Netzneutralität: Schlupflöcher im EU-Rechtsrahmen schließen
Die EU-Regeln zur Netzneutralität werden demnächst reformiert, um eines der größten Schlupflöcher darin zu stopfen: Zero-Rating. epicenter.works hat schon bisher gemeinsam mit EDRi und Anderen mit Nachdruck auf die Gefahren des Zero-Ratings hingewiesen, einer Praxis, bei der Telekom-Unternehmen Online-Dienste unterschiedlich behandeln, indem sie gewisse Arten von Datenverkehr teurer als andere bepreisen. Nach drei Urteilen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hat das Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (BEREC) jetzt eingeräumt, dass seine Leitlinien zur Durchsetzung der Netzneutralitätsverordnung aus dem Jahr 2016 überarbeitet werden müssen . Die Reformen gehen in eine Richtung, welche die Eingaben von EDRi in den letzten sechs Jahren bestätigt, und heute richten wir eine weitere Eingabe an das BEREC , in der Hoffnung, auch das letzte Schlupfloch im EU-Rechtsrahmen für die Netzneutralität zu schließen.
Das Prinzip der Netzneutralität ist in der EU seit 2015 rechtlich verankert. Die Bestimmungen geben Nutzern das Recht auf gleichberechtigten und nicht-diskriminierenden Zugang zum gesamten Internet und verhindern, dass Telekom-Unternehmen beeinflussen, wie wir das Internet nutzen. Das EDRi-Netzwerk und der Dachverband haben in diesem Kampf eine Hauptrolle gespielt, beginnend damit, dass wir die Europäische Kommission überhaupt erst dazu gebracht haben, eine Gesetzgebung zum Thema Netzneutralität in Angriff zu nehmen. Ein entsprechender Entwurf wurde schließlich im September 2013 unter Digitalkommissarin Neelie Kroes lanciert, war aber äußerst verbesserungswürdig und eher ein Versuch, Netzneutralität gegen niedrigere Roaming-Gebühren abzutauschen. Deshalb sah sich EDRi 2013 gezwungen, die Zivilgesellschaft zu mobilisieren und startete die Kampagne www.SaveTheInternet.eu, die den Gesetzgebungsprozess dreieinhalb Jahre lang begleiten und Druck auf den Gesetzgeber ausüben sollte, die Freiheit des Internets zu verteidigen. Mehr als 40.000 Faxe, mehrere Demonstrationen und das Engagement von knapp einer halben Million Bürger brachten uns den Sieg und Europa einen nahezu perfekten rechtlichen Rahmen für Neutralität im Netz.
Von 2018 bis 2020 überarbeitete dann das BEREC die erste Version seiner Leitlinien zur Umsetzung der Netzneutralitätsverordnung, um den Herausforderungen durch gewisse technologische Elemente des neuen Mobilfunknetz-Standards 5G gerecht zu werden . Wieder war EDRi an den Arbeiten beteiligt, und das EDRi-Mitglied epicenter.works leistete einen Beitrag in Form eines Berichts, der die Situation der Netzneutralität in Europa während der ersten zweieinhalb Jahre seit Inkrafttreten des Rechtsrahmens darstellte. In diesem Bericht wurden auch die diskriminierenden Auswirkungen von Zero-Rating-Tarifen dargestellt, insbesondere die schädliche Wirkung so-genannter „open-class-based“-Tarife" wie StreamOn oder Vodafone Pass auf den Binnenmarkt, Innovation und Wahlfreiheit der Anwender. Der Bericht zeigte weiters, dass das am meisten von Zero-Rating profitierende Unternehmen Facebook ist, welches zwei der drei führenden Zero-Rating-Dienste in Europa betreibt; nur drei der 20 führenden Zero-Rating-Angebote in Europa sind auch aus Europa. Die reformierten Leitlinien bestätigten schließlich das Prinzip der Wahlfreiheit für Anwender auch im 5G-Netz sowie das Verbot der privatsphäreverletzenden Deep Packet Inspection (DPI)
Jetzt bleibt also noch Zero-Rating als die letzte Problematik in Zusammenhang mit der Netzneutralität in Europa. Abgesehen von zwei EWR-Ländern ist die Praxis inzwischen weit verbreitet, was beispielsweise dazu führen kann, dass ein Gigabyte von YouTube-Inhalten um das 70-Fache teurer ist als ein Gigabyte von anderen Internetdiensten. EDRi vertritt seit 2016 die Position, dass die EU-Netzneutralitätsverordnung die rechtliche Grundlage für ein Verbot von Zero-Rating liefert. Aber die Telekom-Regulierungsbehörden haben sich entschieden, nichts zu unternehmen und die BEREC-Leitlinien bieten nur eine zurückhaltende Herangehensweise an das Problem, indem sie es den Regulierungsbehörden überlassen, auf Einzelfallbasis zu entscheiden. Dieser regulatorische Stillstand wurde jetzt durch drei Urteile des Europäischen Gerichtshofes aufgebrochen, die feststellten, dass Zero-Rating das allgemeine Diskriminierungsverbot der Verordnung verletzt. Frühere Urteile des Gerichts konzentrierten sich mehr auf die technischen Aspekte der Drosselung von Datenverkehr, der nicht dem Zero-Rating-unterlag. Aber mit den aktuellen Urteilen können die Telekom-Regulierer die Sachlage zum Thema Zero-Rating nicht mehr ignorieren.
BEREC hat eine Konsultation gestartet, an der sich EDRi und 12 Mitglieder heute beteiligen. Das ist der Ausgangspunkt für einen Reformprozess, an dessen Ende aktualisierte Netzneutralitäts-Leitlinien stehen, die hoffentlich endlich das ungelöste Problem des Zero-Ratings behandeln. Ein Entwurf der aktualisierten Leitlinien wird im März 2022 zur Konsultation gestellt, und die endgültige Entscheidung wird in der BEREC-Vollversammlung im Juni oder Oktober 2022 erwartet. Wir müssen damit rechnen, dass die Telekombranche alles in ihrer Macht stehende unternehmen wird, um ein eindeutiges Verbot der weitverbreiteten Praxis, die sie in beinahe allen EU-Staaten eingeführt haben um ihre Marktposition zu festigen, zu verhindern. Es liegt an der Zivilgesellschaft, sich ein weiteres Mal an der Diskussion zu beteiligen, damit der europäische Rechtsrahmen für die Netzneutralität endgültig vollendet wird.
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