Morgen treffen sich die Telekom-Regulatoren aus allen EU-Ländern in Brüssel für eine außerordentlich schwierige Aufgabe: Sie beraten über mehr als eine halbe Million Kommentare, die zu den Umsetzungsrichtlinien für Netzneutralität bei ihnen eingegangen sind. 

 

Morgen treffen sich die Telekom-Regulatoren aus allen EU-Ländern in Brüssel für eine außerordentlich schwierige Aufgabe: Sie beraten über mehr als eine halbe Million Kommentare, die zu den Umsetzungsrichtlinien für Netzneutralität bei ihnen eingegangen sind. 

In der Zwischenzeit haben Telekommunikationsunternehmen ihre Angriffe auf das offene Internet verschärft. Der europäische Branchenverband ETNO will gemeinsam mit der globalen Interessensvertretung GSMA sogar das Recht auf freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit aus den neuen Regeln streichen. Und dies obwohl mehrere Journalistenverbände darauf hingewiesen haben, dass Verletzungen der Netzneutralität eine massive Einschränkung der Redefreiheit und der Medienvielfalt im Internet darstellen. Sie argumentieren, dass es Netzneutralität und insbesondere eine klare Absage an Zero-Rating (keine Einrechnung des Datenverkehrs bestimmter Services in das vergebührte Volumen) braucht, um sicherzustellen, dass alle die gleichen Voraussetzungen haben, sich online zu äußern.

BEREC (Body of European Regulators of Electronic Communications), das Gremium aller europäischen Telekom-Regulierungsbehörden hat einen knappen Zeitplan. Es muss die finalen Regeln am 30. August 2016 vorlegen und dafür mehrere Hunderttausend Kommentare auswerten.

Dieser Wettlauf mit der Zeit stellt BEREC vor eine schwierige Aufgabe. Sie muss verantwortungsvoll mit mehr als 500.000 Kommentaren aus vielen Teilen der Gesellschaft umgehen, die klare Regeln für echte Netzneutralität einfordern

, sagt Thomas Lohninger, Aktivist bei der Plattform savetheinternet.eu.

 

Die überraschend große Zahl der Antworten auf den Konsultationsvorschlag zeigt, wie groß das Interesse der Öffentlichkeit an eindeutigen Richtlinien ist, die die Netzneutralität schützen. Nun sind alle Augen auf BEREC gerichtet. Es ist die wohl wichtigste Entscheidung, die das Gremium jemals zu treffen hat

, sagt Estelle Masse, Senior Policy Analystin von Access Now und ebenfalls Mitglied der Koalition SaveTheInternet.eu.

BEREC ist in immer stärkeren Ausmaß aggressiven und oft auch bizarren Attacken von Telekomunternehmen und Internetmonopolisten ausgesetzt, die auf die Rolle, die Expertise und die Analysen des Gremiums abzielen 

, beschreibt Joe McNamee, Executive Director von European Digital Rights (EDRi) die aktuelle Situation.

Dabei sollten die Regulierer gerade jetzt nicht von ihrer wichtigen Aufgabe abgelenkt werden

, ergänzt er. 

Hintergrund

Netzneutralität ist ein grundlegendes Prinzip, wonach jede Art von Internetverkehr gleich behandelt werden muss. Sie schützt Internetuser und Onlinedienste vor Diskriminierung und Einflussnahme durch Telekommunikationsunternehmen, denen die Infrastruktur gehört. In der Regulierung geht es um fundamentale Fragen: Wird das Internet eine lebendige und offene Plattform für Wirtschaft, Kultur und politische Meinungsäußerung bleiben? Oder werden die Regulatoren den mächtigen Telekom-Konzernen Möglichkeiten geben, die meisten Websites auf eine langsame Spur zu setzen, während finanzstarke Firmen eine Spezialbehandlung bekommen?

Zur überwältigenden Unterstützung der Netzneutralitätsbewegung durch die Zivilgesellschaft kamen offene Briefe aus Wirtschaft und Wissenschaft. 120 Unternehmen und Investoren haben für starke, innovationsfreundliche Netzneutralitäts-Regeln unterschrieben. Und die Wissenschaftscommunity hat einen Text veröffentlicht, der von 126 Personen unterzeichnet wurde.
 
Ein besonders prominenter Fürsprecher ist Tim Berners-Lee, der Erfinder des World Wide Web. Er hat eine gemeinsame Erklärung mit der Rechtsprofessorin Barbara van Schewick (Stanford) und dem Gründer der Creative-Commons-Initiative Lawrence Lessig (Harvard) verfasst. In dieser wird betont, wie wichtig es ist, das offene Internet "als treibende Kraft für Wirtschaftswachstum und sozialen Fortschritt" zu erhalten. Die Regulatoren sollen der "manipulativen Taktik" der Telekom-Anbieter nicht nachgeben.
 
Die Telekommunikationsindustrie ist der Hauptgegner dieser breiten Koalition. Kürzlich hat sie mit dem "5G Manifesto" einen Vollfrontalangriff auf die Netzneutralität gestartet. In dem Papier fordern die Unternehmen die EU auf, ihre Netzneutralitäts-Regeln im Austausch für Investitionen in neue 5G-Technologien zu verwässern. Erst vor wenigen Tagen, am 19. Juli 2016 haben ETNO und GSMA, zwei Branchenvertretungen der Telekommunikationsindustrie, mit ihrer Forderung nach einer fast vollständigen Aufhebung der Netzneutralitätsregeln einschließlich Streichung aller Verweise auf Meinungsfreiheit und Medienpluralismus erneut provoziert.

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