In der Debatte rund um das geplante "Hass im Netz"-Paket dreht sich viel um die Frage, welche Online-Plattformen am Ende von dem Gesetz wirklich betroffen sein werden. Zwar sprechen die zuständigen Ministerinnen immer nur von Facebook, Google oder TikTok, jedoch trifft das Gesetz auch viele kleinere und europäische Firmen. In diesem Blogpost wollen wir einen Überblick darüber geben, welche Internetseiten betroffen sein werden und wie groß die unbeabsichtigten Probleme dadurch sind.
DISCLAIMER: Auch wenn die Politik versucht mit der Begutachtung und dem Aufruf an betroffene Organisationen, die Recherche der betroffenen Plattformen auszulagern, wäre es eigentlich die Aufgabe der Regierung (und nicht einer spendenfinanzierten NGO) sich über die Konsequenzen des Gesetzes und der gewählten Grenzwerte Gedanken zu machen. 

Ab wann fällt eine Plattform unter das Gesetz? 

Unter das Kommunikationsplattformengesetz (kurz KoPlG) fallen alle Anbieter von Online-Diensten, wenn dort Nachrichten in Text, Bild, Ton oder Video auf dem Wege der Massenverbreitung unter einem größeren Personenkreis ausgetauscht werden. "Massenverbreitung" ist alles, was im Internet passiert, und die Rechtssprechung im Medien- und Urheberrechtsbereich definiert einen "großen Personenkreis" ab ca. zehn bis 30 Personen, der nicht im Vorhinein schon fest definiert ist. Ansonsten müssen die Plattformen entweder im letzten Quartal mindestens 100.000 registrierte Nutzer in Österreich gehabt oder im letzten Jahr mindestens EUR 500.000,- Umsatz in Österreich erwirtschaftet haben. Details finden sich in unserer Stellungnahme.

Der vorliegende Begutachtungsentwurf zielt also auch auf nicht-kommerzielle Dienste ab. Von einer Umsatzgrenze, wie sie von Wikipedia und uns gefordert wurde, fehlt jede Spur. Deshalb lohnt sich der Blick auf die betroffenen Online-Plattformen, solange es sie noch gibt. 

SchoolFox

Das Startup aus Wien wurde erst 2017 gegründet, hat es aber in dieser kurzen Zeit geschafft, sich als eine beliebte Plattform zur Kommunikation in und rund um die Schule zu etablieren. Mit einem Umsatz von 700.000 Euro und einer Useranzahl von 200.000 ist der Dienst über beiden Schwellenwerten und fällt unter das KoPlG. Laut eigenen Angaben werden die Kosten, um das Gesetz zu erfüllen, 120.000 Euro ausmachen. Mit einer eigenen Stellungnahme hat sich das Unternehmen bereits in der Begutachtung bemerkbar gemacht. Inmitten der Pandemie wurde dem Unternehmen von Wirtschaftsministerin Schramböck noch hohes Lob ausgesprochen und Unterstützung zugesichert. Mit diesem Gesetz droht eine enorme Mehrbelastung. 

SchoolFox ist kein klassischer e-Learning Anbieter. Der Dienst kümmert sich mehr um die Kommunikation zwischen Eltern und Lehrer*innen und innerhalb der Klasse. Bei den derzeitigen Klassengrößen in Österreich und dadurch, dass beliebige Haushaltsmitglieder der Schüler*innen die Kommunikation mit den Lehrer*innen übernehmen, fällt der Dienst mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit unter das Gesetz. 

Bisher hatte SchoolFox noch keinen einzigen Fall von illegalen Inhalten auf seiner Plattform. Würde ein solcher Fall auftreten, wäre das auch eher ein Problem, das innerhalb der Klassen- oder Schulgemeinschaft zu lösen wäre und wohl kaum vom Internetdienst. Trotzdem ist SchoolFox vom KoPlG betroffen. 

