humanarzneimitteln und die Entwicklung innovativer Arzneimittel im allgemeinen Interesse gelegen und für die Gesundheitsversorgung wichtig. Dass diesem ausdrücklich in den Erläuterungen des Gesetzesentwurfs genannten Ziel jedoch erneut der Datenschutz geopfert wird, ist höchst bedenklich. Erst kürzlich ging in einem anderen Gesetzgebungsverfahren, nämlich jenem zum Registerforschungsgesetz, die Begutachtungsfrist zu Ende. Im Zuge dessen machte epicenter.works wiederholt auf die gravierenden Defizite in punkto Datenschutzrecht aufmerksam und rief dazu auf, den vorgelegten Entwurf vor Abstimmung im Parlament Mitte November noch nachzubessern.5 Leider ohne Erfolg – unseren begründeten Bedenken wurde kein Gehör geschenkt. Besonders bitter im Zusammenhang mit dem Gesetzesentwurf, der den Zugang von Forschungseinrichtungen auf Datenbanken regelt, war zudem die Positionierung des Gesetzgebers, qualitativ hochwertige Forschung und Errungenschaften des Datenschutzes als nicht miteinander vereinbar darzustellen.

Unter dieser vermeintlichen Prämisse der Unvereinbarkeit von Forschung und Wissenschaft mit einem umfassenden Datenschutz und der effektiven Gewährung der Betroffenenrechte im Sinne der DSGVO wird letzteres auch im nunmehr vorliegenden Gesetzentwurf freihändig ausgehebelt. Auch dieser Entwurf opfert die im Datenschutzrecht verankerten Betroffenenrechte im Namen der Wissenschaft, des Wirtschaftsstandorts Österreich und der Beschleunigung der Verfahren und trägt letztendlich als weiterer Baustein zu einem offenbar beabsichtigten, systematischen Aushöhlen der DSGVO über die Hintertüre bei.

Diese in den jüngsten Gesetzesentwürfen feststellbare Tendenz der Spaltung verfolgen wir mit großer Sorge. Eine schleichende Aushöhlung der Betroffenenrechte durch einen überbordenden Fokus auf Geschwindigkeit, Forschungsstandort und Wissenschaft zum Nachteil der betroffenen Individuen zum vermeintlichen Wohle der Allgemeinheit ist eine gefährliche Stoßrichtung. Die Bundesregierung täte jedenfalls gut daran, datenschutzrechtliche Bestimmungen auch tatsächlich ernst und von einer indirekten Abschaffung der in der DSGVO verbrieften Rechte der Betroffenen Abstand zu nehmen.


Fußnoten

[1] Richtlinie 2001/20/EG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung der guten klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln, ABl. Nr. L 121 vom 1.5.2001 S. 34, in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 596/2009 ABl. Nr. L 188 vom 18.7.2009 S. 14; sowie Richtlinie 2005/28/EG zur Festlegung von Grundsätzen und ausführlichen Leitlinien der guten klinischen Praxis für zur Anwendung beim Menschen bestimmte Prüfpräparate sowie von Anforderungen für die Erteilung einer Genehmigung zur Herstellung oder Einfuhr solcher Produkte, ABl. Nr. L 91 vom 9.4.2005 S. 13.
[2] Dazu insbesondere bisher die Begriffsbestimmungen in § 2a des Arzneimittelgesetzes (AMG), die materiellen Regelungen über die Durchführung klinischer Prüfungen im III. Abschnitt (§§ 28 bis 48) des AMG.
[3] Bundesgesetz, mit dem das Arzneimittelgesetz und das Gentechnikgesetz geändert werden sollen.         
[4] Verordnung (EU) Nr. 536/2014 über klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/83/EG, ABl. Nr. L 158, vom 27.05.2014 S 1.
[5] https://epicenter.works/content/registerforschung-regierung-auf-kollisionskurs-mit-dem-datenschutz, https://epicenter.works/document/3492.   

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