Der Untersuchungsausschuss ist eines der wichtigsten Instrumente einer funktionierenden Demokratie. Politische Vertreter:innen werden zur Verantwortung gezogen und Missstände wie Korruption und Machtmissbrauch können aufgedeckt werden. Trotz des enormen öffentlichen Interesses, gibt es für Bürger:innen und damit die (potentiellen) Wähler:innen der Politiker:innen keine Möglichkeit, sich unmittelbar selbst einen Eindruck von dem Geschehen zu verschaffen. Wir fordern dieses Recht der Österreicher:innen jetzt mit einem Antrag vor dem Verfassungsgericht ein.

Wir haben am 23.07.2024 einen Individualantrag beim Verfassungsgerichtshof eingereicht, um die dringend nötige Öffentlichkeit der Untersuchungsausschüsse im österreichischen Nationalrat zu erwirken. Die Skandale um das Ibiza-Video, die COVID-19-Finanzierungsagentur des Bundes (COFAG), das ehemalige Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und Machtmissbrauch in der Regierung sind nur die Spitze des Eisbergs. Sie zeigen, wie wichtig das demokratische Kontrollinstrument der U-Ausschüsse bei der Aufklärung von Missständen und Korruption ist.

Öffentlichkeit doppelt ausgeschlossen

Derzeit ist die Öffentlichkeit von den Geschehnissen in U-Ausschüssen gleich auf doppelte Weise ausgeschlossen:

  • Wer kein Medienvertreter ist, dem wird der Zutritt zu den Anhörungen ausnahmslos verwehrt.

  • Zusätzlich sind Bild- und Tonaufnahmen strikt auf die Protokollierung der Sitzungen und die Übertragung innerhalb des Parlaments beschränkt.

Für die Öffentlichkeit gibt es also weder eine Übertragungsmöglichkeit noch die Möglichkeit, den Sitzungen beizuwohnen. Der allergrößte Teil der Bevölkerung erfährt über die Anhörungen, abgesehen von den Abschlussberichten der Ausschüsse, also immer nur aus zweiter Hand über Medienberichte. Einen unmittelbaren Eindruck können sich Österreicher:innen aber nicht verschaffen.

Bis auf die ÖVP, die die Öffentlichkeit der U-Ausschüsse bisher vehement blockiert hat, fordern alle Parteien im Nationalrat, die Ausschüsse endlich zugänglich zu machen. In anderen europäischen Staaten ist das bereits gelebte Praxis: In Portugal, Spanien oder Frankreich etwa können die Sitzungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen bzw. im Live-Stream über die Webseite des Parlaments verfolgt werden – und das in voller Länge, zusätzlich zur zusammengefassten Berichtserstattung der Medien. In Schweden, Belgien oder Deutschland kann man den Sitzungen auch vor Ort beiwohnen.

Informierte Meinungsbildung als Grundstein der Demokratie

Gerade U-Ausschüssen spielen eine entscheidende Rolle bei der Aufarbeitung von Missständen und Korruption sowie bei der Zuweisung von Verantwortlichkeit an politische Entscheidungsträger:innen, Parlamentarier:innen, etc. Kurz: Personen, die unser Land regieren und für (oder manchmal auch gegen) die die Bevölkerung in Wahlen stimmt. Damit Bürger:innen auch dazu in der Lage sind, braucht es aber umfassende Information und Transparenz des Staates.

Genau das verhindern die österreichischen Gesetze zu den U-Ausschüsse aber.

Dabei ist das Recht auf Information sogar durch die Meinungsfreiheit gemäß Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention gesichert. Der Schutzumfang umfasst neben der Freiheit der Äußerung nämlich auch den Empfang von Nachrichten und Ideen ohne Eingriffe der öffentlichen Behörden. Die Einschränkung von Ton- und Bildaufnahmen in U-Ausschüssen und der Ausschluss von allen, die keine Medienvertreter sind, verletzt dieses verfassungsrechtlich gewährleistete Recht und verhindert dadurch eine informierte öffentliche Debatte.

Pressekonferenz: Öffentlichkeit von U-Ausschüssen - ZiB 13

Unsachgemäße Ungleichbehandlung

Die Beschränkung der Teilnahme auf Medienvertreter führt außerdem zu einer Ungleichbehandlung gegenüber allen anderen Personen. Im konkreten Anlassfall, auf dem der Individualantrag beruht, wurde z.B. einer Dokumentarfilmerin sowie dem Geschäftsführer und weiteren Mitarbeiter:innen von epicenter.works sowie Personen aus der Zivilgesellschaft der Zutritt zu Sitzungen der Untersuchungsausschüsse verwehrt. Diese Ungleichbehandlung verstößt unserer Ansicht nach u.A. gegen den Gleichheitssatz (Art 7 Abs 1 B-VG).

Zweifellos werden in einem Untersuchungsausschuss besondere Informationen behandelt. Berechtigte Schutzinteressen (wie z.B. Persönlichkeitsrechte) werden aber bereits gesetzlich geschützt und treffen auch auf U-Ausschüsse zu. Diese Regelungen gelten unabhängig davon, ob Informationen der allgemeinen Öffentlichkeit oder lediglich Medienvertreter:innen zugänglich gemacht werden. Der Datenschutz darf hier nicht als Feigenblatt für verschlossene Türen und den Ausschluss der Öffentlichkeit missbraucht werden.

Der Untersuchungsausschuss muss also stets dieselben Regelungen beachten – sei es gegenüber Medienvertreter:innen als auch der allgemeinen Öffentlichkeit.

Vor diesem Hintergrund ist auch nicht verständlich, warum bei U-Ausschüssen nur Medien Zutritt haben, während bei anderen Ausschüssen des Nationalrats zwar Medienvertreter:innen bevorzugt werden, aber auch anderen Personen bei den Sitzungen dabei sein können.

Antrag beim VfGH: Für Zugang der Öffentlichkeit zu U-Ausschüssen

Wir sehen hier einen dringenden Handlungsbedarf der Politik. Nach dem medialen Hochkochen der vermeintlichen Aussagen von Christian Pilnacek hat auch die ÖVP offenbar Bereitschaft signalisiert, die U-Ausschüsse transparenter zu gestalten. Geschehen ist bislang trotzdem nichts. Deshalb machen wir jetzt Nägel mit Köpfen und ziehen mit einem Individualantrag vor den Verfassungsgerichtshof.

Unser Antrag wendet sich gegen aktuelle Bestimmungen der Geschäftsordnung des Nationalrats (insb. §17 Abs 1 Anlage 1). Die darin normierte Einschränkung des öffentlichen Zugangs verletzt aus unserer Sicht neben der Meinungsfreiheit (Art 10 EMRK) auch den Gleichheitssatz (Art 7 Abs 1 B-VG). Wir stufen diese Regelungen daher als verfassungswidrig ein.

Jetzt wenden wir uns an das Höchstgericht und fordern eine Änderung der Geschäftsordnung des Nationalrats – genauer: der Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse – in folgenden Punkten:

  1. Aufhebung der Beschränkung des Zugangs zu den U-Ausschüssen auf Medienvertreter:innen

  2. Aufhebung der Beschränkung von Bild- und Tonaufnahmen auf die Protokollierungszwecke und die Übertragung innerhalb der Parlamentsgebäude

Nur so kann es überhaupt ermöglicht werden, dass sich die gesamte Bevölkerung zu den Missständen von höchstem öffentlichen Interesse eine umfassende Meinung bilden kann. Nur so können Korruption und andere schwerwiegende Probleme in unserem Land bestmöglich aufgeklärt und die richtigen Personen politisch zur Verantwortung gezogen werden.

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