Am 5. April 2018 haben alle im Nationalrat vertretenen Oppositionsparteien ein öffentliches Hearing zum Überwachungspaket organisiert. Unsere Juristin Angelika Adensamer war als Expertin am Podium. Hier der Text ihres Statements. 

 

Am 5. April 2018 haben alle im Nationalrat vertretenen Oppositionsparteien ein öffentliches Hearing zum Überwachungspaket organisiert. Unsere Juristin Angelika Adensamer war als Expertin am Podium.

Hier der Text ihres Statements: 

Regierung ignoriert Kritik der Zivilgesellschaft

Wir von der Grundrechts-NGO epicenter.works haben schon beim letzten Anlauf zu diesem Überwachungspaket 2017 Alarm geschlagen. Damals haben Bürgerinnen und Bürger über 9.000 kritische Stellungnahmen im parlamentarischen Begutachtungsverfahren eingebracht. Beim neuen Entwurf sind die Ministerien auf einen Großteil der Kritik gar nicht eingegangen. Wir haben auch dazu wieder detaillierte Stellungnahmen eingebracht, die man in voller Länge auf der Parlaments-Website (siehe >>hier und >>hier) abrufen kann, und über 1.500 Zustimmungen dafür bekommen. Auch viele andere Institutionen, wie Amnesty International, das Rote Kreuz, Vertreterinnen und Vertreter von Universitäten, der Österreichische Rechtsanwaltskammertag und der Verfassungsdienst des Justizministeriums haben wieder scharfe Kritik geübt. Es gab Kundgebungen in Wien, Graz, Linz und Innsbruck mit Tausenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Es ist klar: Die Bürgerinnen und Bürger wollen sich nicht überwachen lassen.

Dieses Paket stellt wahrscheinlich die massivste Verschärfung von Überwachungsbefugnissen in der zweiten Republik dar 

Was ist alles vorgesehen? Der vieldiskutierte Bundestrojaner, eine neue Form der Vorratsdatenspeicherung unter dem Namen „Quick-Freeze“. Hierzu braucht es nun zwar einen Anlassverdacht, aber in ihrer Breite geht diese Befugnis fast so weit wie die Vorratsdatenspeicherung, die 2014 vom EuGH für grundrechtswidrig erklärt wurde. Dann der erweiterte Einsatz von IMSI-Catchern zur Funkzellenauswertung, die Aufweichung des Briefgeheimnisses, eines unserer ältesten Grundrechte, die Registrierungspflicht für alle SIM-Karten, leichterer Zugriff für die Polizei auf Videoüberwachung im öffentlichen Raum, die Überwachung von Kraftfahrzeugen und die Zusammenarbeit der Polizei mit Bürgerinnen und Bürgern in sogenannten Sicherheitsforen. Von diesen Befugnisausweitungen sind eine Reihe an Grundrechten betroffen: das Recht auf Achtung der Privatsphäre nach Art. 8 EMRK und Art. 7 GRC, das Grundrecht auf Datenschutz nach § 1 DSG und Art. 8 GRC, das Briefgeheimnis nach Art 10 StGG, das Fernmeldegeheimnis nach Art 10a StGG und schließlich das Recht auf ein faires Verfahren nach Art 6 EMRK, insbesondere wenn es um Überwachung von Anwältinnen und Anwälten geht. Auch das Grundrecht auf Eigentum könnte dadurch betroffen sein, dass Betreibern von Videoanlagen vorgeschrieben werden kann, Aufnahmen zu speichern.

Auch wenn Justiz- und Innenminister anderes behaupten: Es handelt sich um Massenüberwachung

Schon bei der Präsentation des neuen Überwachungspakets am 21. Februar 2018 haben Innenminister Kickl und Justizminister Moser betont, Massenüberwachung sei nicht vorgesehen. Das ist schlichtweg falsch. Von den Maßnahmen werden auch zahllose Unbeteiligte betroffen sein: Jeder Aufenthalt an öffentlichen Orten kann aufgezeichnet, jede Autofahrt dokumentiert werden. Jede SIM-Karte muss registriert werden. Auch "Quick Freeze", der neue Anlauf für die Vorratsdatenspeicherung ist in diesem Entwurf auf eine Weise geplant, die eine weitreichende Speicherung von Telekommunikationsdaten bis zu 12 Monate erlaubt – ohne Einschränkung nach Ort oder Personenkreis. All das sind Massenüberwachungsmaßnahmen, die uns sehr wohl alle betreffen.

Sogar der Bundestrojaner betrifft nicht nur eines Verbrechens Beschuldigte: Er kann vielmehr sogar auf Geräten installiert werden, mit denen Beschuldigte Kontakt aufnehmen könnten. Wer also z.B. beruflich mit vielen Personen Kontakt hat, ohne diese zu kennen, kann betroffen sein, ohne es zu wissen. Überwacht werden darf dann nicht nur die Kommunikation, sondern auch ein Cloud-Backup, oder das Speichern eines Entwurfs im E-Mail-Ordner. Diese Befugnis geht also weit über die traditionelle Kommunikationsüberwachung hinaus.                              

Rechtsschutz ist mangelhaft

Der Rechtsschutz ist ein zentraler Bestandteil der Demokratie, weil nur so sichergestellt werden kann, dass die Exekutive - in diesem Fall - die Polizei Gesetze auch tatsächlich einhält - wie es ihre Rolle ist. Ohne eine solche Kontrolle macht sich die demokratische Gesetzgebung obsolet.

Es ist falsch, dass hier für alle Maßnahmen ein richterlicher Rechtsschutz vorgesehen wäre. Ein solcher ist weder bei der Videoüberwachung an öffentlichen Orten, noch bei der Straßenüberwachung, noch beim Einsatz von IMSI-Catchern noch bei der Anordnung zur Datenspeicherung nach dem Quick Freeze vorgesehen.
                                   
