Anlässlich ihres Besuchs in Österreich warnte Katherine Maher, die Geschäftsführerin der Wikimedia Foundation (Trägerorganisation der Online-Enzyklopädie Wikipedia) bei einer Pressekonferenz gemeinsam mit der Grundrechts-NGO epicenter.works vor den Gefahren, die in der EU-Urheberrechtsreform stecken.

„Das ist ein entscheidender Moment. Die Europäische Union hat die Chance, in dunklen Zeiten ein Licht zu sein – Partizipation als Grundlage für Demokratie und für ein offenes Internet, für das wir als Wikimedia stehen“,

so Maher. Die geplanten Uploadfilter dürften nicht zu einer Situation wie in China oder der Türkei führen, wo der Zugang zu Wikipedia gesperrt ist, weil die Regime die Inhalte nicht nach Belieben kontrollieren können. Noch kann diese Entwicklung gestoppt werden.

Im Rahmen der Reform des Urheberrechts in der Europäischen Union sind einige Verschärfungen geplant, die einen Angriff das freie und offene Internet darstellen und damit auch Erfolgsmodelle wie das von Wikipedia gefährden. Die aktuellen Vorschläge bedeuten nicht nur eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, sie beschneiden auch das Recht auf Privatsphäre, da künftig die Veröffentlichung von allen Texten, Videos, Bildern und Audiodateien im Internet überwacht werden soll.

  • Uploadfilter – Gefährliche Zensurmaschine und Bremse für die europäische Digitalwirtschaft (Artikel 13 des EU-Vorschlags): Bei Uploadfiltern handelt es sich um eine Verpflichtung für Betreiber von Internetplattformen, alle Inhalte, die von Nutzerinnen und Nutzern hochgeladen werden, automatisiert einer Vorabkontrolle zu unterziehen. Diese Uploadfilter sind gefährliche Zensurmaschinen, die jederzeit für das Filtern unliebsamer Inhalte im gesamten Internet eingesetzt werden können. Jede automatisierte Inhaltserkennung ist fehlerbehaftet und führt unweigerlich zur Löschung legaler Inhalte. Vor allem kann man ihr kaum beibringen, dass sie legale Zitate oder Parodien nicht sperrt. Durch eine solche technische Zensur-Infrastruktur wird es schwieriger, Wissen und Kunst zu verbreiten. Im Vorschlag des Rechtsausschusses sind nicht-kommerzielle Projekte wie die Wikipedia ausgenommen. Allerdings besteht Unklarheit darüber, welche Dienste in dem Geltungsbereich der neuen Regeln fallen. Selbst der Berichterstatter für dieses Dossier, der deutsche Abgeordnete Axel Voss, bestätigte in einem Interview für die ARD, dass er nicht genau sagen kann, wer davon betroffen sein wird. Er geht davon aus, dass erst die Höchstgerichte diese Fragen klären müssen. Diese Rechtsunsicherheit hat auch Verbände der österreichischen und deutschen Digitalwirtschaft dazu veranlasst, vor diesem Gesetz zu warnen.
  • Leistungsschutzrecht – beschränkt den Zugang zu Wissen (Artikel 11 des EU-Vorschlags): In Artikel 11 wird ein neues Leistungsschutzrecht für Presseverleger geschaffen. Hier geht es im Kern darum, dass das Zitieren und Verlinken von Artikeln im Netz erschwert werden soll. Übernimmt man (oder eine automatische Vorschaufunktion, wie sie Google, Facebook und Co. verwenden) ein kleines Zitat aus den Presseartikeln von Verlagen, soll zukünftig dafür Geld verlangt werden können. Das ist eine massive Einschränkung der Art und Weise, wie wir Nachrichten online teilen und konsumieren können und würde sowohl wissenschaftliche Bibliographien, sowie Pressespiegel von vielen Organisationen hart treffen. Hinter dieser Forderung stehen große Medienhäuser, die sich über dieses neue Leistungsschutzrecht eine Finanzierung ihrer Inhalte von Google erhoffen. Aus Spanien und Deutschland, wo ein solches Leistungsschutzrecht eingeführt wurde, ist bekannt, dass das nicht funktionierte. Weder die Verlage bekamen mehr Geld noch wurde Google damit geschwächt. Im Gegenteil: Ohne die Voransicht werden die Links zu den Artikeln weniger angeklickt. Wenn Google (oder eine andere Suchmaschine) nicht bezahlen will und die Angebote aus seinem Index nimmt, werden vor allem kleine, alternative Angebote gar nicht mehr gefunden. Große Verlagshäuser wie Axel-Springer halten weiterhin an diesem Vorschlag fest, auch wenn vor allem kleine Verlagshäuser von den ausbleibenden Besuchern über Suchmaschinen und soziale Netzwerke besonders hart getroffen würden. Das Leistungsschutzrecht ist ein Angriff auf die Meinungsvielfalt und das Verlinken als grundlegende Funktionalität im Internet.