WikiCommons und WikiData 

Die Wikipedia hat sich bereits mit einer kritischen Stellungnahme im Begutachtungsverfahren geäußert. Auf vielen Wikipedia-Seiten gibt es Bilder zur Veranschaulichung eines Themas und oft auch Zahlen, wie Bevölkerungsgrößen oder Geographie einer Stadt. Alle Bilder in der Wikipedia kommen aus dem Projekt WikiCommons, das seit 2004 ein von Freiwilligen erstelltes und unter einer freien Lizenz verfügbares Archiv von Bildern und Videos anbietet. Viele Hobbdyfotografen verwenden es, um ihre Bilder mit anderen zu teilen und Seiten wie unsere eigene greifen darauf zurück, um ohne Lizenzkosten freie Bilder nutzen zu können. WikiData existiert seit 2012 als eigenständiges Projekt. Die dort gesammelten strukturierten Daten werden von mehreren Forschungseinrichtungen und Journalist*innen verwendet. Mit diesem Projekt ist es möglich, Fragen zu beantworten, wie z.B. welche Städte weltweit weibliche Bürgermeisterinnen haben. Gerade in der Corona-Krise hat das Projekt einen unheimlich wertvollen Beitrag zum Verständnis der Pandemie geleistet.

Beide Projekte gehören zur US-amerikanischen Wikimedia Foundation. Aufgrund der hohen Datenschutzstandards des Projekts wird die Herkunft seiner registrierten Nutzer nicht erhoben, aber es ist davon auszugehen, dass sowohl die 100.000 User-Grenze, als auch die Umsatzgrenze aus Österreich überschritten werden. Keines der Projekte ist eine Enzyklopädie und würde deshalb auch nicht unter die Ausnahme des Gesetzes für "nicht gewinnorientierte Online-Enzyklopädien" fallen. Gemeinsam mit der Wikipedia haben wir das bereits im Juli in einem offenen Brief an die Regierung klargestellt. Beide Projekte haben keine nennenswerte Probleme mit rechtswidrigen Inhalten, da sie sich mit einer aktiven Community, sehr genau um ihre Inhalte kümmern. Dieses Community-Moderationsmodell ist mit dem KoPlG nicht vereinbar und müsste sich radikal ändern, um den neuen Verpflichtungen zu genügen. 

Parship und Elite Partner

Die Dating-Angebote Parship und Elite Partner gehören zur deutschen Firma PE Digital GmbH. Mit 250.000 und 150.000 registrierten Usern und einem Gesamtumsatz von 18,4 Millionen Euro fällt das Unternehmen unter das Gesetz. Angesichts der restriktiven Inhaltsmoderation und der Kontrolle aller hochgeladenen Inhalte erscheint es unrealistisch, dass dieser Dienst ein nennenswertes Problem mit illegalen Inhalten hat. Andere Dating-Apps wie Tinder, deren Profile über offene Links abrufbar sind, könnten ebenfalls unter das Gesetz fallen. 

Respekt.net

Die Plattform Respekt.net betreibt seit vielen Jahren die erfolgreichste Crowdfunding Plattform in Österreich. Auch die eingenommenen Spenden, die sofort an die Projekte weiter gereicht werden, zählen als mit dem Betrieb der Plattform erzielter Umsatz, weshalb Respekt.net sehr wahrscheinlich unter das Gesetz fällt. Es gab noch nie ein Problem mit illegalen Inhalten auf der Plattform, da bis auf die News Sektion Inhalte vorab vom Team von Respekt.net geprüft werden. Der Verein Zivilcourage und Anti-Rassismus Arbeit (ZARA), auf dessen Arbeit sich das gesamte "Hass im Netz"-Paket stützt, sammelt derzeit selbst Spenden über Respekt.net ein, um den Fortbestand seiner wichtigen Arbeit finanzieren zu können. Mit diesem Beispiel wird deutlich, wieso die breiten Definitionen des Gesetz einen nicht abzusehenden Kollateralschaden mit sich bringen.

Cultural Broadcasting Archive 

Das Cultural Broadcasting Archive (CBA) ist ein Projekt, das aus den Freien Radios in Österreich heraus entstanden ist. Überwiegend ehrenamtliche Sendungsmacher*innen und freie Radiosender, aber auch Podcaster*innen können dort ihre Radiobeiträge hochladen und für den Download, Streaming oder für Rebroadcasting zur Verfügung stellen. Das schafft ein lebendiges und abwechslungsreiches Programm und bestärkt die Medienvielfalt. Das CBA hat über 120.000 Audio-, Video- und Bildwerke auf seiner Plattform und existiert seit dem Jahr 2000. Es hat 1.500 registrierte Uploader*innen bei 402.000 Besucher*innen im Jahr 2019. Als nächster Entwicklungsschritt ist ein Vorschlagsystem geplant, das eine personalisierte Nutzung erlaubt.

