Beitrag von: Jesper Lund, Vorsitzender des EDRi-Mitglieds IT-Politisk Forening

Europas höchstes Gericht hat dem langjährigen Streit um die EU-Netzneutralitätsverordnung ein Ende bereitet. In einem richtungsweisenden Urteil, das letzte Woche veröffentlicht wurde, hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) nun bestätigt, wofür EDRi und seine Mitglieder jahrelang argumentiert haben: dass Zero Rating EU-rechtswidrig ist, weil es die Neutralitätspflichten der Internetzugangsanbietenden verletzt.

Zero Rating ist eine weitverbreitete geschäftliche Praxis, die bestimmte Onlinedienste aus den Datenvolumsbegrenzungen von Internetzugangsanbietenden ausnimmt, speziell in mobilen Netzwerken. Digitale Grundrechtsorganisationen sehen dies als Verletzung von grundlegenden Netzneuträlitätsprinzipien, weil durch Zero Rating Anreize geschaffen werden, ausnahmslos spezielle Onlinedienste zu nutzen.

Die EU-Netzneutralitätsverordnung 2015/2120 erwähnt Zero Rating nicht direkt. Artikel 3 Abs 2 fordert nur, dass Vereinbarungen über Preis, Datenvolumina und Geschwindigkeit die Ausübung der Rechte der Endnutzer*innen gemäß Artikel 3 Abs 1 nicht einschränken dürfen. Die offiziellen regulatorischen Richtlinien zur Verordnung beinhalten einen langwierigen und sehr komplizierten Abschnitt zu Zero Rating, wohl um zu kompensieren, dass Zero Rating im Verordnungstext selbst gar nicht vorkommt.

Langjähriger Rechtsstreit

Diese komplexe Rechtslage war bisher der Schauplatz für vier EuGH-Urteile über Netzneutralität, die sich alle auf Streitigkeiten um Zero Rating bezogen haben.

Im ersten Urteil vom 15. September 2020 im Fall Telenor Magyarország ging es um die Praktik, Zero-Rating-Dienste nicht zu drosseln, nachdem das Datenvolumen überschritten wurde. Dies hat eine unmittelbare technische Diskriminierung von Internetverkehr zur Folge. Wie erwartet hat der EuGH geurteilt, dass die Praktik des ungarischen Providers gegen das Verbot des diskriminierenden Verkehrsmanagement nach Art. 3 Abs 3 sowie Art. 3 Abs 2 verstößt.

Am 2. September 2021 verkündete der EuGH sein neuestes Urteil in drei Verfahren, die ihm von deutschen Verwaltungsgerichten vorgelegt wurden. Darin ging es um Fragen über die Gesetzmäßigkeit von Zero Rating in Verbindung mit Roaming-Beschränkungen im Ausland, Tethering (das Verwenden von Smartphones als WLAN-Hotspots) und Geschwindigkeitsbeschränkungen für jegliches Video-Streaming.

Ein einschlagendes Urteil

Anstatt die spezifischen Fragen der deutschen Gerichte einzeln zu erörtern, führte der EuGH lapidar aus, dass diese Fragen alle auf der falschen Annahme beruhten, Zero Rating selbst wäre mit EU-Recht vereinbar. Folglich erläutert der EuGH in drei kurzen, wortgleichen Urteilen, dass Zero Rating nicht mit EU-Recht vereinbar ist, und zwar unabhängig von etwaigen Einschränkungen des Zero Ratings, wie zum Beispiel beim Roaming oder Tethering.

Der entscheidende Punkt dieser drei Urteile ist, dass Zero Rating, auf kommerziellen Überlegungen basierend, die allgemeine Verpflichtung nicht erfüllt, die Art. 3 Abs 3 der Netzneutralitätsverordnung über die Gleichbehandlung des gesamten Verkehrs ohne Diskriminierung oder Störung vorsieht. Diese Nichterfüllung ergibt sich schon aus dem Wesen des Zero Rating, was bedeutet, dass eine Verletzung von Art. 3 Abs 3 selbst ohne das selektive Drosseln nach Erreichen der Datenvolumsgrenze des ersten Falles vorliegt, schlicht wegen der aus dem Zero Rating entstehenden Anreize zur Nutzung spezieller Dienste.

Vereinbarungen mit Endnutzenden nach Art. 3 Abs 2 können die Verpflichtung nach Art. 3 Abs 3 über die Gleichbehandlung des gesamten Verkehrs nicht schmälern. Wie der EuGH auch im Telenor Magyarország-Urteil ausführt, ist es nicht notwendig, eine Geschäftspraxis auf die Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs 2 zu überprüfen (wie bspw. eine Einzelfallprüfung nach den BEREC-Richtlinien zum Zero Rating), wenn bereits eine Verletzung des Art. 3 Abs 3 festgestellt wurde.

Ein großer Erfolg für Nutzende

Durch diese Argumentation macht der EuGH aus drei Fällen zu vordergründig unwesentlichen Aspekten der gängigen Zero-Rating-Praktiken ein einschlagendes Urteil, das verbindlich festlegt, dass Zero Rating an sich unvereinbar mit EU-Recht (der Netzneutralitätsverordnung) ist.

Es ist gut vorstellbar, dass Internetzugangsanbietende mit allen Kräften versuchen werden, diese Auslegung in einem zukünftigen Urteil des EuGH umzukehren. Bis das jedoch passiert, sind die Urteile des 2. September 2021 rechtlich bindend für Regulierungsbehörden, während sie EU-weit die vielen Zero-Rating-Praktiken bewerten. Für den Schutz der Rechte der Menschen aus dem europäischen Netzneutralitätsgesetz wird das tiefgreifende Auswirkungen haben.

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