Derzeit läuft auf EU-Ebene ein großer Angriff auf die Netzneutralität unter dem Slogan „Fair Share“. Unter diesem Begriff will die Telekombranche ihre Gewinne massiv vergrößern. Große Telekomunternehmen fordern dabei, dass künftig Online-Inhalteanbieter dafür zahlen sollen, dass ihre Dienste im Netzwerk von Telekomanbietern abgerufen werden. Damit würden die selben Daten zweimal bezahlt werden, da wir ja alle bereits für unsere Internetanschlüsse Geld bezahlen und laut Netzneutralität dabei auch das Recht haben, beliebige Daten aus der ganzen Welt abzurufen. Es geht also um eine zusätzliche Gebühr für etwas, das wir heute schon bezahlen. Das wäre, als müssten die Absender:innen eines Briefs der Postbotin für die Zustellung noch extra Geld geben, obwohl er doch durch die Briefmarke bereits bezahlt ist – ein Unding.

Wegelagerei der Telekomindustrie

Der Begriff „Fair Share“ sollte eigentlich „Netzgebühr“ heißen. Denn ihn hat sich die Telekomindustrie nur ausgedacht, um ihrer digitalen Wegelagerei ein freundliches Gesicht zu geben. Wieder einmal bedroht sie damit nämlich nichts Geringeres als die Netzneutralität. Das gefährdet die Meinungsvielfalt, denn wenn Inhalte nur nach doppelter Bezahlung zu den Nutzer:innen kommen, bedeutet das: wer Geld hat, hat die Meinungshoheit im Netz.

Bereits vor 10 Jahren gab es eine Forderung nach Netzgebühren von Seiten der Telekomindustrie unter dem Schlagwort Sending Party Pays. Das wurde jedoch von der „International Telecommunication Union“ (ITU) als brandgefährlich abgelehnt. Nun will die Europäische Kommission aber Anfang nächsten Jahres eine neuerliche Konsultation zur Einführung von Durchleitegebühren für Inhalteanbieter abhalten und unterstützt damit den Vorschlag der Telekomlobby. Die Argumente sind ebenso haltlos wie durchschaubar, genau wie damals.

Positionspapier gegen eine neue-alte Attacke

In einem gemeinsamen Papier, das epicenter.works geschrieben und insgesamt neun NGOs unterstützt haben, fassen wir alle die Mythen der Telekomindustrie zu diesem Thema zusammen und begegnen ihnen mit Fakten und Argumenten. Das Papier richtet sich an alle, die mit diesen Forderungen konfrontiert sind. Es ist somit eine Leseempfehlung für alle interessierten Menschen, Abgeordneten, Regierungsmitarbeiter:innen und Journalist:innen.

Besonders brisant ist, dass in fast allen EU Ländern bis vor kurzem Zero-Rating von Telekomunternehmen angeboten wurde. Dabei wurden genau diejenigen Daten großer Tech Konzerne gratis an Kunden abgegeben und damit derselbe Datenverbrauch aktiv gefördert, der angeblich heute die Netze in Europa verstopfen soll und für den nun extra Geld gefordert wird.

Treibender Faktor ist die Gier der Telekomkonzerne

Weil es gesellschaftlich vermutlich keine Gegenliebe erzeugt, wenn Telekomkonzerne mit Multi-Milliarden-Umsätzen mehr Geld verlangen, argumentiert die Branche man bräuchte das Geld für den Netzausbau. In unserem Papier belegen wir mit mehreren Studien von Regulierungsbehörden, dass Geld nicht der Flaschenhals im stockenden Netzausbau ist, sondern fehlende Tiefbaukapazitäten und lange Genehmigungsverfahren. Das Geld wird vermutlich 1:1 in die Dividenden und Boni der Konzerne fließen.

Außerdem nutzt uns das beste Netz nichts, wenn wir die Netzneutralität verlieren. Wie Tim Wu gesagt hat:

Giving up net neutrality to afford a better internet
is like selling a painting to afford a better frame.

Auf die Großen geschossen und die Kleinen getötet

Die Telekomindustrie argumentiert natürlich, man könne diese Gebühren so gestalten, dass sie nur die großen Big-Tech-Konzerne trifft. Wie in unserem Papier deutlich wird, ist das nicht der Fall. Da größere Cloud- und CDN-Anbieter ebenfalls zur Kasse gebeten werden sollen, wird die neue Gebühr auch viele mittelständische Unternehmen, öffentliche Einrichtungen und sogar den Bildungsbereich treffen. Die gesamte Gaming-Insturie wäre ebenfalls betroffen. Öffentlich-rechtliche Medienangebote nehmen in vielen EU-Ländern oft mehr Bandbreite ein als die amerikanischen Streaming Anbieter und wenn deren Kosten für Hosting steigen, steigen auch die Rundfunkgebühren aller Haushalte. Und wer ein Abo bei Netflix, Disney+ oder anderen populären Streaming-Anbietern hat, kann sich auf höhere monatliche Gebühren gefasst machen. Im Grunde geht es hier um eine Umverteilung weg von der gesamten Gesellschaft hin zur Telekomindustrie. Gerade in Zeiten von Teuerung und stagnierender Wirtschaft ist das angesichts der Milliarden-Gewinne der Telekomindustrie ein dreister Vorschlag. Wäre Digitalkommissar Thierry Breton nicht früher Chef von France Telekom gewesen, könnten wir uns auch nicht erklären, wie die EU-Kommission darauf reinfallen kann.

Das freie Internet steht auf dem Spiel

Der Protest ist in den letzten Monaten immer größer geworden. Während die Telekomindustrie ihre Lobby-Muskeln in Brüssel und den Haupstädten der EU-Staaten in Stellung bringt, haben Netzaktivist:innen und Konsumentenschützer:innen Stellung bezogen. Wir haben uns bereits im Juni mit einem globalen Brief der Zivilgesellschaft zu Wort gemeldet. Der Dachverband aller Konsumentenschutzorganisationen BEUC hat sich klar positioniert. Sogar die neutralen Regulierungsbehörden BEREC haben in einem vernichtenden Papier die falschen Annahmen dieses Vorschlags zurückgewiesen. Das von uns nun kürzlich vorgestellte Papier zur Argumentationshilfe in der Debatte ist ein weiter Schritt, um diese gefährliche Debatte für alle Haushaltseinkommen in Europa wieder einzufangen.

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