Die EU-Kommission hat heute Leitlinienfür die Umsetzung der Urheberrechtsrichtlinie, mit der Nutzerschutzmaßnahmen ausgehöhlt werden, veröffentlicht. Von multinationalen Unternehmen betriebene und gestaltete Uploadfilter (de facto Zensurmaschinen) werden entscheiden, welche Inhalte online geteilt werden können und welche nicht, wobei die Grundrechtsgarantien verglichen mit jenen im vorherigen Entwurf der Leitlinien abgeschwächt wurden.

Gegen die Bevölkerung und die Zukunft

„Nachdem Millionen Menschen Petitionen unterzeichnet haben, Hunderttausende auf der Straße protestiert haben und Hunderte weitere Politiker angerufen und sie davor gewarnt haben, automatisierte Zensurmaschinen zu legalisieren, hat die EU-Kommission dennoch beschlossen, sich auf die Seite der großen multinationalen Konzerne zu stellen und das Recht der Bevölkerung auf freie Meinungsäußerung zu gefährden“, äußerte sich Diego Naranjo, Head of Policy bei European Digital Rights (EDRi). „Das schafft einen gefährlichen Präzedenzfall für die zukünftige europäische Gesetzgebung und für andere Regierungen auf der ganzen Welt, die sich an der legalisierten Urheberrechtszensur in Europa ein Beispiel nehmen würden.“

Zivilgesellschaftlicher Widerstand gegen die Einführung von automatisierten Uploadfiltern in der EU-Urheberrechtsrichtlinie hat bereits Millionen Europäer*innen genauso wie UN-Sonderberichterstatter*innen, Wissenschaftler*innen und Kreative auf den Plan gerufen. Im Kern verleihen Uploadfilter den großen Unternehmen aus der Musikindustrie und Big Tech die Befugnis zu entscheiden, was online bleiben kann und was nicht und welche Einspruchsmöglichkeiten Menschen in diesen Szenarien bekommen.

Nach dem Beschluss der Urheberrechtsrichtlinie im Jahr 2019 hielt die EU-Kommission eine Reihe von Stakeholder-Dialogen zwischen Branchenvertreter*innen und der Zivilgesellschaft ab, um Leitlinien zur Umsetzung von Artikel 17 für die Mitgliedsstaaten auszuarbeiten. Diese heute veröffentlichten Leitlinien ermächtigen multinationale Konzerne die Rechtmäßigkeit von allen online getätigten freien Meinungsäußerungen in Europa zu beurteilen, ohne Rücksicht auf rechtsstaatliche Garantien oder die Empfehlungen einer langen Reihe von Kritiker*innen. Darüber hinaus wird damit ein Präzedenzfall für die Diskussion über Content-Moderation im Gesetz über Digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) geschaffen.

Änderungen im Hinterzimmer in letzter Minute

„Die EU-Kommission ist von ihrem früheren Standpunkt abgewichen, dass Artikel 17 nur dann mit den Grundrechten vereinbar ist, wenn lediglich offenkundig gegen Rechte verstoßende Inhalte gesperrt werden können“, sagte Julia Reda, Urheberrechtsexpertin und Projektleiterin beim EDRi-Mitglied GFF. „Stattdessen gestatten die Leitlinien den Rechteinhabern, Inhalte zu "markieren" ("Earmarking"), um sie ohne Rücksicht auf legale Verwendungszwecke wie Zitate oder Parodien, sperren zu lassen. Dieser Bestandteil der Leitlinien untergräbt das Recht der Bevölkerung auf freie Meinungsäußerung und wird zu Massensperren von rechtmäßigen Inhalten führen.“

„Heute ist ein trauriger Tag für Europa. Anstatt auf die Vernunft und die Argumente, die die EU-Kommission selbst vor dem EUGH vorgebracht hat, zu hören, hat der politische Einfluss der Unterhaltungsindustrie im Hinterzimmer wieder einmal gewonnen“, erklärte Thomas Lohninger, Geschäftsführer des EDRi-Mitglieds epicenter.works. „Es ist vollkommen klar, dass das „Earmarking“ von Inhalten die wirtschaftlichen Interessen einiger weniger, mächtiger Akteure über die Grundrechte einer ganzen Generation stellt. Das ist nicht nur für die Redefreiheit und Kreativität im Netz gefährlich, sondern es ist auch eine existentielle Frage für die Demokratie und den Rückhalt der EU-Institutionen in der europäischen Bevölkerung.“

„Als Teilnehmer im Stakeholder-Dialog, einem langen und transparenten Prozess, haben wir den Eindruck, dass die Ergebnisse dieses Prozesses in den letzten Monaten vor Beschluss der Leitlinien geopfert wurden, hinter verschlossenen Türen und aufgrund von Druck aus der Unterhaltungsindustrie“, resümierte Diego Naranjo, der Head of Policy bei EDRi.

EDRi ruft die Kommission auf, diese mangelhaften Leitlinien bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zur Vereinbarkeit von Artikel 17 mit der Grundrechtecharta zurückzuziehen.

Dies ist eine gemeinsame Presseaussendung von EDRi, GFF und epicenter.works. EDRi ist der Dachverband von mehr als 45 Datenschutzorganisationen in Europa.

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