Dass unser Verein im Sommer den Transparenzbericht des Vorjahres mit den Finanz- und Aktivitätskennzahlen veröffentlicht, ist mittlerweile eine schöne Tradition. Wir möchten auch heuer die Gelegenheit nützen, nochmals auf die Highlights des Vorjahres zurückzublicken und im Sinne der Transparenz unsere Mittelverwendung 2022 offenlegen.

Vereinsintern war 2022 ein sehr aufregendes Jahr, das viel Neues brachte. Unser Team erweiterte sich im Herbst um weitere vier Kolleg:innen, da wir Dank der Unterstützung des Projektfonds Arbeit 4.0 der Arbeiterkammer NÖ endlich unser Herzensprojekt, die epicenter.academy, aufbauen konnten. Außerdem hat sich unser Vereinsstandort geändert und das Team ist in ein schönes Altbaubüro, direkt am Naschmarkt, gezogen.

Unsere Arbeit und Erfolge

Als Public Watchdog beschäftigt sich unser ganzes Team mit der Gesetzgebung rund um die Digitalisierung, wir decken Missstände auf und warnen die Verantwortlichen sowie die Bevölkerung vor möglichen Konsequenzen. Dies machen wir auf nationaler, sowie auch auf internationaler Ebene. Aus diesem Grund kannst du hier zuerst die Highlights aus unserer nationalen und danach aus der europäischen Arbeit von 2022 lesen.

Im Jänner deckten wir gemeinsam mit „ORF konkret“ massive Sicherheitslücken in der Plattform „oesterreich-testet.at“ auf. Erschütternd war für uns nicht nur die Sicherheitslücke im IT-System des Gesundheitsministeriums, sondern auch der Umgang mit dem mutigen Sicherheitsforscher, der seinen Job aufgrund der Aufdeckung verlor, und der eigenartigen „Responsible-disclosure“-Praxis in Österreich. Hier kannst du den Beitrag nachsehen.

Als Prozessbeobachter:innen der Gerichtsverhandlung von Julian Hessenthaler (Ibiza-Video-Macher) berichteten wir laufend in unserem Blog, veröffentlichten viele Ermittlungsakten und schilderten unsere Eindrücke zum Urteilsspruch. Zeitgleich appellierten wir immer wieder an die Regierenden, die längst überfällige EU-Whistleblower-Richtlinie endlich umzusetzen. Gegen Österreich wurde deshalb bereits ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Im Juli wurde dann der Vorschlag endlich in Begutachtung geschickt. Leider stellten wir massive Versäumnisse fest und beteiligten uns mit einer ausführlichen Stellungnahme. Als Anfang 2023 nun das Gesetz endlich verabschiedet wurde, war unsere Enttäuschung groß. Es wurde die Chance vertan, ein wirklich brauchbares und praxistaugliches Instrument zum Schutz von Hinweisgeber:innen als Gesetz zu implementieren. Das zeigt nur, dass es in Österreich keinen politischen Willen für den Schutz von Aufdeckungen gibt. Traurig.

Im Zuge der Aufbauarbeit der epicenter.academy beschäftigten sich unsere Expert:innen intensiv mit den Datenschutzstandards in österreichischen Schulen. Die Ergebnisse der Analysen sind erschreckend. Wir veröffentlichten unsere Ergebnisse in einem zweiteiligen Blogbeitrag (Teil 1, Teil 2) und appellierten an die Verantwortlichen, den Datenschutz der Kinder und der Lehrenden endlich ernst zu nehmen.

Ein weiteres Thema beschäftigt uns seit dem Sommer 2022 sehr stark. Die forcierten Video-Überwachungspläne in Wien. Die Straßeneinfahrten in den 1. Wiener Gemeindebezirk sollen, wenn es nach der Stadtregierung geht, eine Echtzeit-Videoüberwachung bekommen, um automatisiert Übertretungen von Verkehrsbeschränkungen strafen zu können. Als Begründung für den massiven Grundrechtseingriff geben der Bürgermeister und die zuständige Stadträtin, Ulli Sima, Klimaschutz und Verkehrsberuhigung an. Diese Maßnahmen sind nicht nur mit dem Grundrecht des Datenschutzes nicht vereinbar, sondern würden der Wiener Bevölkerung auch um ein vielfaches mehr kosten, als die bereits vorliegenden Konzepte des ehemaligen grünen Koalitionspartners in Wien, die ohne Videoüberwachung auskommen und wesentlich mehr Sinn für den Klimaschutz ergeben. Diese rote Linie – Videoüberwachung in unserer Stadt – werden wir weiterhin massiv verteidigen, denn wenn die Landespolizei in Echtzeit bei Demonstrationen zusehen kann, dann sind chinesische Verhältnisse nicht mehr weit.