Status des Gesetzgebungsprozesses

Der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments (EP) hat diesen Gesetzesentwurf am 20. Juni 2018 angenommen. Die Abstimmung zum Leistungsschutzrecht ist mit 13 zu 12 für diese „Linksteuer“ ausgegangen und die zu Uploadfiltern mit 15 zu 10 für die Einführung von Zensurmaschinen. Am 5. Juli 2018 wird das Europaparlament in Straßburg im Plenarsaal über das Verhandlungsmandat abstimmen. Europaabgeordnete von ÖVP, FPÖ, SPÖ, Grünen und NEOS haben angekündigt, gegen das Verhandlungsmandat zu stimmen. Wie die Kampfabstimmung ausgehen wird, ist unklar. Der Riss geht quer durch alle Parteien im Europa Parlament. Wenn das Verhandlungsmandat angenommen wird, wird das Parlament im September Verhandlungen mit dem Rat aufnehmen, um sich auf eine endgültige Version der Richtlinie zu einigen. Sollte das Mandat nicht angenommen werden, wird das Parlament im September Abänderungen behandeln. Die endgültige Abstimmung wird für Dezember oder Jänner erwartet.

Die Fassade bröckelt

Wahrscheinlich wird dieses Thema also unter der österreichischen Ratspräsidentschaft verhandelt. Die Bundesregierung hat sich im Rat der EU-Mitgliedstaaten vehement für Uploadfilter und ein Leistungsschutzrecht eingesetzt.

„Unser junger Kanzler Sebastian Kurz sollte als Digital Native verstehen, wie gefährlich diese Vorschläge für das freie und offene Internet sind. Damit wird nicht Google oder Facebook geschadet, sondern der europäischen Digitalwirtschaft“,

so Thomas Lohninger Geschäftsführer von epicenter.works.

„Die politische Fassade bröckelt. Die Europaabgeordneten der Regierungsparteien haben die Gefährlichkeit dieser Maßnahmen bereits erkannt“,

so Lohninger weiter.

Von den österreichischen Parteien im Europäischen Parlament haben sich SPÖ, NEOS und Grüne bereits klar gegen die Artikel 11 und 13 und somit auch gegen das Mandat positioniert. Mittlerweile haben sich auch Mandatare von FPÖ und ÖVP dagegen ausgesprochen. Harald Vilimsky (FPÖ) schreibt in einer Presseaussendung, dass Uploadfilter „einer anlasslosen Massenüberwachung gleichkommen“ und Othmar Karas (ÖVP) sagt gegenüber ORF.at, es seien noch „viele Fragen ungeklärt“.

Lösung liegt in fairer Vergütung für kulturelle Produktion

„Unter den rechtlichen Bedingungen, wie sie jetzt geplant sind, hätte das Gemeinschaftsprojekt Wikipedia niemals so entstehen können“,

erläutert Dimitar Dimitrov, EU Policy Director von Wikimedia, und meint weiter:

„Nicht Uploadfilter und Leistungsschutzrecht sind die Lösung, sondern bessere Lizenzen: Bessere Lizenzen, durch die auch kleinere KünstlerInnen, AutorInnen und UrheberInnen aller Art für ihre Werke fair entlohnt werden, und sich damit eine bessere Verhandlungsposition gegenüber den Giganten wie Google, YouTube, Facebook & Co. verschaffen können.“

Massive Proteste: Rettung des Internets nach wie vor möglich

Die Debatte zu diesem Thema wird seit Jahren von massiven zivilgesellschaftlichen Protesten begleitet, an denen sich auch Wikimedia und epicenter.works beteiligen. Zahlreiche namhafte Internetgrößen wie Wikipedia-Mitbegründer Jimmy Wales und WWW-Erfinder Tim Berners-Lee haben sich zu Wort gemeldet und gewarnt, dass Uploadfilter das Netz „von einer offenen Plattform für Sharing und Innovation zu einem Werkzeug für die automatisierte Überwachung und Kontrolle seiner Benutzer“ verwandeln. Auch David Kaye, der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit, hat massive Bedenken geäußert. Mittlerweile zeigt der Widerstand Wirkung. Es gibt positive Signale, dass mehr und mehr Abgeordnete in ganz Europa Abänderungen befürworten. 

Fotos von der Aktion „Stoppt Uploadfilter!“ von epicenter.works (CC-BY 2.0) 

>>Details zur Aktion 

Links:

 

 

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