Fälle von gewaltsamen Übergriffen der Polizei haben in den letzten Jahren immer wieder für Schlagzeilen gesorgt, auch hierzulande. In jüngerer und jüngster Vergangenheit wurde über derartige Vorkommnisse wiederholt berichtet – etwa im Zusammenhang mit den sogenannten „Klima-Demonstrationen“ oder den Kundgebungen gegen die Wiener Gas-Konferenz Ende März diesen Jahres. Dass es in Österreich Probleme mit Polizeigewalt gibt, wurde unlängst auch im aktuellen Jahresbericht von Amnesty International festgehalten und die Straflosigkeit und mangelnde Rechenschaftspflicht angeprangert. Wir veröffentlichen eine Stellungnahme.

Misshandlungsvorwürfe führen kaum zu Anklagen

Auch wenn das gesamte Ausmaß des Problems nicht bekannt ist, muss davon ausgegangen werden, dass sich viele der Betroffenen aus Angst vor Repressalien oder fehlendem Vertrauen in die Aufklärung erst gar nicht an die Polizei oder die Staatsanwaltschaft wenden. Bestätigt wurde dies in einer Studie des Austrian Center for Law Enforcement Sciences (ALES), die festhielt, dass Misshandlungsvorwürfe gegen Polizeibeamt:innen in Österreich kaum zu Anklagen führen. Darüber hinaus haben Polizeibeamt:innen kaum mit disziplinarrechtlichen Konsequenzen zu rechnen, sind diese doch an die strafechtliche Relevanz geknüpft.

Wiederholt haben auch europäische und internationale Menschenrechtsregime Österreich empfohlen, Verbesserungen bei den Ermittlungen gegen Polizeibeamt:innen bei Misshandlungsvorwürfen vorzunehmen.

Kommt eine taugliche Meldestelle?

Eine Meldestelle für Opfer von Verdachtsfällen von Polizeigewalt gibt es bislang nicht, wurde jedoch seitens der Zivilgesellschaft seit längerem gefordert. Bereits im August 2020 wandte sich epicenter.works gemeinsam mit 39 weiteren Organisationen und namhaften Persönlichkeiten, die in diesem Bereich aktiv sind, in einem offenen Brief an die schwarz-grüne Bundesregierung, um von dieser konkrete Schritte zur Umsetzung des Versprechens im Regierungsprogramm 2020-2024 zu fordern. Konkret geht es um die angekündigte „Sicherstellung einer konsequenten Aufklärung bei Misshandlungsvorwürfen gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte“ sowie die „konsequente und unabhängige Ermittlung bei Misshandlungsvorwürfen gegen Polizeibeamtinnen bzw. Polizeibeamte in einer eigenen Behörde in multiprofessioneller Zusammensetzung, die sowohl von Amts wegen ermittelt als auch als Beschwerdestelle für Betroffene fungiert und mit polizeilichen Befugnissen ausgestattet ist“.

Vor diesem Hintergrund ist es begrüßenswert, dass am 13.03.2023 nun endlich ein Ministerialentwurf in Begutachtung geschickt wurde, mit dem eine „Ermittlungs- und Beschwerdestelle Misshandlungsvorwürfe“ („EBS“) geschaffen werden soll.

Große Schwachstellen im Entwurf

Nach unserer Analyse dieses Gesetzesentwurfs müssen wir bedauerlicherweise feststellen, dass er den Forderungen der Zivilgesellschaft aus dem Jahr 2020 nicht nachkommt: Nicht nur wurde die Zivilgesellschaft mitsamt ihrer Expertise nicht in die Erarbeitung des Gesetzesentwurfs eingebunden, auch die grundlegende und für das Gelingen einer Beschwerdestelle essentielle Forderung nach tatsächlicher Unabhängigkeit der EBS hat kein Gehör gefunden. Vor diesem Hintergrund kann nicht garantiert werden, dass wirksame und konsequente Aufklärungen im Falle von Misshandlungsvorwürfen gegen Polizeibeamt:innen stattfinden – zu groß ist die Nähe und der Einfluss des Bundesministers für Inneres.

In unserer bereits eingereichten Stellungnahme haben wir diese und zahlreiche weitere Kritikpunkte einzeln analysiert und Lösungsvorschläge unterbreitet.

Die großen Schwachstellen des Gesetzesentwurfs können wie folgt zusammengefasst werden:

• mangelnde Unabhängigkeit der EBS durch ihre Ansiedelung beim Bundesamt für Kriminalitätsbekämpfung und -prävention (BAK), also beim Innenminister;

• mangelnde Unabhängigkeit aufgrund der Leitung der EBS durch einen Stellvertreter des Direktors des BAK;

• Bestellung der Bediensteten der EBS durch den Innenminister;

• Bestellung der Vertreter:innen der Zivilgesellschaft im Beirat (dem Kontrollorgan der EBS) durch den Innenminister (im Einvernehmen mit der Justizministerin);

• Umfassen lediglich eines Teils der öffentlichen Bediensteten, die Zwangsgewalt ausüben, durch das Gesetz, bei gleichzeitiger Auslassung etwa von Gemeindewachkörpern, der Finanzpolizei oder Justizwachebeamten;

• fehlende Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamt:innen zwecks eindeutiger Zuordnung zu einem Geschehen;

• ungelöste Frage der Interessenskonflikte und notwendige Zuständigkeitsänderung bei der Staatsanwaltschaft.

Wir fordern eine wirksame Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Polizeigewalt. Eine solche ist unerlässlich, um Vertrauen der Bürger:innen in die Sicherheitskräfte aufrechtzuerhalten und maßgeblich zu stärken und ist essentiell für den gesellschaftlichen Frieden. Außerdem kann sie erwiesenermaßen Misshandlungen verhindern und zur Entwicklung einer modernen Polizei beitragen. Der aktuelle Ministerialentwurf vermag alldem nicht gerecht zu werden. Um jedoch einen Schritt in diese Richtung zu setzen, sodass die EBS die ihr zugedachte Rolle auch erfüllen kann, brauchen wir eine eingehende Überarbeitung des zu beschließenden Gesetzes an mehreren grundlegenden Stellen.

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