Wir waren auch gegen den AMS-Algorithmus auf der Straße, erweiterten unsere Kampagnenwebsite auf 11 Sprachen und klärten mit einer Podiumsdiskussion und in betroffenen Communities über die Gefahren auf. Mit einer Schwerpunktkampagne in Oberösterreich, unterstützt durch die AK Oberösterreich, waren wir mit fast dem ganzen Team in zwei Tour-Wochen in Oberösterreich unterwegs und sprachen mit Betroffenen über das ungerechte System beim Arbeitsmarktservice Österreich, das ohne Rechtsgrundlage eingeführt wurde.

Über unsere Arbeit auf europäischer Ebene möchten wir als Highlights die Themen eIDAS, Chatkontrolle und den neuerlichen Angriff auf die europäische Netzneutralität hervorheben.

Mehrmals veröffentlichten wir 2022 detaillierte Analysen zur EU-Reform der vollharmonisierten elektronischen Identität (eIDAS). Wir führten viele Gespräche mit Stakeholdern, standen Medien für Interviews zur Verfügung und wurden mehrmals ins EU-Parlament als Expert:innen zum Thema eingeladen. Mit unserer rastlosen Arbeit, unseren Änderungsanträgen und Positionspapieren konnten wir schon einen großen Unterschied im Gesetzgebungsprozess erreichen und bleiben weiterhin dran. Hier findest du alle Details zu unserer Arbeit rund um eIDAS.

Im Mai leitete die EU-Kommission mit einem Gesetzesvorschlag zur Chatkontrolle das Ende der Privatsphäre und des Briefgeheimnisses im Internet in Europa ein. Mit dem Vorschlag sollen Hosting- und Messengeranbieter dazu verpflichtet werden, die Inhalte ihrer User:innen mit fehleranfälligen Uploadfiltern nach potenziell illegalen Inhalten (Video, Audio, Text) zu durchsuchen. Begründet wird der Vorschlag, alle persönlichen Nachrichten der europäischen Bürger:innen zu scannen, mit dem Kampf gegen Kindermissbrauch. Wir luden bereits im Juni zu einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion ins Wiener Burgkino ein, um gemeinsam mit österreichischen Stakeholdern die Problematik aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Weiters richteten wir uns gemeinsam mit insgesamt 118 europäischen Organisationen in einem offenen Brief direkt an die EU-Kommission und arbeiteten an der europäische Kampagne „Stop Scanning me“ tatkräftig mit. Im November beschloss das österreichische Parlament im EU-Unterausschuss, als erstes Mitgliedsland, mit einem verbindlichen Beschluss, dass solange der Vorschlag zur Chatkontrolle nicht grundrechtskonform ist, die Regierenden nicht zustimmen dürfen. Das ist ein erster wichtiger Schritt, jedoch bedarf es in den anderen Ländern noch viel Überzeugungsarbeit, um die Massenüberwachung unserer persönlichen Nachrichten zu verhindern.

Fast zeitgleich schlug von einer anderen Seite der Kommission, nämlich von den Kommissar:innen Margrethe Vestager und Thierry Breton, der nächste Angriff auf die Netzneutralität ein. Die beiden signalisierten öffentlich, Anbietende von Inhalten und Anwendungen (Content and Application Providers, CAP) künftig mit einer Gebühr für die Nutzung von Internetinfrastruktur zu belasten. Das widerspricht den grundlegenden Netzneutralitätsprinzipien und fundamentalen Schutzbestimmungen in der Europäischen Union. Mit einer starken Koalition von 34 Organisationen aus 17 Ländern meldeten wir uns sofort mit einem offenen Brief zu Wort und erstellten ein kompaktes Paper zu den Mythen der Telekomindustrie über die Netzneutralität, das in der Zwischenzeit auf vielen Verhandlungstischen als Grundlage dient. Auch der Dachverband aller Konsumentenschutzorganisationen BEUC hat sich klar positioniert und sogar die neutralen Regulierungsbehörden BEREC haben den Vorschlag der Kommission mit einem vernichtenden Urteil zurückgewiesen. Unsere Expert:innen bleiben hier weiter wachsam und laut. Alle Details zu unserer Arbeit zum Thema Netzneutralität findest du hier.