Da der Betrieb derzeit über Radio FRO läuft, das 2020 einen Umsatz von knapp unter 500.000 Euro erzielen wird, fällt die Plattform sehr bald unter die gesetzliche Verpflichtung des KoPlG, mit einem juristisch geschulten Team auf etwaige Meldungen illegaler Inhalte zu reagieren und eine*n verantwortliche*n Beauftragte*n zu benennen. Bisher gibt es keine einzige juristische Stelle in der Organisation. Das CBA schätzt die Kosten, das neue Gesetz zu erfüllen, auf 50.000 bis 100.000 Euro. Da nur 15% des Inhalts der CBA von Radio FRO stammen, fällt die Plattform auch nicht unter die Medienausnahme. Sollte das Gesetz in dieser Form kommen, überlegt man sich den Betrieb in Österreich einzustellen. Dadurch würden sämtliche Inhalte für die allgemeine Öffentlichkeit verlorengehen. Das CBA wird sich mit einer Stellungnahme am Begutachtungsprozess beteiligen und hofft, gehört zu werden. 

Familienplattformen

Die zwei größten Plattformen im Bereich Eltern, Familie, Erziehung und Schwangerschaft sind von der Fokuskind Gruppe und parents.at. Beide kümmern sich sehr akribisch um die Moderation ihrer Foren und sind aufgrund ihrer Zielgruppen um einen sachlichen und respektvollen Umgang zwischen ihren Nutzer*innen bemüht. Beide Plattformen haben laut eigenen Angaben registrierte Nutzer*innen im mittleren fünfstelligen Bereich, fallen also nicht unter das geplante Gesetz. Ihr Umsatz wird, laut eigener Angabe, vor allem durch die dominante Marktposition der amerikanischen Anbieter niedrig gehalten. 

Nur weil diese Plattformen gerade noch zu klein für das KoPlG sind, würde man doch gerade in diesem wichtigen Lebensbereich hoffen, dass die Politik ihrem Wachstum keine Steine in den Weg legt. Mit diesem Gesetz der türkis-grünen Bundesregierung wird ein Anreiz für diese Plattformen geschaffen, klein zu bleiben und damit wird auch die derzeitige dominante Stellung amerikanischer Anbieter bestärkt. 

Twitch

Twitch ist eine beliebte Video-Plattform, die in der Gaming-Szene groß wurde und vor allem für Live-Streams verwendet wird. Das Unternehmen gibt es seit 2011, es ist einer der Konkurrenten von YouTube und wurde 2014 von Amazon gekauft. Auf dem Dienst gibt es Communities im Videospiele-, Sport- und Musikbereich. Diese sind teilweise recht klein, aber es gibt auch einige, die zehntausende Mitglieder aufweisen können. Streamer können über die Plattform mit ihren Inhalten auch Umsatz generieren. Twitch sieht sich laut eigenen Aussagen von dem Gesetz betroffen. Bisher gab es keine signifikanten Fälle von rechtswidrigen Inhalten auf der Plattform, die einen Bezug zu Österreich ausgewiesen hätten.

Github

Die enorm breite Definition einer Kommunikationsplattform im KoPlG führt dazu, dass auch Plattformen zum kollaborativen Arbeiten an Programmiercode betroffen sind. Es ist zwar kaum vorstellbar, dass der Programmiercode eines Computerprogramms die Tatbestände des Gesetzes erfüllt, aber darauf nimmt das Gesetz leider keine Rücksicht. Github ist die größte Plattform für Entwickler*innen und hat weltweit 40 Millionen registrierte User. Weil das Unternehmen 2018 von Microsoft gekauft wurde, ist es sehr wahrscheinlich über der Umsatzgrenze in Österreich und müsste das Gesetz erfüllen. Österreich reiht sich damit in die Liste neben Russland, China und Spanien ein, die bereits Inhalte auf Github löschen lassen. 

