Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, führende Technologieunternehmen, der Erfinder des WWW und mehr als 500.000 Bürgerinnen und Bürger haben sich mit einer klaren Botschaft an die Europäische Telekom-Regulierungsbehörde BEREC gewandt: Die Netzneutralität in Europa muss erhalten bleiben.

 

Die Kommentare aus der europaweiten Kampagne für die Erhaltung der Netzneutralität sind nun ausgezählt. Die Bewegung, die sich dafür formiert hat, feiert einen riesigen Erfolg: Mehr als 500.000 Statements wurden an die Regulierer übermittelt.


Die öffentliche Konsultation zu den Umsetzungsrichtlinien für die Netzneutralität, die von BEREC (Body of European Regulators for Electronic Communications) durchgeführt wurde, ist nach nur sechs Wochen am 18. Juli 2016 zu Ende gegangen. In der kurzen Zeit hat sich die Zivilgesellschaft zu einer beispiellosen Bewegung zusammengefunden. In früheren Konsultationen hat BEREC nie mehr als 100 Kommentare erhalten. Bei jener zur Netzneutralität waren es 510.370 – ein wahrhaft historisches Ergebnis.
 
„Der einzige Wirtschaftszweig, der die Netzneutralität bekämpft, ist die Telekom-Industrie. Warum? Weil eine Einschränkung der Netzneutralität Geschäftsmodelle ermöglicht, die gut für diese Industrie sind, aber schlecht für alle Anderen“, sagt Markus Beckedahl von Chefredakteur Netzpolitik.org (Deutschland). „Das Thema Netzneutralität wird zum entscheidenden Test für die Demokratie in der EU. Werden wir einer kleinen Gruppe einflussreicher Unternehmen erlauben, die Politik zu bestimmen? Oder werden die Regulatoren auf Wissenschaft, Wirtschaft und die mehr als 500.000 Menschen hören, die ihre Stimme erhoben haben?“
 
Die Netzneutralitätsbewegung ist auch mehrere offene Briefe unterstützt worden, die zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern beziehungsweise Unternehmen und Investoren unterzeichnet haben. Beide haben jeweils mehr als 100 Unterschriften und einige sehr bekannte Namen wie Soundcloud oder London School of Economics. Auch Sir Tim Berners-Lee, Erfinder des WWW hat sich mit einem Appell für die Erhaltung der Netzneutralität an die Öffentlichkeit gewandt.
 
Nun arbeitet BEREC an der Finalisierung der Leitlinien, die am 30. August 2016 veröffentlicht werden sollen.
 
Zitate von Mitgliedern der Koalition für Netzneutralität

„Eine halbe Million Menschen kann man nicht ignorieren, vor allem wenn darunter auch Vertreterinnen und Vertreter von Start-ups, von Investment-Firmen, aus der Wissenschaft und der Erfinder des WWW sind“, so Thomas Lohninger (Österreich, AKVorrat). „Die Zivilgesellschaft hat gesprochen und ihre Forderung ist eindeutig: Nur starke Regeln für Netzneutralität können Telekom-Riesen davon abhalten, mit der Einschränkung des freien und offenen Internets Profite zu machen.“
 
„Eine breite Allianz aus unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft unterstützt die Forderung nach echter Netzneutralität“, sagt Agnès du Cornulier (Frankreich, La Quadrature du Net). „Die Frage ist nun, ob die Regulatoren auf sie hören, oder ob sie dem Lobbydruck der mächtigen Telekomkonzerne nachgeben. Wenn sie ihre Legitimität bewahren wollen, sollten sie auf die Menschen hören.“
 
„Diese Kampagne zeigt, was das freie und offene Internet ausmacht. Ohne diese Offenheit wäre eine breite Koalition wie diese nicht möglich gewesen“, sagt Simona Levi (Spanien, X-net). „Und genau das steht jetzt auf dem Spiel. Kampagnen wie unsere, die die Demokratie stärken, wären kaum möglich, wenn sich große Unternehmen bevorzugte Behandlung ihrer Datendienste kaufen können.“
 
Hintergrund

Bis 30. August 2016 wird BEREC (Body of European Regulators for Electronic Communications) über die Details zu Umsetzung der EU-Richtlinie zur Netzneutralität entscheiden, die im Herbst 2015 beschlossen wurde. Die Umsetzungsregeln sollen die vielen Unklarheiten beseitigen, die im Gesetzestext hineinverhandelt wurden. Im Kern geht es um fundamentale Prinzipien, die das Internet ausmachen: Wird das Netz weiterhin eine lebendige Plattform für Wirtschaft, Kultur und Zivilgesellschaft sein? Oder werden die Regulatoren mächtigen Telekomunternehmen erlauben, die meisten Internetdienste auf eine langsame Spur zu setzen, während finanzstarke Unternehmen für eine „Überholspur“ bezahlen können? 
 
Zur überwältigenden Unterstützung der Netzneutralitätsbewegung durch die Zivilgesellschaft kamen offene Briefe aus Wirtschaft und Wissenschaft. 120 Unternehmen und Investoren haben für starke, innovationsfreundliche Netzneutralitäts-Regeln unterschrieben. Und die Wissenschaftscommunity hat einen Text veröffentlicht, der von 126 Personen unterzeichnet wurde.
 
Ein besonders prominenter Fürsprecher ist Tim Berners-Lee, der Erfinder des World Wide Web. Er hat eine gemeinsame Erklärung mit der Rechtsprofessorin Barbara van Schewick (Stanford) und dem Gründer der Creative-Commons-Initiative Lawrence Lessig (Harvard) verfasst. In dieser wird betont, wie wichtig es ist, das offene Internet "als treibende Kraft für Wirtschaftswachstum und sozialen Fortschritt" zu erhalten. Die Regulatoren sollen der "manipulativen Taktik" der Telekom-Anbieter nicht nachgeben.
 
Die Telekommunikationsindustrie ist der Hauptgegner dieser breiten Koalition. Erst vor wenigen Tagen hat sie mit dem "5G Manifesto" einen Vollfrontalangriff auf die Netzneutralität gestartet. In dem Papier fordern die Unternehmen die EU auf, ihre Netzneutralitäts-Regeln im Austausch für Investitionen in neue 5G-Technologien zu verwässern.
  
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