Das Finanzielle

Auch dieses Jahr möchten wir an dieser Stelle herzlich „Danke“ an alle Unterstützer:innen unserer Arbeit sagen!
Trotz der Teuerung sind uns fast alle Fördermitglieder und Spender:innen treu geblieben und unterstützen uns weiterhin mit regelmäßigen Spenden (40,35%). Durch die OSF Stiftungszuwendung und der großen Unterstützung des Projektfonds Arbeit 4.0 der AK Niederösterreich für das Bildungsprojekt, ist die Einkommensquelle „Förderungen, Stiftungen und Preisgelder“ im Jahr 2022 die größte des Vereins (53,74%). Die restlichen Mittel erwirtschafteten wir mit Vorträgen, Workshops, sowie Mieteinnahmen (5,53%).

Die Effizienz der Personalressourcen für statutarische Arbeit lag wie gewohnt über 80%. Die Ausgaben teilen sich im Jahr 2022 in 77,60% für statutarische Zwecke und 26,73% für den Verwaltungsaufwand auf. Für Öffentlichkeitsarbeit, wie OTS-Aussendungen und Kampagnenumsetzung, verwendeten wir 1,13%. Wir schlossen das Jahr 2022 mit einem kleinen Verlust ab, der mit den Rücklagen der letzten Jahre ausgeglichen wurde (-5,47%).

Seit Ende 2019 veröffentlicht unser Verein auch im Sinne der Transparenz einen monatlichen Cashflow-Bericht auf der Website und in sozialen Netzwerken.

Die Medienarbeit

Auch nach der Pandemie bleiben netzpolitische Themen und die Digitalisierung medial sehr präsent und wir konnten unsere Medienreichweite weiter steigern. Insgesamt haben wir 77 Millionen Menschen über Medien im Jahr 2022 erreicht und uns damit im Vergleich zum ersten Jahr unserer Aufzeichnungen 2017 in fünf Jahren verzehnfacht. Wie in den Highlights berichtet, werden wir auch immer mehr als Expert:innen auf europäischer Ebene wahrgenommen und angefragt. Das zeigt sich auch in der Medienpräsenz 2022. Wir führten 80 Interviews, davon waren 21 Interviews mit internationalen Medien, wie z.B. Le Monde, der Tagesschau im ARD und ZDF, der Spiegel, die Welt uvm. Auch unsere öffentlichen Auftritte wurden wieder mehr (gesamt 144). Wir hielten Vorträge (30), nahmen an Podiumsdiskussionen (8) teil, gaben Workshops (39) und waren bei Community Events (61). Mit unserer Schwerpunktkampagne gegen den AMS-Algorithmus waren wir in 6 österreichischen Städten im öffentlichen Raum präsent, um Stellung zu beziehen und Betroffene aufzuklären.

Wir schrieben 35 Blogposts zu komplexen technischen Themen in deutscher und englischer Sprache. Die Arbeit im nationalen sowie europäischen Gesetzgebungsprozess liegt uns besonders am Herzen. Deshalb brachten wir 8 parlamentarische Stellungnahmen ein, schrieben 10 Policy Papers und meldeten uns mit 15 offenen Briefen zu Wort, um den politischen Diskurs anzuschieben.

Mit der fortschreitenden Digitalisierung wächst auch das Interesse an unserem 14-tägigen Newsletter. Wenn du noch kein Abo hast: hier kannst du dich kostenfrei anmelden. Wir freuen uns über jede Abonnentin und jeden Abonnenten, denn es zeigt uns, dass immer mehr Menschen Interesse an digitalen Grundrechtsthemen haben.

Fleißig, fleißig

Eine lebendige Demokratie lebt vor allem von einem aktiven Austausch mit allen Beteiligten. Deshalb hatten wir auch insgesamt 349 Gesprächstermine. Davon wurden allein 245 auf europäischer Ebene geführt, denn starke Grundrechte in einem offenen und freien Internet brauchen europäische Lösungen.

Wie man anhand der Zahlen erkennt, bemühen wir uns sehr, die uns zur Verfügung stehenden Mittel so effizient und zielgerichtet wie möglich einzusetzen, weshalb wir auf Werbung verzichten und das Geld lieber in inhaltliche Arbeit investieren.
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Der gesamte Transparenzbericht 2022 steht auf Deutsch und Englisch zum Download bereit.

Da du hier bist!

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