Auch der Rechtsschutzbeauftragte soll kein Recht haben, die Datenspeicherung durch das Quick Freeze zu prüfen! Das ist hier besonders problematisch, weil die Speicherung vor den Betroffenen zunächst geheim bleibt, was bedeutet, dass man selbst die eigenen Rechte nicht wahren kann. Wegen der vorhin schon erwähnten breiten Einsatzmöglichkeit, ist anzunehmen, dass der Kreis der Betroffenen dementsprechend groß sein wird. Ebenso wenig wird der Rechtsschutzbeauftragte bei der Herausgabeverpflichtung von Videomaterial eingebunden und nicht bei allen Fällen der Speicherverpflichtung.

Beispiel: Wird das geplante Gesetz in der Form umgesetzt, darf die Polizei Videoaufnahmen, die Menschen im öffentlichen Raum zeigen, ohne vorherige Genehmigung von einem Gericht oder dem Rechtsschutzbeauftragten, verarbeiten, wenn die Aufnahmen freiwillig an die Polizei ausgeliefert werden. Das soll etwa bei "bestimmten Ereignissen" möglich sein, um die öffentliche Ordnung zu wahren, man denke an Fußballspiele oder Demonstrationen.

Dass die Regierung die Rolle der Justiz einschränken möchte, zeigt sich nicht nur in ihrer Ablehnung, richterlichen Rechtsschutz für Überwachungsmaßnahmen zu gewährleisten, sondern auch an ihrem Sparprogramm. Genau vor einer Woche warnten Vertreterinnen und Vertreter der Richterschaft vor schweren Schäden der österreichischen Justiz, verursacht durch die Einsparung von 176 Stellen im Kanzleibereich und 42 fehlende Nachbesetzungen von Richter- und Staatsanwaltsstellen So handelt keine Regierung, die sich ernsthaft für Sicherheit einsetzen will!

Wir brauchen ein anderes Verständnis von Sicherheit

Das Überwachungspaket kommt zur Zeit einer ständig sinkenden Kriminalitätsrate, und einer steigenden Aufklärungsrate. Es ist unverständlich, wieso diese neuen Überwachungsbefugnisse notwendig sein sollen - abgesehen davon, dass umstritten ist, dass Massenüberwachung überhaupt einen Beitrag zur Sicherheit leistet. Der Bundestrojaner ist sogar eine Sicherheitsgefährdung. Eine echte Sicherheitspolitik ist eine Sozialpolitik, die allen Menschen ein selbstbestimmtes Leben in Würde ermöglicht, ist eine ausreichend finanzierte Bewährungshilfe, sind Deradikalisierungs- und Aussteigerprogramme, usw.

Überwachungsgesamtrechnung endlich angehen

Es dürfen keine weiteren Überwachungsbefugnisse eingeführt werden, bevor nicht – auch empirisch – gezeigt wird, wie effektiv die alten wirken. Wir fordern daher schon lange eine Überwachungsgesamtrechnung, die nicht nur die einzelnen Befugnisse in Betracht zieht, sondern alle in ihrer Gesamtheit, und vor allem ihr Zusammenwirken. Bei den Entwürfen fehlt auch eine Wirkungsfolgenabschätzung, die die Folgen für Gesellschaft, Grundrechte, oder auch den Datenschutz betrachtet.

Ich möchte noch einmal betonen: Dieses Paket enthält Befugnisse zur Massenüberwachung, und bei diesen fehlt der richterliche Rechtsschutz weitgehend. Die Regierung behauptet dennoch, diese Überwachungsmaßnahmen seien "zielgerichtet, treffsicher, dosiert, sozusagen fast chirurgisch genau, einzelfallbezogen und mit einem entsprechenden Paket von Rechtsschutzmitteln ausgestattet" (Innenminister Kickl im Nationalrat, am 28. Februar 2018). Das kann entweder eine bewusste Strategie zu Irreführung der Öffentlichkeit sein, oder es ist ein Beleg dafür, dass den Ministern nicht ganz klar ist, was sie hier fordern. In beiden Fällen wäre es höchst problematisch, dieses Gesetz zu beschließen. Ich rufe daher alle Mitglieder des Innen- und des Justizausschusses auf, heute dagegen zu stimmen. Sollte das Überwachungspaket tatsächlich verabschiedet werden, kann ich mir gut vorstellen, dass der Verfassungsgerichtshof viele der Bestimmungen wieder aufhebt.

Überwachungspaket ist eine Gefahr für die offene Gesellschaft

Das Fazit, zu dem ich nach eingehender Beschäftigung mit der juristischen Materie gelangt bin, ist: Dieses Paket verletzt in vielen Punkten unsere Grundrechte. Damit stellt es auch eine Gefahr für unsere Demokratie dar. Österreich fügt sich hier im die Reihe europäischer Länder ein, die nach und nach den Rechtsstaat abbauen. Das ist eine viel größere Gefahr für unsere Gesellschaft als Terrorismus und Kriminalität es jemals sein könnten. Ich muss daher vor diesem Überwachungspaket warnen, als Juristin und als Bürgerin. 

Weitere Sprecherinnen und Sprecher beim Hearing

  • Mag.a Angelika Adensamer, MSc (epicenter.works)
  • Dr. Constanze Kurz (Chaos Computer Club DE)
  • RA Mag. Ewald Scheucher 
  • Angela Lueger, Sicherheitssprecherin SPÖ und Vorsitzende des Innenausschusses des Nationalrats
  • Nikolaus Scherak, Verfassungssprecher NEOS
  • Alma Zadic, sicherheitspolitische Sprecherin Liste Pilz

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