Wir konnten keine Belege dafür finden, dass es Probleme mit illegalen Inhalte auf Github gibt, die mit den bestehenden EU-Regeln der E-Commerce-Richtlinie nicht lösbar wären. Mit einer Einschränkung des Gesetzes auf soziale Netzwerke wäre das kein Problem.

Kununu

Auf der Plattform Kununu kann man Arbeitgeber*innen bewerten, was für viele Menschen die Wahl des richtigen Arbeitsplatzes einfacher macht. 2013 wurde das Unternehmen vom deutschen Jobportal Xing gekauft, wodurch es vom KoPlG betroffen ist. Es gibt eine Ausnahme für Plattformen, die der "Vermittlung oder dem Verkauf von Waren oder Dienstleistungen" dienen. Die Bewertung oder Vermittlung von Arbeitsplätzen, fällt nicht unter diese Ausnahme, was sachlich nicht gerechtfertigt scheint. Die Mutter Xing wird ebenfalls vom Gesetz betroffen sein. 

Foren aus den 90er Jahren

Vermutlich gibt es noch viele weitere Online-Foren, die schon seit den 90er Jahren existieren und die die 100.000 User Grenze in Österreich überschreiten werden. Viele dieser Communities sind gemeinnützig und verfolgen keine kommerziellen Interessen. beliebte-foren.de gibt einen guten Überblick. Falls ihr eine Plattform kennt, die darunter fallen könnte, bitte meldet euch bei uns.
Reddit wird als 15.-beliebteste Website in Österreich vermutlich ebenfalls unter das Gesetz fallen, wenn die 111.000 registrierten Benutzer*inenn von r/austria ein Indikator sind.

Wieso das Gesetz auch Probleme für Plattformen schafft, die nicht darunter fallen

Der geplante Gesetz sieht vor, dass Plattformen den Beweis anzutreten haben, dass sie nicht darunter fallen. Eine Plattform müsste deshalb belegen können, dass sie entweder zu wenig Umsatz im letzten Jahr hatte oder zu wenige registrierte Nutzer*innen aus Österreich im letzten Quartal besaß. Eine Herkunftsbestimmung von Benutzerkonten ist jedoch nicht trivial. In den seltensten Fällen wird eine Meldeadresse oder ein Herkunftsland erhoben. Eine europäische Telefonnummer lässt keine Rückschlüsse auf den Aufenthaltsort einer Person zu. Es bleibt in den meisten Fällen also nur die IP-Adresse. Laut Rechtssprechung des EuGH handelt es sich dabei aber um personenbezogene Daten, die nur mit Rechtsgrundlage verarbeitet werden dürfen. 

Wenn die Medienregulierungsbehörde nun also auf eine Plattform zugeht, mit der Vermutung, diese wäre vom Gesetz betroffen, hilft nur noch eine Liste der IP-Adressen der letzten paar Monate, um nicht unter die zusätzlichen Verpflichtungen zu fallen. Diese de facto Vorratsdatenspeicherung scheint im Gesetz überhaupt nicht mitbedacht zu sein, kann aber zu massiven Problemen für kleinere Anbieter*innen führen, wenn die KommAustria in ihrer Auslegung nicht beide Augen zudrückt.

Was das eigentliche Ziel dieses Gesetzes zu sein scheint 

Was ist nun die Absicht hinter dem vorliegenden Gesetz? Die vorgeschlagenen Regeln können für Plattformen wie Facebook oder YouTube gerechtfertigt sein. Greifen tun sie jedoch bei vielen anderen Plattformen ebenso und dort gibt es sehr wenige Belege für die Probleme, die der Gesetzgeber mit dem KoPlG lösen will. Entweder ist das Gesetz wirklich schlecht gemacht oder das eigentliche Ziel ist es, viele der kleineren Anbieter aus dem Netz und aus dem Markt zu drängen. Wenn das KoPlG in seiner jetzigen Form beschlossen wird, darf sich kein österreichischer Politiker oder Politikerin mehr wundern, wieso die heimischen Startups im Internet nicht erfolgreich sind oder sein werden. 

 

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